Notfall-Versorgung Reform des Rettungsdienstes: Steht die Verbindung zum Telenotarzt?
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03. März 2025, 05:14 Uhr
Beim Rettungsdienst in Sachsen-Anhalt knirscht es: Fachkräftemangel, viele Bagatellbenachrichtigungen und lange Anfahrtszeiten. Telenotärzte sollen das System entlasten. Ein erster Test läuft so erfolgreich, dass das Projekt eventuell ausgeweitet wird.
Plötzlich ist Spannung in dem kleinen Büro. Mittlerweile kommt der dritte Anruf bei Telenotarzt Hartmut Stefani an. Stefani sitzt in einem kleinen Büro vor drei Monitoren im zweiten Stock der Hauptwache der Berufsfeuerwehr in Halle. Über sein Headset hört er der Besatzung des Rettungswagen zu, die gerade mit einer älteren Frau im Mansfelder Land unterwegs ist. Sie hat schon viele Operationen hinter sich und klagt über starke Bauchschmerzen unklarer Herkunft, gibt gerade ein Rettungssanitäter durch.
Sollte jetzt einer der vielen anderen Rettungswagen im südlichen Sachsen-Anhalt ärztliche Unterstützung brauchen, muss er sie sich auf einem anderen Weg organisieren. Denn mehr als drei Anfragen gleichzeitig darf ein Telenotarzt nicht abarbeiten. So sind die Einsatzregeln. Schließlich sollen alle Patienten die beste Behandlung bekommen und nicht, weil der Arzt zu viel auf dem Tisch hat, schlechter versorgt werden.
Ein Telenotarzt betreut drei Patienten gleichzeitig
Doch schnell kehrt in dem Büro in Halle-Neustadt wieder routinierte Ruhe ein. Der dritte Anruf war die Besatzung eines anderen Rettungswagens, die nur die Funktionalität der Telenotarzt-Ausrüstung testen wollte: Bild und Ton werden problemlos übertragen. Kurzer Smalltalk, schon ist die Leitung wieder frei. "Seit Oktober läuft der Test und ist für zwei Jahre angelegt", erläutert Telenotarzt und Projektleiter Hartmut Stefani, der auch Chefarzt der Merseburger Notaufnahme ist, das System in der Leitstelle in Halle.
Telenotärzte im Rettungswesen Sachsen-Anhalt hat Ende 2021 die sogenannte Innovationsklausel im Rettungsdienstgesetz Sachsen-Anhalt verankert. Die Klausel erlaubt zeitlich befristete Ausnahmeregelungen, um innovative Konzepte rechtssicher zu erproben, Erfahrungen in der Praxis zu sammeln und anschließend zu evaluieren, teilte das Innenministerium mit.
Der Telenotarzt wird in den Landkreisen Mansfeld-Südharz und Saalekreis und in der Stadt Halle getestet. Dafür ist extra ein Kooperationsvertrag ausgehandelt worden. "Mit der Unterzeichnung der Zweckvereinbarung gehen wir hier im Süden Sachsen-Anhalts einen weiteren wichtigen Schritt, um die medizinische Versorgungsqualität im ländlichen Raum zu sichern", versprach im September der Landrat des Landkreises Mansfeld-Südharz, André Schröder (CDU), bei der Vertragsunterzeichnung.
Telenotärzte bald in ganz Sachsen-Anhalt?
Bei Bedarf unterstützen nun schon seit fünf Monaten 21 speziell geschulte Notärzte die Rettungssanitäter bei ihren Einsätzen, ohne dafür selbst vor Ort zu sein. Hierfür werden ihnen über eigens ausgestattete Rettungswagen und besondere Mobilfunkverbindungen Vitaldaten der Patienten wie Blutdruck und EKG in Echtzeit geliefert. Und klar, natürlich können die Telenotärzte auch mit den Insassen des Rettungswagens sprechen. Hält die Verbindung, ist sogar Videotelefonie möglich.
Das Projekt wird auch in Magdeburg genau beobachtet. Im Innenministerium hofft man, das hochqualifizierte Personal besser disponieren zu können. "Vom Einsatz des Telenotarztes erwarte ich eine qualitative Verbesserung des Rettungsdienstes. Die wertvollen personellen Ressourcen im Rettungsdienst können so optimiert eingesetzt werden", so Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) zum Start des Projekts. Denn auch im Rettungsdienst macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar.
Rettungsdienst soll zukunftsfest werden
Doch nicht nur auf der Seite des Personals erhofft sich Ministerin Zieschang Verbesserungen durch den Telenotarzt. Schon seit einiger Zeit ist bekannt, dass viele Kranken- und Notarztwagen länger zum Einsatzort unterwegs sind als gesetzlich gefordert. Zudem klagen die Rettungskräfte über stark zunehmende Bagatelleinsätze, die wichtige Kapazitäten binden. Beim Rettungsdienst in Sachsen-Anhalt besteht also durchaus Reformdruck. Auch deshalb wird im Landkreis Wittenberg der Einsatz von Gemeindenotfallsanitätern getestet. Sie sind erfolgreich rings um Gräfenhainichen im Einsatz, um Haus- und Notärzten etwas Arbeit abzunehmen.
