Gewalt im Sport "Die Sportvereine müssen sichere Orte sein"
Hauptinhalt
22. März 2023, 13:51 Uhr
Der Landessportbund Sachsen-Anhalt freut sich über personelle Aufstockung für seine Arbeit im Kinder- und Jugendschutz. Geschäftsführer Tobias Knoch erklärt, warum dieser Schritt so wichtig ist. Auch bundesweit wird intensiv über Gewalt im Sport diskutiert. Welche Pläne es gibt.
- Lange hat der Landessportbund für eine Personalstelle im Kinder- und Jugendschutz gekämpft – nun offenbar mit Erfolg.
- Auch bundesweit rückt das Thema in den Fokus. Ein Zentrum für Safe Sport soll bald seine Arbeit aufnehmen.
- Was der LSB davon hält, welche Pläne es gibt – und welchen Knackpunkt.
Lange hat der Landessportbund Sachsen-Anhalt (LSB) dafür gekämpft, nun ist es wohl bald soweit: Dem Verband wurde offenbar eine Personalstelle für den Kinder- und Jugendschutz bewilligt, finanziell geregelt über den Nachtragshaushalt des Landes Sachsen-Anhalt.
Das erklärte Tobias Knoch, Geschäftsführer des LSB, im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT. "Für diese Stelle und das Thema haben wir zwei Jahre lang gekämpft", so Knoch. Und: "Wir sind gerade schon dabei, die Stellenausschreibung zu formulieren und werden damit wohl bald an die Öffentlichkeit gehen."
Gewalt im Vereinssport war lange ein Tabu-Thema. Doch spätestens seit dem vergangenen Jahr steht fest: Das Problem ist aktuell und groß.
Gewalt im Sport ist längst kein Tabu-Thema mehr
Mehr als 4.000 Vereinsmitglieder bundesweit haben sich an der Onlinebefragung der Studie "SicherImSport" beteiligt, dem bislang umfangreichsten Forschungsbericht zu Gewalterfahrungen im organisierten Sport in Deutschland. Dabei gaben 63 Prozent der Befragten an, mindestens einmal im Sport psychische Gewalt erlebt zu haben.
Sie wurden demnach bedroht, beschämt oder ausgegrenzt. Gerade jüngere Mitglieder sind häufiger betroffen. Erfahrungen mit Belästigungen ohne Körperkontakt, also sexuellen Grenzverletzungen, haben ein Viertel der Vereinsmitglieder gemacht. Ein Fünftel hat angegeben, sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt erfahren zu haben, also ungewollte Berührungen bis hin zu sexuellen Übergriffen.
LSB-Geschäftsführer Tobias Knoch sagt: "In unseren mehr als 3.000 Sportvereinen sind etwa 360.000 Menschen organisiert. Das Thema ist unheimlich wichtig für uns, denn die Vereine sollen sichere Orte sein und wir wollen alles dafür tun, um sie noch sicherer zu machen. Das Wohl aller Menschen im Verein ist ein unheimlich hohes Gut."
Sportbund engagiert sich gegen sexualisierte Gewalt
Deshalb beschäftigt sich der Landessportbund seit mehr als zehn Jahren mit dem Kinderschutz, setzt sich vor allem aktiv gegen sexualisierte Gewalt ein. Der Verband bietet Beratung und Unterstützung an, genau wie eine Qualifizierung zum Kinderschutzbeauftragten. Immer mehr Vereine machen von diesem Angebot auch Gebrauch.
Allerdings: Bislang kümmert sich lediglich ein Mitarbeiter um das Thema – und das auch nur während 20 Prozent seiner Arbeitszeit. Zu wenig, das haben sie beim LSB schon längst und nun offenbar auch in der Landespolitik erkannt.
Denn klar ist auch: "Wenn Strukturen geschaffen werden und es Anlaufstellen gibt, wenden sich auch immer mehr Menschen an uns, dann gibt es immer mehr, ganz verschieden gelagerte Fälle", sagt Knoch. "Da wir Prävention und Intervention bieten wollen, brauchen wir diese neue Stelle."
Zentrum für Safe Sport geplant
Die Aufstockung im Landessportbund Sachsen-Anhalt reiht sich in das bundesweite Bild ein. Nicht zuletzt durch immer mehr, immer breiter angelegte Studien zu Gewalterfahrungen im Leistungs- und Breitensport erscheint das Thema so aktuell wie nie zuvor.
Im Koalitionsvertrag hatte sich die Bundesregierung dazu verpflichtet, den Aufbau eines unabhängigen Zentrums für sicheren und gewaltfreien Sport zu unterstützen. Aktuell läuft unter Führung des Bundesinnenministeriums ein sogenannter Stakeholder-Prozess für das Zentrum für Safe Sport.
Gutachter, Arbeitsgruppen, Workshops
Bis zum Sommer wird mit externen Expertinnen und Experten in Arbeitsgruppen und Workshops über die konkrete Umsetzung gesprochen. Anschließend soll das Zentrum für Safe Sport umgesetzt werden.
Der Verein Athleten Deutschland, eine Interessenvertretung der Leistungssportlerinnen und -sportler, hatte die Idee eines unabhängigen Zentrums für Safe Sport vor mittlerweile zweieinhalb Jahren ins Spiel gebracht. Das Bundesinnenministerium und die 16 Bundesländer hatten Ende vergangenen Jahres den Trägerverein Safe Sport e.V. gegründet. Zu den ersten Mitgliedern gehören außerdem Athleten Deutschland sowie Vertreter und Vertreterinnen der Betroffenen und aus der Wissenschaft.
