Modellprojekt Gemeindenotfallsanitäter in Wittenberg: "Das meiste kann ich an Ort und Stelle versorgen"
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13. September 2024, 10:51 Uhr
Immer wieder wird beklagt, dass Notärzte zu oft zu Fehlfahrten ausrücken. Viele Patientinnen und Patienten werden mit Blaulicht gefahren, obwohl sie nicht lebensbedrohlich erkrankt sind. Dem versucht der Landkreis Wittenberg seit gut einem Jahr mit einem Modellprojekt entgegenzuwirken. In Gräfenhainichen sind fünf Gemeindenotfallsanitäter stationiert. Sie sollen die medizinische Erstversorgung übernehmen – wie zu DDR-Zeiten die beliebte Fernsehfigur "Schwester Agnes".
Von Schwester Agnes habe er schon etwas gehört, sagt Notfallsanitäter Max Rodinger. Aber viel falle ihm nicht dazu ein. Das sind ehrliche Worte, denn der junge Mann ist gerade 27 Jahre alt und "Schwester Agnes" flimmerte erstmals 1975 über die Leinwand – also vor fast einem halben Jahrhundert.
"Team Agnes" in Wittenberg im Einsatz
Schauspielerin Agnes Kraus knatterte damals mit der "Schwalbe" durch die Dörfer Brandenburgs. Die engagierte Krankenschwester kümmerte sich um alle möglichen Wehwehchen, aber auch um die Alltagssorgen der Dorfbewohner.
Heute gehört Max Rodinger zum "Team Agnes" im Landkreis Wittenberg: Fünf Gemeindenotfallsanitäter sind rings um Gräfenhainichen im Radius von 15 Kilometern im Einsatz, um Haus- und Notärzten etwas Arbeit abzunehmen. "Da sind alle möglichen Krankheitsfälle dabei: Erkältungen, Schwindel, Schwächezustände. Oder es hat sich jemand eine Schnittverletzung zugezogen. Das meiste kann ich an Ort und Stelle versorgen", so der ausgebildete Notfallsanitäter. Er schätzt, dass in 80 Prozent seiner Einsätze kein Notarzt alarmiert werden musste.
Kein Termin bei Hausarzt: Kranke rufen Notarzt
"Genau das ist der Punkt", ergänzt Mario Kleinschmidt, der Rettungsdienstleiter des Deutschen-Roten Kreuzes im Landkreis Wittenberg. "Viele bekommen keinen Termin beim Hausarzt und rufen deshalb, wenn es ihnen nicht gut geht, den Notarzt. Die Menschen haben schon Beschwerden, sie sind aber kein Notfall. Und dann sind wir da. Als Puffer."
In der Praxis werden die Gemeindenotfallsanitäter von der Rettungsleitstelle in Wittenberg per elektronischem Pieper informiert, um vor Ort eine medizinische Erstversorgung vorzunehmen. Die Prüfung, welche medizinischen Schritte einzuleiten sind, erfolgt immer individuell. Droht Lebensgefahr, wird an Ort und Stelle versorgt und gleichzeitig ein Notarzt gerufen.
Notfallsanitäter seit einem Jahr im Einsatz
Die Bilanz nach einem Jahr fällt vielversprechend aus. Kleinschmidt zufolge habe man sich bei den Hilfsfristen deutlich verbessert. "Fünf Prozent ging es nach oben. Das klingt nicht viel, ist aber echt ein Phänomen." Es geht um die gesetzlich vorgeschriebene 12-Minuten-Rettungsfrist. In dieser Zeit sollte die medizinische Hilfe vor Ort sein. Rings um Gräfenhainichen liegt die Quote inzwischen bei über 80 Prozent.
Der DRK-Rettungsdienstleiter hat aber noch weitere Vorteile ausgemacht: Die Zahl der Fehlfahrten der Notärzte konnte um etwa zehn Prozent reduziert werden. Gleichzeitig habe man mehr Zeit für eine ausführliche Beratung gefunden, was die Patienten dankbar annehmen würden. Somit blickt er optimistisch in die Zukunft, zumal es auch nicht an Nachwuchs mangelt. "Wir haben gerade sieben junge Mitarbeiter, die sich zum Gemeindenotfallsanitäter weiterbilden lassen. Das sieht richtig gut aus."
Größeres Einsatzgebiet in Planung
Diese Meinung teilt auch Landrat Christian Tylsch (CDU), der das zweijährige Landes-Modellprojekt schon jetzt als großen Erfolg verbucht. "Wir hatten in dem ersten Jahr 470 Einsätze. Die Einsätze verliefen schneller als sonst, wir haben das medizinische System entlastet – also die Hausärzte und Notärzte. Außerdem ist es auch noch preiswerter."
Die Gemeindenotfallsanitäter in Gräfenhainichen sind jeden Tag im Einsatz, immer von 7 bis 19 Uhr. Das reiche völlig aus, heißt es. In den Nachtstunden würden deutlich weniger Meldungen eintrudeln. Landrat Tylsch plant bereits, das Einsatzgebiet auszudehnen, um die Gemeindenotfallsanitäter auch in anderen Regionen des Landkreises einzusetzen. "Wir können das auch in Jessen und in Coswig machen oder in Bad Schmiedeberg. Das wird gerade geprüft."
Einen Vergleich zu "Schwester Agnes" will der Christdemokrat dabei nicht ziehen. Die Notfallsanitäter seien viel besser ausgebildet und könnten viel mehr leisten als eine DDR-Krankenschwester auf dem Moped.
MDR (André Damm, Moritz Arand)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 12. September 2024 | 19:00 Uhr
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