Mutter eines Betroffenen erzählt Gewalt im Vereinssport: "Eltern bekommen oft gar nichts davon mit"
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23. März 2023, 11:14 Uhr
Ihr Sohn lebte für den Rudersport – doch plötzlich stand er kurz vor der Essstörung. Der Grund: psychischer Druck, ausgeübt von seiner Trainerin. So schildert eine Mutter aus Sachsen-Anhalt die Gewalt-Erfahrungen ihres Sohnes im Sportverein. Kein Einzelfall. Und längst kein Tabuthema mehr. Wo Risiken liegen – und was sich ändern sollte.
- Gewalt im Vereinssport war lange ein Tabuthema. Doch Studien zeigen: Das Problem ist aktuell und groß.
- Die Mutter eines Betroffenen schildert die Erfahrungen ihres Sohnes mit psychischer Gewalt in einem Ruderklub.
- Welche besonderen Risiken der Leistungs- und Breitensport bezüglich Gewalt-Erfahrungen bergen.
Kathrin* wusste lange nicht, was los war. Doch sie spürte: Irgendetwas stimmte nicht mit ihrem Sohn. "Der ist zwar gerade in der Pubertät und hat grundsätzlich keinen allzu großen Mitteilungs-Bedarf", sagt die Mutter, aber: "Am Ende hat er sich mir doch anvertraut."
Leistungsdruck und psychische Gewalt
Der junge Ruderer stand unter Leistungsdruck, enormen Leistungsdruck. Und er erlebte in seinem Sportverein psychische Gewalt. "Sein größter Feind war die Waage", erzählt seine Mutter. Es seien beiläufige Bemerkungen seiner Trainerin gewesen, die tiefe Spuren bei ihrem Sohn hinterlassen hätten: "Du bist zu fett." Oder: "Nimm endlich mal ab." Solche Sätze seien andauernd gefallen, über Monate.
Das Ergebnis: "Mein Sohn", sagt Kathrin*, "stand kurz vor einer Essstörung." Die Mutter erklärt: "Trainer haben so einen prägenden Einfluss auf die Kinder und Jugendlichen. Durch solche Geschichten können sie viel kaputtmachen. Und oft genug bekommen Eltern davon gar nichts mit."
Bedroht, beschämt, ausgegrenzt
Gewalt im Vereinssport war lange ein Tabuthema. Doch spätestens seit dem vergangenen Jahr steht fest: Das Problem ist aktuell und groß.
Mehr als 4.000 Vereinsmitglieder bundesweit haben sich an der Onlinebefragung der Studie "SicherImSport" beteiligt, dem bislang umfangreichsten Forschungsbericht zu Gewalt-Erfahrungen im organisierten Sport in Deutschland. Dabei gaben 63 Prozent der Befragten an, mindestens einmal im Sport psychische Gewalt erlebt zu haben.
Sie wurden bedroht, beschämt oder ausgegrenzt. Gerade jüngere Mitglieder sind häufiger betroffen. Erfahrungen mit Belästigungen ohne Körperkontakt, also sexuellen Grenzverletzungen, haben ein Viertel der Vereinsmitglieder gemacht. Ein Fünftel hat angegeben, sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt erfahren zu haben, also ungewollte Berührungen bis hin zu sexuellen Übergriffen.
Psychische Gewalt im Sportverein kann viel kaputt machen
Der Sohn von Kathrin litt unter psychischer Gewalt. Die Mutter aus Sachsen-Anhalt will anonym bleiben, aus Angst vor Konsequenzen für ihren Sohn. Auch will sie nicht, dass Ort und Verein publik werden. Aber es ist ihr wichtig, das Thema anzusprechen. Denn sie weiß aus Erfahrung: "Es gibt viele Kinder und Jugendliche und deren Eltern, die so etwas erleben, aber nicht darüber sprechen."
Die Trainer können menschlich viel kaputt machen.
Dabei sei es wichtig, gerade auch für den Kinder- und Jugendschutz in Sportvereinen zu sensibilisieren. Denn: "Die Trainer können menschlich viel kaputt machen", sagt Kathrin. Gerade im Leistungssport sei das so: "Klar braucht es dort besonderen Ansporn und Motivation, aber doch bitte nicht so einen psychischen Druck, dass Menschen daran kaputtgehen können."
Ihr Sohn habe seine Ernährung mittlerweile wieder im Griff. Aber: "Er muss schon noch darauf achten", sagt die Mutter. "Das wird ihn noch eine Weile begleiten." Dabei sei der Jugendliche nie übergewichtig gewesen, es ging offenbar um ein paar Kilogramm, um womöglich noch besser zu sein.
Sportlich vielleicht nachvollziehbar. Nur: Die Art und Weise, wie ihr Sohn unter Druck gesetzt wurde, sei unmöglich gewesen, sagt Kathrin. Doch: "Weil er den Sport eben so sehr geliebt hat, hat er das erstmal ohne zu klagen über sich ergehen lassen."
