Bundestagswahl 2025 | Energiepolitik "Wenn SKW erkältet ist, leidet die ganze Region"
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20. Januar 2025, 14:37 Uhr
Am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Entschieden wird dann auch über die Richtung, die Deutschland in der Energiepolitik einnimmt. Klar ist: Gestiegene Energiepreise belasten die energieintensiven Unternehmen in Sachsen-Anhalt stark – etwa die Stickstoffwerke SKW im Wittenberger Ortsteil Piesteritz. Was sich SKW und andere in Wittenberg von der neuen Bundesregierung wünschen: Teil 1 der MDR-Reihe zur Bundestagswahl in Sachsen-Anhalt.
- Angesichts der hohen Energiepreise verlangt der Geschäftsführer von SKW Piesteritz wenige Wochen vor der Bundestagswahl die sofortige Abschaffung der Gasspeicherumlage.
- Bei den Stadtwerken in Wittenberg kritisiert man eine zu einseitige Energiepolitik.
- An den Unternehmen in Wittenberg hängen nicht nur Tausende Familien, sondern auch Investitionen in die Kultur, sagt der Oberbürgermeister.
Für die rund 860 Beschäftigten der Stickstoffwerke (SKW) im Wittenberger Ortsteil Piesteritz reiht sich im Moment eine Hiobsbotschaft an die nächste. Am Montag hat das Unternehmen seine Produktion gedrosselt. Eine von zwei Ammoniakanlagen wurde für unbestimmte Zeit abgestellt. Der Grund: Die Produktion ist zu teuer. Allerdings kostet auch die Abschaltung das Unternehmen nach eigenen Angaben etwa vier Millionen Euro. Auf die Arbeitsplätze soll diese Entscheidung keine Auswirkungen haben, sagt Geschäftsführer Carsten Franzke. Auch Kurzarbeit sei nicht geplant.
Das kommt schon bei den Leuten an und die machen sich natürlich große Sorgen.
Es ist nicht die erste Konsequenz, die SKW in der Energiekrise ziehen musste. "Wir haben einen Teil des Weihnachtsgeldes im vergangenen Jahr kürzen müssen", gibt Franzke zu. Außerdem habe man für das laufende Jahr eine Nullrunde mit der Gewerkschaft verhandelt. "Das kommt schon bei den Leuten an und die machen sich natürlich große Sorgen", weiß der Geschäftsführer.
Unternehmen konkurrieren mit Billigprodukten aus dem Ausland
Hintergrund der Entscheidung sind die hohen Preise für Gas, die eine Folge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine sind. 80 bis 90 Prozent der Kosten in der Produktion von Düngemittel sind Gaskosten, erklärt Franzke. Und weil konkurrierende Unternehmen aus anderen Ländern einen geringeren Gaspreis zahlen, seien ihre Endprodukte günstiger. Da könne SKW am Markt nicht mithalten, so Franzke.
Wir machen die Unternehmen in Deutschland und in Europa kaputt.
Deutschland sperre zwar die Energiezufuhr aus Russland, importiere aber gleichzeitig Produkte, die mit russischem Gas hergestellt werden, kritisiert der SKW-Geschäftsführer. "Damit habe ich nichts erreicht, außer dass ich noch mehr in Russland den Krieg finanziere", sagt Franzke. "Die Gewinne, die daraus entstehen, fließen alle in die Kriegskasse und machen die Unternehmen in Deutschland und in Europa kaputt."
Abschaffung der Gasspeicherumlage würde SKW 40 Millionen bringen
Denn neben der Energiekrise machen auch Zusatzkosten wie Netzentgelte, die CO2-Steuer und vor allem die Gasspeicherumlage den Unternehmen in Deutschland zu schaffen. "Wenn wir diese Kosten, die das Ausland nicht hat, senken oder streichen, würden wir wieder atmen können", sagt Franzke. "Da könnte die Politik sofort ansetzen und was tun. Das ist das, was wir erwarten und erhoffen." Durch die Abschaffung der Gasspeicherumlage könnte SKW nach eigenen Angaben 40 Millionen Euro jährlich sparen.
