Wahlkampf vor dem Bäcker So sind Sachsen-Anhalts Stadtratskandidaten aufgestellt
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05. Juni 2024, 19:03 Uhr
Am Sonntag werden in Sachsen-Anhalt Gemeinderäte neu gewählt. Knapp 10.090 Kandidaten treten an – die kreisfreien Städte Magdeburg, Halle und Dessau-Roßlau nicht mitgerechnet. Die Listen der Parteien und Wählerinitiativen sind lang, aber nicht unbedingt länger als 2019, zur letzten Kommunalwahl. Und das obwohl der Alltag politischer geworden zu sein scheint. Ein Blick in die Kandidatenlisten in der Stadt Seeland und Aschersleben.
- In der Stadt Seeland stellen nur zwei Parteien Stadtratskandidaten.
- Die Zahl der Einzelbewerber ist gestiegen.
- Die Lokalpolitik ist ein zeitaufwendiges Ehrenamt
Samstagmorgen, 6:40 Uhr. Es regnet Bindfäden, in Frose/Anhalt, einem Ortsteil der Stadt Seeland. Unter einem Schirm, neben dem Eingang des Bäckerladens drängen sich vier Stadtratskandidaten der CDU. In der Bäckerei herrscht trotz des Regens zur frühen Stunde reges Treiben. Morgens ist hier Stoßzeit: die Stadt Seeland kauft Brötchen. Und Carlo Scholz und seine Mitstreiter sprechen Wähler an. "Mein Wecker hat heute um 5:20 Uhr geklingelt", sagt er.
Kaum Parteien im Seeland
40 Kandidaten treten für den Stadtrat im Seeland an. Eine Stadt, mit sechs Ortsteilen, allesamt rund um den Concordia-See gelegen. Wenn Anwohner hier am Sonntag auf den Wahlzettel schauen, dann lesen sie die Namen der Kandidaten von Wählerinitiativen. Fast ausschließlich. Kandidaten der Grünen, der SPD oder der AfD treten nicht an. Die Linke stellt einen Kandidaten. Die CDU: sieben. Mehr als die Hälfte der Herren stehen heute Morgen am Bäcker.
Die Liste aufzustellen, sei eine Herausforderung gewesen. Und die vielen Wählerinitiativen? "Das sieht man schon mit Sorge und blickt darauf, welchen Einfluss das auf unsere Demokratie hat, wenn die großen Parteien immer weniger in der Basis verankert sind", stellt Carlo Scholz fest.
Menschen dafür zu begeistern, sich kommunalpolitisch zu engagieren, mitzumachen, zu kandidieren, das ist nicht einfacher geworden. Die Vorstände von Parteien und Wählerinitiativen führen schon viele Monate vor den Wahlen Gespräche, werben für sich, damit die Listen voll werden.
"Man spricht viele Bürger an, die sich im Ort schon engagieren, ob sie sich vorstellen könnten, mit zu kandidieren". Im Ortsteil Schadeleben sei das gut gelungen. Hier in Frose gebe es keinen Kandiaten. "Insgesamt ist unsere Liste auch kleiner geworden im Vergleich zur letzten Kommunalwahl."
Zahl der Einzelbewerber gestiegen
Für eine Partei zu kandidieren, kommt für Norman Träger nicht infrage. Der Bäcker bewirbt sich als Einzelkandidat für den Stadtrat. Dass er kandidiert, das zeigt ein Banner, ein paar Meter weiter. An diesem Morgen allerdings hat er alle Hände voll zu tun. In der Backstube. "Ich bin hier geboren, ich kenne Frose", sagt der Fußballschiedsrichter. "Schauen wir mal, ob man sich dafür einsetzen kann, und dann sehen wir, ob wir etwas bewegen können", dann muss er weiter arbeiten.
