Attacken auf Feuerwehrleute und Retter Wie eine Rettungssanitäterin unter einem körperlichen Angriff leidet
Hauptinhalt
14. Juli 2021, 12:40 Uhr
Rettungsdienstmitarbeiter werden in Deutschland regelmäßig verbal oder körperlich angegriffen. Am häufigsten sind verbale Attacken wie Beschimpfungen oder Beleidigungen. Die Retter leiden oft lange Zeit darunter. Eine davon ist Emily K. aus Ostthüringen.
Es war eigentlich ein ganz normaler Einsatz damals im April 2020. Rettungssanitäterin Emily K. hatte Nachtdienst. Kurz vor Dienstschluss wurde sie mit ihrer Kollegin nochmal losgeschickt. Eine Frau hatte den Notruf gewählt, von Suizidgedanken gesprochen und um Hilfe gebeten. Kurz danach waren die Retter vor Ort, auch ein Notarzt kam dazu. Gemeinsam mit der Patientin hatte das Team entschieden, dass die Frau in die Klinik gebracht werden soll.
Was dann geschah, lässt Emily K. bis heute nicht los. "Als wir draußen am Auto standen, hatte ich sie gebeten, einzusteigen. Darauf reagierte sie dann etwas unwirsch und fing an, mich zu beschimpfen."
Angriff kam unerwartet und von hinten
Um die Situation zu entspannen, wollte Emily K. ein paar Schritte weggehen. Doch davon fühlte sich die Patientin offenbar provoziert: "In dem Moment ist sie von hinten auf mich zugegangen, hat mich in den Schwitzkasten genommen und gewürgt", erzählt die Sanitäterin. Beide Frauen gingen zu Boden. "Erst, als der Notarzt und die anderen Sanitäter mir zu Hilfe kamen, konnte ich mich befreien." Die Polizei wurde schließlich alarmiert und der Einsatz trotz allem zu Ende gebracht.
Folgen des Angriffs bis heute spürbar
So richtig darüber nachdenken konnte Emily K. erst, als die Patientin sicher in der Klinik war. "Als ich wieder in der Rettungswache saß, sind mir erstmal die Tränen gekommen. Bis dahin hatte ich total unter Strom gestanden." Monatelang hatte die Sanitäterin danach Probleme: "Bis heute kann ich es nicht aushalten, wenn jemand Fremdes hinter mir steht, sofort bekomme ich Panik und alles ist wieder da".
Trotzdem schaue ich jetzt immer schon beim Ankommen nach einem möglichen Fluchtweg.
Dazu kamen körperliche Probleme. Schmerzen im Halsbereich, blaue Flecke, von einer Art Schleudertrauma spricht Emily K., ihr Chef bestand damals darauf, dass sie sich im Krankenhaus untersuchen lässt. Auch eine psychologische Betreuung ist ihr angeboten worden, das wollte sie dann aber doch nicht. Mit ihrer Kollegin hat sie viel geredet und auch ihr Partner, selbst Rettungssanitäter, hat ihr sehr geholfen.
Rettungssanitäterin: Trotz allem Traumberuf
Emily K. ist seit vielen Jahren Rettungssanitäterin. Seit 2019 ist sie im Bereich des Rettungsdienstzweckverbandes Ostthüringen tätig, ihren genauen Arbeitsort will sie, wie auch ihren richtigen Namen, nicht nennen. Normalerweise fährt sie 12-Stunden-Schichten, während der Corona-Pandemie waren es 24-Stunden-Schichten.
Es ist ein erfüllender Beruf, sagt sie, aber auch ein sehr schwieriger. Oft nimmt sie Schicksale mit nach Hause, die ihr im Laufe ihrer Schicht begegnen. "Manchmal begleitet mich das tagelang. Aber das muss man wegstecken, denn im Einsatz muss man hoch konzentriert sein, um den Menschen helfen zu können", sagt sie. Doch seit dem Übergriff hat sie manchmal ein mulmiges Gefühl bei der Arbeit.
Mittlerweile wird öfter als früher die Polizei als Unterstützung zum Einsatzort bestellt. "Trotzdem schaue ich jetzt immer schon beim Ankommen nach einem möglichen Fluchtweg, lasse immer die Wohnungstüren offen, bin viel vorsichtiger geworden."