Die Gasspeicherumlage
Die Gasspeicherumlage wurde im Oktober 2022 eingeführt. Hintergrund ist, dass die Bundesregierung vorgegeben hat, wie hoch der Füllstand der Gasspeicher zu bestimmten Stichtagen sein soll, um die Versorgung sicherzustellen.
Um diesen Füllstand zu erreichen, muss Erdgas notfalls auch zu höheren Preisen zugekauft werden. Die Kosten dafür werden per Umlage weitergegeben. Sie beträgt seit dem 1. Januar 0,299 Cent pro Kilowattstunde und ist bis zum 31.03.2027 befristet.
Der SKW-Geschäftsführer wird nicht müde zu betonen, wie wichtig eine funktionierende Basischemie für die Wirtschaft und den Wohlstand ist Deutschland ist. Neben Düngemitteln und Harnstoffen kommt nämlich auch AdBlue, mit dem fast alle Lkw fahren, aus Piesteritz. Wenn Lieferketten unterbrochen werden, führe das letztendlich nicht nur zu leeren Supermarktregalen. Man mache sich auch abhängig. "Dann sind wir erpressbar, teilweise von Ländern, die unsere Werte in Europa und in Deutschland gar nicht teilen. Das ist fahrlässig", sagt Franzke.
Was wünscht sich SKW-Chef Carsten Franzke vor der Bundestagswahl? Das sehen Sie im Video.
Ein Viertel aller Betriebe in Sachsen-Anhalt verbraucht viel Energie
Die SKW in Piesteritz sind aber nicht das einzige Unternehmen, dem die hohen Energiepreise zu schaffen machen. Laut Daten des Statistischen Landesamtes im Jahr 2023 gibt es insgesamt 335 energieintensive Betriebe in Sachsen-Anhalt. Allerdings ist dieser Begriff in Deutschland nicht einheitlich definiert, teilt die IHK Magdeburg mit, und bezieht sich je nachdem, welches Gesetz oder welche Leitlinie man betrachtet auf verschiedene Kriterien wie zum Beispiel den jährlichen Stromverbrauch eines Unternehmens.
Damit braucht laut IHK etwa ein Viertel aller Betriebe des verarbeitenden Gewerbes in Sachsen-Anhalt besonders viel Energie. Ihr Gesamtverbrauch lag 2023 bei 37,68 Terrawattstunden. Zum Vergleich: Ein Zwei-Personen-Haushalt hat im Jahr 2021 durchschnittlich 3.470 Kilowattstunden verbraucht. Und eine Terrawattstunde sind eine Milliarde Kilowattstunden.
33.000 Beschäftigte in energieintensiven Unternehmen
Insgesamt arbeiteten den Daten zufolge 33.000 Beschäftigte in Sachsen-Anhalt in energieintensiven Betrieben. Das entspricht einem Anteil von 26 Prozent aller Beschäftigten des verarbeitenden Gewerbes. Energieintensive Unternehmen erwirtschafteten demnach einen Umsatz von 27 Milliarden Euro und damit 52 Prozent des Umsatzes aller verarbeitenden Betriebe. Das verarbeitende Gewerbe machte 2023 einen Anteil an der Bruttowertschöpfung von 18,66 Prozent aus.
Aus diesen Zahlen schließt die IHK, "dass energieintensive Unternehmen eine zentrale Rolle in der Wirtschaftsstruktur Sachsen-Anhalts spielen". Sie tragen demnach überproportional zum Umsatz sowie zur Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe bei und haben gleichzeitig einen starken Anteil am Energieverbrauch. Im bundesweiten Vergleich habe Sachsen-Anhalt einen "überdurchschnittlich hohen Anteil energieintensiver Betriebe". Dies sei vor allem auf die stark vertretende chemische Industrie sowie die Verarbeitung von Rohstoffen zurückzuführen.
Stadtwerke Wittenberg wünschen sich Technologieoffenheit
Ein paar Kilometer von SKW entfernt, direkt in Wittenberg, sitzen die Stadtwerke. Sie versorgen zwei Drittel des Landkreises mit Strom, Gas und Wasser. Das entspricht gut 70.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Auch die Stadtwerke beobachten die Energiepreisentwicklung mit Sorge. Höhere Kosten können sie nicht einfach auf ihre Kundinnen und Kunden umlegen. "Die Belastung unserer Gesellschaft hat die Grenzen des Zumutbaren erreicht", weiß Geschäftsführer Andreas Reinhardt.
