Landarztquote und Förderungen Ärztemangel: Wie Sachsen-Anhalt gegensteuern will
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16. April 2025, 05:08 Uhr
Die Zahl der unbesetzten Arztstellen in Sachsen-Anhalt könnte sich einer aktuellen Prognose zufolge bis 2030 verdoppeln. Um gegenzusteuern, hat das Land im Januar einen ganze Reihe von Ideen beschlossen. Neben der Landarztquote und speziellen Förderungen soll auch ein neuer Studiengang geschaffen werden, um Ärzte künftig zu entlasten. Der Überblick.
Sofia Hein ist Landärztin aus Leidenschaft. Anfang 2023 übernahm sie eine Hausarztpraxis in Elbingerode im Landkreis Harz. Bereut hat sie diesen Schritt bisher keine Sekunde lang. "Man behandelt hier die ganze Familie und weiß, wer zu wem gehört. Man kennt sich", freut sich die 47-Jährige. "Die Patienten sind einfach nur dankbar."
Zuvor hatte Hein als Gefäßchirurgin im Klinikum Halberstadt gearbeitet, wollte dann jedoch eine Veränderung. Es sei viel darum gegangen, wie viel Geld man mit dem Patienten verdiene. "Das war nicht so ganz meins", sagt sie. Als Quereinsteigerin ließ sie sich zwei Jahre lang zur Allgemeinmedizinerin ausbilden. Und schnell war Hein auch klar, dass sie den Schritt in die Selbstständigkeit wagen möchte. Bei der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KSVA) wurde sie auf die Praxis in Elbingerode aufmerksam gemacht, die dringend einen Nachfolger suchte. Kein leichtes Unterfangen in Zeiten des Ärztemangels.
Welche Regionen in Sachsen-Anhalt sind besonders vom Ärztemangel betroffen?
Bereits heute sind 240 Ärztestelle im Land unbesetzt – bis 2030 könnte sich die Zahl mehr als verdoppeln. Das geht aus einer Prognose der KSVA hervor, die MDR Data exklusiv vorliegt. Besonders betroffen sind demnach ländliche Gebiete wie die Altmark oder der Harz – die Region, in der sich Sofia Hein niedergelassen hat.
Sachsen-Anhalts "Gesundheitskabinett" hat im Januar deshalb eine ganze Reihe von Ideen beschlossen, um dem Ärztemangel entgegenzusteuern. Neu ist etwa die Landzahnarztquote sowie die Schaffung von Stipendien, um eine Zahnarztausbildung im europäischen Ausland aufnehmen zu können. Zudem gibt es eine Vielzahl an Unterstützungs-, Informations- und Mentoring-Programmen.
So funktioniert die finanzielle Förderung von Ärzten in unterversorgten Regionen
So vergibt die KSVA beispielsweise Förderungen bei der Übernahme oder Neugründung einer Arztpraxis in unterversorgten Gebieten. Für Sofia Hein war das ein Anreiz, sich für Elbingerode zu entscheiden. Sie erhält 60.000 Euro für die Renovierung der Räume und die Anschaffung neuer Computer. Die letzten acht Monate ihrer Weiterbildungszeit verbringt sie bereits in der Praxis, um einen nahtlosen Übergang zu schaffen.
Das familiäre Umfeld im Harz wisse sie dabei besonders zu schätzen, erzählt sie. "Von vorn herein wollte ich aufs Land und nicht in eine größere Stadt. Ich bin in einer Großstadt aufgewachsen und irgendwie fand ich das immer so unpersönlich."
Hein ist im sibirischen Omsk geboren, hat dort angefangen, Tiermedizin zu studieren, bevor sie nach Magdeburg kam und sich für die Humanmedizin entschied. Die 60 bis 70 Stunden-Woche als Hausärztin macht ihr nicht viel aus. "Es macht mir Spaß. Mich stört es nicht. Ich mache auch gern Hausbesuche, denn da sieht man die Patienten in ihrer Umgebung", sagt sie.
Mittlerweile hat sie auch eine Nebenbetriebsstätte in Hasselfelde eröffnet. Das Medizinische Versorgungszentrum dort war zuvor geschlossen worden, die Patienten hätten Angst gehabt, dass sie niemand anders aufnimmt, erinnert sich Hein. Am Anfang habe sie nur die Patienten übernommen, die nicht mobil waren. Mittlerweile beschäftigt sie zwei Weiterbildungsassistentinnen – Ärztinnen, die ebenfalls den Quereinstieg in die Allgemeinmedizin absolvieren. So ist die Nebenstelle fast zur vollwertigen Praxis geworden.
