Billigkonkurrenz aus Russland Landwirte und Wittenberg bangen um Zukunft von SKW Piesteritz
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03. März 2024, 10:50 Uhr
Beim Düngemittelhersteller SKW Piesteritz in Wittenberg arbeiten 900 Menschen. Doch billige Konkurrenz aus Russland macht dem Hersteller das Leben schwer. Er fordert Unterstützung von der Politik und lässt auch durchblicken: Im Zweifel würden Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt wegfallen.
- Landwirt Stefan Gutzmer aus der Nähe von Wittenberg hält Dünger aus der Region im Vergleich zu ausländischer Ware für die bessere Wahl – nicht nur wegen kürzerer Transportwege.
- SKW Piesteritz verbraucht so viel Gas wie kein anderes Unternehmen in Deutschland. Die gestiegenen Preise verteuern auch eines der wichtigsten Produkte: Stickstoff-Dünger.
- Vor Ort wollen viele, dass der Import von russischem Düngemittel verboten wird.
- Die Stadt Wittenberg fürchtet den Wegfall hoher Steuereinnahmen, falls SKW seine Drohung wahr macht und die Produktion ins Ausland verlagert.
Landwirt Stefan Gutzmer öffnet das Schloss und schiebt die riesige, quietschende Scheunentür zur Seite. In der Scheune lagern 200 Tonnen Dünger für seine Felder: kleine weiße Kügelchen, aufgeschüttet zu einem vier Meter hohen Haufen. Mit beiden Händen greift er hinein und erklärt, warum der Stickstoffdünger am besten ist, wenn er keine weiten Transportwege hinter sich hat: "Für uns ist vor allem wichtig, dass der Dünger sehr rieselfähig ist, damit wir ihn gut streuen können und gleichmäßig verteilen. Nicht, dass wir Klumpen auf dem Acker haben. Das ist schlecht für die Umwelt und schlecht für die Pflanzen."
Komme die Ware aus der Region, sei sie in einem guten Zustand, so Landwirt Gutzmer. "Ausländischer Dünger wird so oft verladen, dass wir einen hohen Staubanteil im Dünger haben, also die Düngerkörner zerrieben sind. Und damit haben wir ungleichmäßige Streubilder auf den Flächen." Für ihn sei Ware, die in der Nähe produziert wurde, immer erste Wahl.
Russland liefert jetzt 900 Prozent mehr Harnstoff
Ganz in der Nähe wird auch produziert: Nur 25 Kilometer entfernt steht die Dünger-Fabrik von SKW Piesteritz. Sie ist eine der größten in Deutschland und der größte Erdgasverbraucher hierzulande. Denn der wichtigste Rohstoff für die Herstellung von Stickstoffdünger ist Erdgas. Das Problem dabei ist der hohe Preis fürs Gas. Mit ihm sind auch die Dünger-Preise gestiegen. In Russland produzieren Hersteller dagegen weiter zu einem Bruchteil der Kosten. Und sie verkaufen inzwischen viel mehr billigen Stickstoff-Dünger und Harnstoff nach Deutschland als früher.
Laut Statistischem Bundesamt sind die Harnstoffimporte von Russland nach Deutschland von 2021 bis 2023 um weit mehr als 900 Prozent gestiegen. "Das sind Zahlen, die kann man eigentlich fast gar nicht fassen", sagte SKW-Geschäftsführerin Antje Bittner MDR SACHSEN-ANHALT. "Es gab immer schon Importe hier nach Deutschland, und wir konnten damit leben als SKW im Wettbewerb zu stehen. Aber mit solchen Riesenunterschieden geht das nicht."
Der Unternehmenssprecher rechnet vor: Auf dem Weltmarkt kostete Harnstoff zwischenzeitlich 380 Euro pro Tonne, während die Sachsen-Anhalter aber schon rund 520 Euro pro Tonne allein für die Produktion benötigten.
Geschäftsführerin Bittner fordert: Die Politik soll helfen – zum Beispiel mit einem Import-Stopp für die Billigkonkurrenz. Doch erst vergangene Woche wurden neue EU-Sanktionen gegen Russland verabschiedet und Düngemittel stehen nicht mit auf der Liste.
Wunsch nach Importbeschränkungen nicht erhört
Der Bundestagsabgeordnete für Dessau-Roßlau und Wittenberg, Sepp Müller (CDU), macht sich in Berlin für genau diese Forderung stark. Auch er ist enttäuscht, dass sie bei diesem Paket von Strafmaßnahmen gegen Russland nicht umgesetzt wurde. "Das wäre eine Chance gewesen. Wir wollen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine nicht weiter bezahlen. Und darum hätte Düngemittel aus Russland auch in das Sanktionspaket gehört. Da hat sich die Bundesregierung nicht eingesetzt, geschweige denn, es durchsetzen können."
Wir wollen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine nicht weiter bezahlen. Und darum hätte Düngemittel aus Russland auch in das Sanktionspaket gehört.
Sanktionen müssten EU-weit beschlossen werden
Diese Vorwürfe der Opposition will man im grünen Bundeswirtschaftsministerium nicht so stehen lassen. Der parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner (Grüne) erklärt, es gehe darum, Piesteritz vor unlauterem Wettbewerb schützen. Deswegen habe man sich den Düngemittelmarkt auch sehr genau angeschaut. "Ich bin auch der Meinung, dass Düngemittel in ein EU-Sanktionspaket hineingehören und dass das Ziel der Bundesregierung ist, das aufzunehmen – aber das muss eine europaweite Regelung sein", so Kellner. Denn solche Sanktionen würden auf EU-Ebene beschlossen.
Wittenberg beunruhigt über möglichen Jobabbau
Ob und wann es Sanktionen geben wird, ist unklar. Diese Unsicherheit sorgt im Rathaus von Wittenberg für Beunruhigung. Denn zwischenzeitlich hieß es bei SKW Piesteritz schon, man könne auch Jobs ins Ausland verlagern. Doch für die Stadt sind die 900 Arbeitsplätze enorm wichtig, betont Torsten Zugehör, der parteilose Oberbürgermeister von Wittenberg. "SKW ist ein richtig großer Steuerzahler in unserer Stadt. Das wäre natürlich eine Katastrophe, auch für den städtischen Haushalt, wenn die komplett ausfallen würden. Das kann so nicht kompensiert werden. Das muss man in aller Klarheit sagen."
Auch Bauer Gutzmer hofft darauf, dass er in Zukunft noch Düngemittel aus der Region beziehen kann. Wenn er in die Gummistiefel steigt, um auf sein Feld zu gehen, geht es neben der Qualität des Düngers für ihn auch um eine ganz grundsätzliche Sache: Zu wissen, dass er die Ware immer dann bekommen kann, wenn er sie braucht. "Wir möchten die Sicherheit haben, dass Ware überhaupt verfügbar ist. Und das geht nur, wenn der Stickstoff in Deutschland produziert wird und auch hier in der Landwirtschaft eingesetzt werden kann", so Gutzmer.
MDR (Stefanie Hornig, Björn Menzel, Luise Kotulla)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 28. Februar 2024 | 19:00 Uhr
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