Beleidigt, bespuckt, angegriffen
Auch Notarzt Ron Sturm hat das Gefühl, dass der Ton rauer wird. Rettungskräfte werden viel schneller mal angepöbelt als früher. Da wird geschimpft, wenn der Rettungswagen zu lange die Durchfahrt blockiert. Oder Leute weigern sich, den Fahrstuhl für die Retter frei zu machen. Auch auf der Straße dauert es manchmal sehr lange, bis dem Rettungswagen Platz gemacht wird. Ganz schlimm ist es, wenn jemand aus einer Gruppe Hilfe braucht, erzählt der Notarzt: "Auch, wenn der Patient selber froh ist, dass wir kommen, werden wir oft von seinen Freunden beleidigt."
Ron Sturm hat 25 Jahre als Anästhesist gearbeitet, seit 1994 ist er als Notarzt unterwegs, in mehreren Bundesländern. Jetzt arbeitet er in Gera, ist außerdem Ärztlicher Leiter Rettungsdienst beim Rettungsdienstzweckverband Ostthüringen. Der Mediziner spricht von einem negativen Trend. "Das fängt an bei verbalen Übergriffen, man wird angespuckt, körperliche Angriffe sind zum Glück noch sehr selten." Einen großen Unterschied beobachtet er zwischen Stadt und Land: "Auf dem Dorf gibt es so etwas extrem selten".
Zahlen in ganz Thüringen gestiegen
Die Angriffe gegen Einsatzkräfte von Rettungsdienst und Feuerwehr haben zugenommen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist die Zahl der Gewalttaten um 57 Prozent auf 55 Fälle gestiegen. Davon entfallen 50 Angriffe auf Rettungsdienstkräfte und fünf Angriffe auf Feuerwehrkräfte. Dabei wurden 14 Rettungsdienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter sowie zwei Feuerwehrmänner verletzt. Diese Zahlen sind aktuell auch Thema im Thüringer Landtag.
Verschiedene Strategien zur Lösung des Problems
Wenn Rettungskräfte angegriffen werden, dürfen sie sich natürlich verteidigen, sagt Ron Sturm. "Für alles andere ist die Polizei zuständig. Aber wenn ein Patient, der vielleicht durch Drogen oder Alkohol aggressiv geworden ist, dann mit Fußfesseln auf der Trage liegt, tut er mir eher leid, als dass ich wütend bin." Deshalb wird bei den Rettern viel Wert gelegt auf Prävention. Es gibt Schulungen, vor allem wie Kommunikation solche Situationen befrieden kann.
Vom Thüringer Innenministerium heißt es dazu, dass Konfliktlösungs- und Deeskalationsstrategien schon in der Ausbildung zum Notfallsanitäter vermittelt würden. Fortbildung gäbe es in den Bereichen Kommunikation und Selbstverteidigung. Im Jahr 2019 gründete sich der Landespräventionsrat und es wurde eine Arbeitsgruppe "Gewalt gegen Einsatzkräfte der Feuerwehren und Rettungsdienste“ ins Leben gerufen. Dazu kommt eine konsequente Verfolgung solcher Angriffe.
Thüringens Innenminister Georg Maier: "Bei meiner aktuellen Respekt den Rettern-Tour durch Thüringen zu den unterschiedlichsten Hilfsorganisationen und Feuerwehren lerne ich Menschen kennen, deren Lebensaufgabe es ist, anderen zu helfen, für uns durchs Feuer und bis an ihr Limit zu gehen. Diese Menschen geben der Hilfe ein Gesicht. Sie haben Familien und ihre eigenen privaten Geschichten und sehr viel Engagement. Umso unverständlicher ist es, wenn genau diesen Menschen Gewalt - egal ob verbal oder körperlich - angetan wird. Sowas geht gar nicht und muss konsequent bestraft werden.“
Dunkelziffer noch viel zu hoch
Für Ron Sturm und Emily K. beginnt das Problem aber schon eher: Die meisten Kolleginnen und Kollegen melden derartige Vorfälle nicht. Entweder ist man schon beim nächsten Einsatz, oder die Vorfälle werden verdrängt. "Hilfreich wäre ein Portal im Internet, wo mit wenig Zeitaufwand alles eingetragen werden könnte." Darüber hinaus sollte es aus Sicht der Retter mehr Schulungstage geben.
Ihren Beruf aufzugeben, kommt trotz allem weder für Emily K. noch für Ron Sturm in Frage. "Auch, wenn man seltener als früher mal ein Dankeschön hört, wir sind glücklich, wenn wir helfen können" sagt der Notarzt. Und Emily K. ergänzt: "Wenn man dann noch einen Brief von einer Mama bekommt, deren Kind man retten konnte, wiegt das Hunderte Beleidigungen wieder auf".
Quelle: MDR THÜRINGEN
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 15. Juli 2021 | 16:00 Uhr