Kein Politiker kann sich Ärzte aus den Rippen schneiden.
Hein weiß aber auch, dass das Umschulen von Ärzten anderer Fachrichtungen das Problem des Hausärztemangels nur verschiebt. Es brauche von Anfang an mehr Studienplätze, kritisiert sie. "Kein Politiker kann sich Ärzte aus den Rippen schneiden."
So funktioniert das Medizinstudium mit Landarztquote
Das Land versucht deshalb, auch mit verschiedenen Studienprogrammen und Angeboten gegenzusteuern. Schon seit 2020 gibt es in Sachsen-Anhalt die sogenannte Landarztquote. Aktuell werden 25 Studienplätze im Fachbereich Humanmedizin an Bewerber vergeben, die sich im Vorfeld verpflichten, nach der Facharztweiterbildung mindestens zehn Jahre als Hausärztin oder Hausarzt in einer unterversorgten Region tätig zu sein. Mehr als 100 zukünftige Landärzte konnten auf diese Weise bereits für die Zukunft gewonnen werden, teilte das Gesundheitsministerium mit.
Nora Brandstetter aus Magdeburg ist eine von ihnen. "Ich hatte das Gefühl, dass es mir eine Chance gibt, noch Medizin zu studieren, obwohl mein Abiturdurchschnitt dafür nie gereicht hätte", erzählt die 30-Jährige. Zuvor absolvierte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitet in der Uniklinik. In einem großen Krankenhaus sei alles anonym – für sie einer der Gründe, sich für das Landleben zu entscheiden.
"Ich fand die Idee, aufs Land zu gehen, wunderschön. Ich komme aus einem Vorort von Magdeburg, kenne auch das Leben auf dem Dorf." Mehr Nähe zu ihren künftigen Patienten sei das, was sie sich wünsche. "Dass man sich kennt, dass man sich vertraut und dass man weiß, was der andere für Wünsche und Sorgen hat."
Ihr Traum sei ein kleiner Dreiseitenhof mit Tieren, vielleicht einem eigenen Pferd. "Ich finde die Altmark sehr schön, weil man da wundervoll ausreiten kann. Vielleicht verschlägt es mich aber auch in den Harz." Nora Brandstetter hofft, dass mehr junge Leute ihrem Beispiel folgen und sich fürs Land entscheiden: "Sodass man eben auch ein Netz aus jüngeren Kollegen aufbauen kann."
Die angehenden Landärztinnen und Landärzte lernen in Magdeburg in einer gemeinsamen Seminargruppe. Der Kontakt untereinander sei eng, erzählt Katharina Kortmann. "Da wir alle schon eine Berufsausbildung haben, haben wir auch einen anderen Blick auf das Studium und einen anderen Zusammenhalt."
Unterstützung durch Mentorenpraxen auf dem Land
Die 25-Jährige aus Hannover hat die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum über ihren Job als Notfallsanitäterin kennengelernt. Aufgrund der räumlichen Nähe zu Niedersachsen entscheidet sie sich für das Studium über die Landarztquote in Magdeburg, ist wie Nora Brandstetter im vierten Jahr. Besonders gefalle ihr, dass sie durch das Programm bereits die Möglichkeit habe, mit Ärzten in unterversorgten Gebieten zu arbeiten. Denn jeder Studierende bekommt für die Zeit des Studiums eine Praxis zugeteilt.
Was ist das Besondere an der Landarztquote? Die Abiturnote spielt bei der Bewerbung nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr zählen eine Berufsausbildung oder bereits gesammelte Berufserfahrung. Außerdem muss ein Studierfähigkeitstest absolviert werden. Der Anteil der Medizinstudienplätze für die Landarztquote ist 2025 von 6,3 auf 7,8 Prozent erhöht worden.
Zwei Mal im Semester verbringt Katharina Kortmann einen Tag in ihrer Mentorenpraxis in Oschersleben. "Da ist ein freundschaftliches Verhältnis entstanden zwischen der Ärztin und mir. Das macht total viel Spaß. Auch wenn es mal eine Durststrecke im Studium gibt, bekommt man dadurch wieder Motivation und weiß, wofür man das macht."