Die Innenministerin hofft durch Projekte wie Gemeindenotfallsanitäter oder Telenotarzt, wichtige Hinweise zu erhalten und notwendige Veränderungen beim Rettungsdienst in Sachsen-Anhalt umsetzen zu können. "Mit dem Telenotarzt werden bewusst städtische und vor allem auch ländlich geprägte Rettungsdienstbereiche abgedeckt. Die daraus gewonnenen Erfahrungen sollen uns dabei unterstützen, den Rettungsdienst weiter zu optimieren und landesweit zukunftsfest zu machen", so Zieschang.
Ärzte sollen schneller am Einsatzort sein
Allerdings müsse niemand Angst haben, dass durch den Telenotarzt zukünftig weniger Notärzte im Land beschäftigt werden, stellt Mediziner Stefani klar. Im Gegenteil: "Mit dem Telenotarztsystem geht es uns darum, die Verfügbarkeit eines physischen Notarztes an der Einsatzstelle zu erhöhen." Und Ministerin Zieschang versichert: "Soweit ein Rettungsdiensteinsatz das persönliche ärztliche Handeln vor Ort erfordert, wird auch weiterhin der Notarzt vor Ort zur Verfügung stehen."
Das Telenotarztsystem in Deutschland Erstmals gestartet ist dieses Modell, bei dem Ärzte digital zugeschaltet die Mannschaft eines Rettungswagens unterstützen, 2014 in Aachen. Ziel war es, "steigenden Einsatzzahlen des Rettungsdienstes und zunehmendem Ärztemangel mit einem innovativen Konzept" zu begegnen, hieß es zum Start von der Uniklinik Aachen. Inzwischen wird in vielen Bundesländern auf Telenotärzte im Rettungsdienst gesetzt.
Die wichtigste Frage aber, die mit dem Pilotprojekt auch geklärt werden soll: Hält die Mobilfunkverbindung zwischen Telenotarzt in seiner Einsatzzentrale in Halle und der Besatzung des Rettungswagens vor Ort?
"Das war vor dem Start wirklich eine wichtige Frage: Wie stabil ist die Verbindung", erzählt Telenotarzt Stefani. Um das zu testen, haben sich die Verantwortlichen sowohl die recht gut mit Mobilfunk versorgte Stadt Halle und das etwas lückenhafte Umland ausgesucht.
Verbindung beim Telenotarzt meist stabil
Inzwischen können die Verantwortlichen Entwarnung geben. Bislang habe es bei rund 250 Einätzen des Telenotarztes nur fünf Fälle gegeben, bei dem er nicht erreicht werden konnte. "In solchen Fällen wird dann beispielsweise ein physischer Notarzt durch die Leitstelle zum Einsatzort geschickt", erzählt Martin Bosch. Er begleitet für die Uni Halle das Projekt und wertet die Daten wissenschaftlich aus.
Dabei ist auch klar geworden, dass das Telenotarztsystem nicht sonderlich einfach zu verstehen und zu bedienen ist. "Es ist nicht intuitiv", so Bosch. Deshalb habe man zahlreiche Schulungsangebote für die Besatzungen der mehr als fünfzig Rettungswagen aufgelegt. "Insgesamt ist die Akzeptanz unter den Kolleginnen und Kollegen hoch", freut sich auch Telenotarzt Stefani. Ob das Telenotarztsystem nun auch dafür sorgt, dass die Mediziner schneller am Einsatzort sind, bleibt erst mal unklar. "So was wird sich erst bei einem 24 Stunden-Betrieb klären. Derzeit arbeiten wir nur von montags bis freitags von 7 bis 19 Uhr", erklärt Stefani.
Telenotärzte bald im ganzen Land?
Im Innenministerium in Magdeburg sind die Mitarbeiter mit dem Testbetrieb zufrieden. Die ersten Erfahrungen mit dem Projekt seien "positiv", heißt es auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Allerdings sei es noch zu früh, um über eine "landesweite Einführung des Telenotarztes in Sachsen-Anhalt" zu entscheiden. Um weitere Erfahrungen sammeln zu können, prüfe man derzeit, "ob ein zweites Projekt an den Start geht, bei dem die Kassenärztliche Vereinigung in Magdeburg als Träger fungieren würde, und somit für den nördlichen Landesteil Erfahrungen sammelt".
Für Telenotarzt Stefani sind das gute Nachrichten. Er ist davon überzeugt, dass das System funktioniert. Was aber noch viel wichtiger ist: Das Modell kommt auch bei den Patienten gut an. "Bislang hat niemand die Behandlung durch einen Telenotarzt abgelehnt. Mehr noch: Die meisten sind interessiert und unterhalten sich gerne mit dem Mediziner."
MDR (Hannes Leonard), dpa
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 02. März 2025 | 19:00 Uhr
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