Leistungssport: Hierarchie als Risiko
Besonders im Leistungssport ist der Druck groß. Die Konkurrenz ebenso. Wer keine Ergebnisse liefert, fällt durch das Raster – auch im Kinder- und Jugendbereich. Trainer und Trainerinnen müssen überzeugt werden, entscheiden oft ganz maßgeblich über die sportliche Karriere. Christin Wunderlich ist Ressortleiterin der Landessportjugend Sachsen-Anhalt. Sie warnt trotz dieser Umstände vor einer Pauschalisierung.
"Im Leistungssport haben wir natürlich die Situation, dass wir Athletinnen und Athleten haben, die den sportlichen Erfolg im Fokus haben. Dort gibt es eine gewisse Hierarchie mit Übungsleitenden oder Trainern und Trainerinnen, die einfach ein Risiko birgt", sagt Wunderlich zwar.
Aber: "Auch der Breitensport birgt Risiken. Denn Breitensport ist vor allem ehrenamtlich getragen. Jeder Verein ist natürlich froh über Ehrenamtliche, die dort unterstützen, sodass das System durchlässiger ist. Es lässt sich also nicht pauschal sagen, dass es in dem einen oder anderen Bereich mehr oder weniger Fälle gibt."
Erweitertes Führungszeugnis und Ehrenkodex empfohlen
Der Landessportbund Sachsen-Anhalt (LSB) setzt sich dafür ein, dass alle Trainer und Trainerinnen, die in den Sportvereinen des Landes mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, zunächst ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen sollten. Eine weitere Empfehlung: die Übungsleitenden sollten einen Ehrenkodex unterschreiben. Bei seinen eigenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen setzt der LSB diese zwei Voraussetzungen für die Arbeit mit dem Nachwuchs bereits so um.
Einige Vereine würden den Empfehlungen bereits folgen, erzählt Wunderlich. Schließlich sei jeder Breitensport-Verein froh, wenn Ehrenamtliche sich engagieren. Nur: Natürlich wollen Eltern wissen, wem sie ihre Kinder anvertrauen. "Der Sportverein muss ein sicherer Ort für alle sein", sagt Wunderlich. Auch deshalb widmet sich der LSB in den vergangenen Jahren verstärkt dem Kinder- und Jugendschutz, erarbeitet mit den Vereinen Schutz-Konzepte und bildet sogenannte Kinderschutzbeauftragte aus.
Doch im Fall von Kathrin und ihrem Sohn ging es um Leistungssport. Die Trainerin sei hoch qualifiziert gewesen, erzählt die Mutter. Nur: "Man konnte nicht mit ihr reden", sagt Kathrin. "Wer keine Leistung brachte, wurde ignoriert. Da wurde ständig ein psychischer Druck aufgebaut."
Eine weitere Erfahrung habe schließlich den Ausschlag gegeben, dass ihr Sohn inzwischen mit dem Rudern aufgehört hat: "Nach seiner zweiten Corona-Impfung hat ihn die Trainerin gedrängt, sofort wieder zu trainieren, obwohl seine Ärztin eine Pause von zwei Wochen empfohlen hat", erzählt Kathrin.
Kurz darauf habe eine Herzmuskelentzündung ihren Sohn ein halbes Jahr lang außer Gefecht gesetzt. "Natürlich lässt sich der Zusammenhang zwischen dem Training und der Erkrankung nicht zu einhundert Prozent feststellen", sagt die Mutter, aber: "Es kann doch nicht sein, dass sich die Trainerin einfach über die ärztliche Empfehlung hinwegsetzt."
Zuvor habe es nie Probleme mit den Trainern gegeben, erzählt die Mutter. Ihr Sohn habe im Verein eine zweite Heimat gefunden. Aber: "Diese Frau hat einfach unfassbaren Druck gemacht." Die Vermutung von Kathrin: "Vielleicht hatte das auch mit ihrer DDR-Sport-Vergangenheit zu tun."
Spielt DDR-Vergangenheit eine Rolle?
Nur eine Mutmaßung. Fest steht jedoch: Zahlreiche Betroffene schilderten in der Vergangenheit immer wieder mannigfaltige Gewalt-Erfahrungen im DDR-Sport-System, gerade im Umgang von Trainern und Trainerinnen mit jungen Sportlerinnen und Sportlern.
Doch: "Die neue Trainer-Generation geht ganz anders mit den Kindern und Jugendlichen um", sagt Kathrin. "Da wird in der Mehrheit pädagogisch wertvoll gearbeitet." Und das müsse auch so sein, sagt die Mutter, denn "sonst wird ihr liebstes Hobby für die Kinder schnell zur Tortur".
*Name von der Redaktion geändert. Der echte Name ist der Redaktion bekannt.
MDR (Daniel George)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 22. März 2023 | 19:00 Uhr
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