Wenn sie es sich aussuchen könnte, würde sie später gern an der Grenze zu Niedersachsen arbeiten, um näher an der Heimat zu sein. Aber auch Oschersleben gefalle ihr sehr gut. Zum Thema Ärztemangel wünsche sie sich, dass es Menschen, die Medizin studieren wollen und schon eine Berufsausbildung in dem Bereich haben, leichter hätten. Und dass es allgemein mehr Studienplätze gebe. Zudem könnte eine bessere Schulung von nicht-ärztlichem Personal Entlastung schaffen, meint sie.
Physician Assistant: Neuer Studiengang der Uni Magdeburg
Auch im Paket des "Gesundheitskabinetts" ist die Unterstützung für bereits niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ein Thema. An der Uni Magdeburg soll zum Wintersemester 2026/27 deshalb ein neuer Studiengang geschaffen werden, der genau darauf ausgerichtet ist. "Physician Assistant" (deutsch: Arztassistent) nennt sich die noch junge Berufsbezeichnung, die sich bereits in Ländern wie den USA oder Kanada etabliert hat.
Absolventinnen und Absolventen "sollen sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich wichtige Delegationsaufgaben übernehmen können", heißt es im Zwischenbericht der Arbeitsgruppe "Ärztebedarf und Ärztegewinnung" des Landesministeriums für Gesundheit.
Diese Aufgaben könnte ein Physician Assistant in Sachsen-Anhalt übernehmen
- Prozess- und Dokumentationsmanagement
- Fallbegleitung von Patienten (Umsetzung der ärztlichen Behandlungspläne von der Aufnahme bis zur Entlassung)
- Erstellung von Arztbriefen, welche von den Ärztinnen/Ärzten geprüft und freigegeben werden
- Delegierbare patientenbezogene Tätigkeiten wie etwa Anamnese, körperliche Untersuchungen, Assistenztätigkeiten bei chirurgischen Eingriffen oder diagnostische Aufgaben
Bis Ende des Jahres werde ein Lehrplan erstellt, teilte das Wissenschaftsministerium auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT mit. Welche Aufgaben ein Physician Assistant dann genau übernehmen kann, muss allerdings noch final geregelt werden. Denn obwohl der Studiengang bereits an einigen Hochschulen in Deutschland angeboten wird, liege vieles noch in der Grauzone, sagt Allgemeinmedizinerin Sofia Hein aus Elbingerode.
Aufgaben von Physician Assistants rechtlich oft noch Grauzone
Auch sie hat in ihrer Praxis Unterstützung durch eine Arztassistentin. "Letztendlich ist das weder abrechnungstechnisch noch rechtlich im ambulanten Bereich geregelt", kritisiert sie. "Sie trifft eine Entscheidung und ich stehe dafür gerade." Das funktioniere nur, weil Hein sich auf ihre Mitarbeiterin verlassen könne und diese ihre Grenzen kenne.
Die Politik muss beim Thema Ärztemangel endlich aufwachen.
Den Nutzen für "Physician Assistants" sieht sie daher eher in einer Klinik als einer Arztpraxis. Der Unterschied zu einem Medizinischen Fachangestellten (MFA) oder einem nichtärztlichen Praxisassistenten (NäPa) sei am Ende gar nicht so groß. Trotzdem ist die Arztassistentin für Hein eine Unterstützung. Und vielleicht bringt die Einführung des Studiengangs an der Uni Magdeburg dann auch endlich rechtliche Sicherheit. Hein sagt: "Die Politik muss beim Thema Ärztemangel endlich aufwachen."
Dieses Thema bei FAKT IST!
Weite Wege, volle Wartezimmer, langes Warten auf einen Termin, vor allem bei Fachärzten: Ärztinnen und Ärzte sind Mangelware – besonders im Osten Deutschlands und da besonders auf dem Land. Wie groß ist der Ärztemangel wirklich – und wie können Lösungen aussehen? Darüber haben die Gäste bei "FAKT IST!" am 16. April, ab 20:15 Uhr, im MDR FERNSEHEN diskutiert. Im Chat konnten Sie live mitdiskutieren!
MDR (Sarah-Maria Köpf)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 16. April 2025 | 19:00 Uhr
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