So sieht es im Land aus
Carlo Scholz und Norman Träger sind nur zwei von 10.086 Kandidaten für die Gemeinderäte in Sachsen-Anhalt – Halle, Magdeburg und Dessau-Roßlau nicht mitgerechnet. Das geht aus Zahlen des Statistischen Landesamtes hervor. Gut 5.800, also nur etwas mehr als die Hälfte der Kandidaten tritt für Parteien an. Knapp 4.000 Bewerber von Wählergruppen hat das Land gezählt. Und knapp 250 Einzelbewerber.
Die Zahlen ähneln denen von 2019. Wirklich große Abweichungen gibt es nicht – die Parteien allerdings haben rund 460 weniger Kandidaten aufstellen können. Die Zahl der Einzelbewerber ist gestiegen. Der Wahlkampf für die Kandidaten häufig aber auch: Routine.
Kandidaten zu gewinnen, ist eine langwierige Aufgabe
So auch in Aschersleben am selben Samstagvormittag. Während sich die Anwohner auf dem Grünen Markt treffen, hat die SPD am Rand einen knallroten Sonnenschirm aufgebaut. In Aschersleben kandidieren alle größeren Parteien: die CDU mit 27 Kandidaten, die AfD stellt drei Bewerber für den Stadtrat, die Linke fünf, die Grünen ebenfalls, die FDP sechs Kandidaten. Und die SPD zehn.
"Wir sind praktisch mit den drittmeisten Kandidaten in der Stadt präsent, und das freut uns sehr, dass wir auch so viele gewinnen können, für die sozialdemokratische Sache", sagt Kandidat Yves Metzing. Zweitlängste Liste stellt hier in Aschersleben ebenfalls eine Wählergruppe. 26 Kandidaten hat die Wählerinitiative die Aschersleber Bürger für sich gewonnen.
Die Kandidatensituation bei der SPD in Aschersleben sei stabil, stellt Yves Metzing fest. "Da haben wir unterschiedliche Altersgruppen, die auch sagen, ich mache in meinem Bereich was, in meinem Bekanntenkreis, in meinem Verein und trage die Themen, die da wichtig sind, zusammen."
Es geht auch um Bundesthemen
Die Kandidaten würden sich nicht von den Diskussionen in der Landes- und Bundespolitik abschrecken lassen. Als Gesellschaft wären wir politischer geworden, stellt er fest. "Besser wäre es natürlich für die Zukunft, dass man auch mehr unterscheidet. Weil wir sind zum Beispiel nicht für Bundesfragen zuständig, wir können das aufnehmen und weiter übermitteln, das machen wir auch."
Im Stadtrat brauche es mehr Engagierte, die nicht erst zur Sitzung ihre Unterlagen öffnen würden, sondern sich im Vorfeld mit dem Prozess beschäftigen. "Das dauert im Zweifel auch ein bisschen, bis man dann, informiert ist über den Sachverhalt und dann auch die Interessen weitergeben kann".
Lokalpolitik: ein aufwendiges Ehrenamt
Lokalpolitik ist zeitaufwendig und ein Ehrenamt. Vier bis acht Stunden so viel Zeit veranschlagt Carlo Scholz im Seeland für eine Stadtratssitzung. "Es gibt dann noch Fraktionssitzungen im Vorfeld, und man muss sich die Unterlagen ansehen". Das hänge von der Intensität der Themen ab. Aber, man müsse schon etwas Zeit investieren.
Und dazu kommt dieser Tage auch noch der Wahlkampf. Seit Wochen sind die Kandidaten ehrenamtlich unterwegs, kleben Plakate, betreuen Stände, erklären ihre Programme. Und trotz der bewegten Zeiten, der aufgeheizten Diskussionen - auch in diesem Kommunalwahlkampf geht bislang alles seinen gewohnten Gang. Und dazu gehört auch: morgens um sechs am Bäcker stehen, auch wenn es Bindfäden regnet.
MDR (Tom Gräbe)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 05. Juni 2024 | 17:40 Uhr
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