Die Belastung unserer Gesellschaft hat die Grenzen des Zumutbaren erreicht.
Um die von der Ampel-Koalition geforderte Wärmewende anzugehen, hat der Energieversorger kürzlich ein modernisiertes Blockheizkraftwerk in Betrieb genommen. Diese ist sogar bereit zum Betrieb mit grünem Wasserstoff. Was Reinhardt aber stört, ist vor allem die Einseitigkeit der aktuellen Energiepolitik. "Auf der einen Seite steigen wir aus Kernkraft aus, möchten aus der Kohlekraft aussteigen, schaffen es aber nicht, ersatzweise grundlastfähige Kraftwerke zu errichten", sagt Reinhardt. Ein weiteres Problem sei, dass erneuerbaren Energien im Moment nicht dauerhaft gespeichert werden können.
Balance aus Preisstabilität, Versorgungssicherheit und Umweltschutz finden
Statt einer ideologiegetriebenen Politik mit Bevormundungen und Verboten wünscht sich der Chef der Stadtwerke eine gewisse Technologieoffenheit sowie langfristige und sichere Rahmenbedingungen. So könne die Energiewende preiswert gestaltet werden bei gleichzeitiger Versorgungssicherheit und ohne den Umweltschutz außer Acht zu lassen. "Das ist das energiewirtschaftliche Dreieck", sagt Reinhardt.
Was wünscht sich der Chef der Wittenberger Stadtwerke, Andreas Reinhardt, vor der Bundestagswahl? Das sehen Sie im Video.
Unternehmen finanzieren Kultur in Wittenberg
Die Bedeutung der Unternehmen kennt auch Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos): "Wenn SKW erkältet ist, dann strahlt das auf die ganze Region aus, nicht nur auf die Stadt. Das hängt nicht nur die Gewerbesteuer dran, sondern Tausende Familien, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben." SKW sei ein Unternehmen, das sich auch stark in die Stadt einbringe, zum Beispiel mit Investitionen in Kitas, Medizin oder Kultur.
Wenn SKW erkältet ist, dann strahlt das auf die ganze Region aus.
Die Unternehmen sieht Zugehör vor einer großen Aufgabe: "Wir machen eine Energietransformation, aber die passiert nicht mit einem Fingerschnips." Hierfür brauche die Bundesregierung einen durchdachten Plan und müsse den Unternehmen gleichzeitig Raum und Zeit lassen, den Transformationsprozess technologieoffen zu denken. "Wenn wir nicht an Wirtschaft denken, dann werden wir den Rest nicht finanzieren können", betont Zugehör. "Ohne Wirtschaft keine Kultur."
Was wünscht sich Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör vor der Bundestagswahl? Das sehen Sie im Video.
Bürokratie sorgt für Frust bei den Kommunen
Dennoch konzentriere sich die Frage der Energieversorgung eher auf die Unternehmen, sagt der Oberbürgermeister. Er erlebt in seinem Arbeitsalltag immer neue Reformen und eine Bürokratie, die lähmt. "Das führt zu Frustration und schlechter Laune, auch auf kommunaler Ebene." Hier wünscht er sich neben Entbürokratisierung von der neuen Bundesregierung vor allem mehr Vertrauen in die Arbeit der Gemeinden.
Außerdem müsse die neue Bundesregierung Wort und Maß halten, fordert Zugehör. Dazu gehöre auch, die Folgen von Entscheidungen abzuschätzen, sowohl für die Kommunen und Unternehmen, als auch für die Menschen die dort leben und arbeiten. "Diese Verbindlichkeit und Verlässlichkeit erwarten die Leute von der Stadt und auch von der Bundesregierung", sagt der Oberbürgermeister und spricht damit für etwa 48.000 Wittenbergerinnen und Wittenberger.
Wie wollen die Parteien Deutschland gestalten? Hintergründe zu den Wahlprogrammen finden Sie hier.
MDR (Fabienne von der Eltz) | Erstmals veröffentlicht am 19.01.2025
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 19. Januar 2025 | 19:00 Uhr
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