Es ist wichtig, dass das Zentrum für Safe Sport komplett unabhängig ist vom Sport, damit es glaubwürdig und neutral arbeiten kann.
Sanktions-Möglichkeiten als Knackpunkt?
Johannes Herber, Geschäftsführer von Athleten Deutschland, sagt MDR SACHSEN-ANHALT: "Es ist wichtig, dass das Zentrum komplett unabhängig ist vom Sport, damit es glaubwürdig und neutral arbeiten kann."
Drei Säulen der Arbeit des Zentrums seien wichtig, so Herber: Prävention, Intervention und Aufarbeitung. "Das Zentrum muss in der Lage sein, Standards zu setzen und sie zu kontrollieren", sagt der Geschäftsführer von Athleten Deutschland. Denn: "Es gibt gerade eine Reihe von Konzepten, aber die werden in den allermeisten Fällen bezüglich ihrer Umsetzung gar nicht oder nicht genügend kontrolliert."
Aufarbeitungsprozesse müssten unabhängig begleitet werden, sagt Herber. Größter Knackpunkt in den derzeitigen Diskussionen: der Rahmen der Intervention. Athleten Deutschland fordert, dass das Zentrum auch in der Lage sein soll, nicht nur Beschwerden aufzunehmen, sondern anschließend auch Ermittlungen einzuleiten, diese durchzuführen und im letzten Schritt auch Sanktionen auszusprechen.
Vorbehalte wegen Eingriffs in die Autonomie?
Herber weiß, "dass das ein Thema ist, bei dem der organisierte Sport zumindest Vorbehalte hat, weil das einen Eingriff in die Autonomie des Sports darstellt", so der Geschäftsführer von Athleten Deutschland. "Da bedarf es auch noch einer rechtlichen Klärung." Aber: "Wir glauben, dass das nicht nur betroffenen Sportlerinnen und Sportlern, sondern auch den Vereinen und Verbänden helfen könnte. Zum Teil haben sie ja massive Schwierigkeiten, Trainer oder Trainerinnen los zu werden, die Grenzverletzungen begangen haben, weil das arbeitsrechtlich oft schwierig ist."
Athleten Deutschland plädiert deshalb perspektivisch als Erweiterung zum Zentrum für Safe Sport für die Schaffung einer nationalen Integritätsagentur. In einer Erklärung aus dem vergangenen Jahr ist von einem "harmonisierten Integritätssystem" die Rede, "das Präventionsmaßnahmen flächendeckend sowie überprüfbar umsetzt. Es geht effektiv gegen Missstände und Integritätsverletzungen vor und hält wirksame Untersuchungs-, Sanktions- und Abhilfemechanismen bereit. In diesem System haben alle beteiligten Akteure eine ausdifferenzierte Rolle inne, die sie frei von Interessenkonflikten ausüben."
Weil sich die Entstehung des Zentrums für Safe Sport hinzieht, hat Athleten Deutschland vor knapp einem Jahr eine Anlaufstelle für Betroffene von Gewalterfahrungen im Leistungssport gegründet. "Anlauf gegen Gewalt", so nennt sich die Stelle.
LSB erfreut über Zentrum für Safe Sport
In der Bearbeitung der Fälle habe sich eine Erkenntnis deutlich herauskristallisiert, heißt es in einer Erklärung: "Im Spitzensportsystem existiert kein sicherer Mechanismus, um Missstände effektiv und im Sinne der Betroffenen aufzuklären, unabhängige Untersuchungen einzuleiten und möglicherweise Konsequenzen folgen zu lassen." Kernursache dieses Problems seien deutliche Gefälle innerhalb der Verbandslandschaft im Umgang mit Missständen. Doch: "Die Qualität der Fallbearbeitung darf aus unserer Sicht nicht vom Engagement und der Integrität einzelner Personen abhängen."
Deshalb sieht auch Tobias Knoch, Geschäftsführer des Landessportbundes Sachsen-Anhalt, die Gründung des Zentrums für Safe Sport und das Engagement von Athleten Deutschland positiv. "Von der Expertise können alle profitieren", sagt er. Und: "Die Systeme müssen ineinandergreifen." Für ihn stehe jedenfalls fest: "Es ist nur zeitgemäß, mit dem Zentrum für Safe Sport eine unabhängige Stelle für dieses Thema zu haben."
Über Daniel George
Daniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung als Sportredakteur und berichtete hauptsächlich über die besten Fußballklubs Sachsen-Anhalts: den 1. FC Magdeburg und den Halleschen FC.
Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine wunderschöne Heimatstadt, in der er seitdem bei MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet – als Sport- und Social-Media-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.
Über Engin Haupt
Engin Haupt arbeitet seit Februar 2021 im Politikressort von MDR SACHSEN-ANHALT. Geboren und aufgewachsen in Rheinland-Pfalz, hat ihn das Journalismus-Studium nach Magdeburg gebracht.
In seiner Freizeit spielt er unter anderem American Football und kommentiert die Fußballspiele des 1. FC Magdeburg für blinde Menschen.
MDR (Daniel George)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 22. März 2023 | 19:00 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/8c6706ff-f4c7-47dd-8076-647557307a07 was not found on this server.