Große und kleine Videoprojektionen mit mehreren Menschen auf einer Bühne. 4 min
Beim Festival werden auch Tänzerinnen mit ihrer Performance "Handarbeit" auftreten. Bildrechte: Judith Paletta
4 min

Mit Kunstaktionen zu mehr Miteinander möchte es das Osten-Festival in Bitterfeld schaffen. Besonders in dieser Region ist so ein Event vielversprechen, hat Ulrich Wittstock erfahren.

MDR KULTUR - Das Radio Fr 31.05.2024 08:27Uhr 03:59 min

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Kunst und Miteinander Wolfen: Festival feiert Umbruch und Chancen im Osten

01. Juni 2024, 04:00 Uhr

Vom Abbruch zum Aufbruch: Das Gelände der ehemaligen Filmfabrik Wolfen wird ab Samstag zum Kunstparcours. Gemeinsam mit den Menschen der Region erkunden rund 100 Künstlerinnen und Künstler beim Festival "Osten" in einem Erlebnispark den Umbruch und seine Folgen. Ein Highlight ist die neu gebaute temporäre Wasserrutsche an der alten Feuerwache, die zum Festivalauftakt in Betrieb genommen wird.

ORWO – Original Wolfen, wer in der DDR aufgewachsen ist, kennt diese Marke. Familienalben sind voller ORWO-Fotos und in mancher Kiste finden sich noch ORWO-Tonbänder oder Kassetten. Das alte ORWO-Gelände ist inzwischen Industriepark und Museum, jetzt wird es zu einem Kunstparcours. Gemeinsam mit den Menschen der Region erkunden Künstlerinnen und Künstler, welche Spuren der Umbruch hinterlassen hat und welche Zukunft möglich ist.

Kunst und Begegnung auf dem alten ORWO-Gelände

Zum zweiten Mal lädt der Verein Kulturpark e.V. zu einem Kunstfestival nach Bitterfeld-Wolfen ein. Stand vor zwei Jahren der Kulturpalast Bitterfeld im Mittelpunkt, so wird in diesem Jahr der Chemiepark erkundet. Zentraler Ort soll die alte Feuerwache sein. Dort, wo einst die Feuerwehren parkten, werden nun Bühne und Bar aufgebaut.

Wir stellen nicht einfach nur Kunstwerke aus, sondern wollen, dass die Menschen ins Gespräch kommen.

Festivalmacher Christian Tschirner

Bei dem Festival geht es um Kunst, aber vor allem auch darum, miteinander in Kontakt zu kommen, erklärt einer der Festivalmacher, Christian Tschirner: "Es heißt ja nicht umsonst Festival für gegenseitige Interesse. Wir stellen ja nicht einfach nur Kunstwerke aus, sondern wollen, dass die Menschen ins Gespräch kommen." Mit einem klassischen Museums- oder Theaterbesuch hat das Festival also eher weniger zu tun.

Festivalmacher Christian Tschirner,  ein mann mit kurzen Haaren, kurzem Bart und Brille mit weißem Hemd sitzt auf einem Stuhl. Im Hintergrund ist ein DDR-Schaltpult zu sehen.
Festivalmacher Aljoscha Begrich ist sonst als Dramaturg tätig. Bildrechte: Ulrich Wittstock

Der Ausstellungsort wird weniger ein Freiluftmuseum sein, als vielmehr eine Art Erlebnispark. Aus dem oberen Stockwerk der Feuerwache ragt ein riesiger Holzschnorchel, eine temporäre Wasserrutsche. Erlebnisbäder gehörten ja nach der Wende zu den ersten großen Investitionen in Ostdeutschland.

In der Region Bitterfeld-Wolfen zeigen sich die Umbrüche der vergangenen Jahrzehnte wie in einem Brennglas. Das zeigt auch die Aktion "Allee der tausend Düfte". So hieß einst im Volksmund die Straße zwischen Bitterfeld und Wolfen, wegen der vielen chemischen Ausdünstungen. Sie wird nun Ort einer Puppenparade, organisiert von Puppenbauern aus den USA, in Zusammenarbeit mit dem Amateurtheater und dem Malverein aus Wolfen. Die Einladung mitzumachen, ist ein wichtiger Teil des Festivals.

Neuer "Bitterfelder Weg"?

"Greif zur Feder Kumpel" – unter dieser Überschrift wollte einst die DDR-Staatsführung die Arbeiter ermutigen, selbst Künstler zu werden. Dieser "Bitterfelder Weg" wurde 1959 im Kulturpalast der Stadt beschlossen. Davon erhofften sich die Kulturfunktionäre weniger kritische Kunstwerke, was allerdings misslang.

Doch die Langzeitfolgen sind noch immer in der Region spürbar, sagt Festivalmacher Christian Tschirner: "Es ist oft nicht leicht, Leute zum Mitmachen anzuregen. Aber hier ist das kein Problem. Es gibt ein Amateurtheater, ein Ballett-Ensemble, es gibt einen Malverein. Wir wären ja ignorant und dumm, diese Menschen auszuschließen." Es gebe eine große Offenheit in der Region auch für merkwürdige Formate. So etwa gibt es das Angebot einer Motorradtour durch den Chemiepark. Innerhalb kürzester Zeit hätten sich da Leute zusammengefunden.

Wir wären ja ignorant und dumm, diese Menschen auszuschließen.

Festivalmacher Christian Tschirner

An einem alten Backsteingebäude ist ein rotes Gerüst befestigt.
Das Festival findet zu großen Teilen in der alten Feuerwache im Bitterfeld-Wolfen statt. Bildrechte: Ulrich Wittstock

Der Osten als Entwicklungslabor

Der Niedergang von ORWO ist kein Einzelfall. Auch KODAK, einstiger Weltmarktführer ist aus der Fototechnologie ausgestiegen. Der größte Hersteller der ehemaligen Sowjetunion, Svema, ist pleite. An allen drei Standorten zeigen sich ähnliche Probleme: Deindustrialisierung, Umweltzerstörung, Abwanderung. Wer heute das alte Werksgelände der Filmfabrik besucht, der kann allenfalls ahnen, unter welche Bedingungen hier produziert wurde.

Festivalleiter Aljoscha Begrich, ein Mann mit mittellangem grauem Haar, Bart und beigem Jackett, steht vor einem Plakat, auf dem eine nackte schwimmende Person zu sehen ist.
Auch Festivalleiter Christian Tschirner arbeitet als Dramaturg und Kurator. Bildrechte: Ulrich Wittstock

Festivalleiter Aljoscha Begrich geht es auch darum, eine Art Zwischenstand abzubilden: "Es ist ja ganz viel gelungen, wenn wir über die Umwelt sprechen. Inzwischen findet man wieder Käferarten auf dem Gelände des Chemieparks, die vor hundert Jahren verschwanden. Man kann in den alten Braunkohlelöchern schwimmen oder Boot fahren." Auch das sei Teil der Gegenwart in der Region. Natürlich gebe es Menschen, die vom Umbruch profitiert haben und solche, die eine andere Erfahrung gemacht hätten. Darüber zu reden, so Aljoscha Begrich, sei ein weiteres Ziel des Festivals.

Festivalauftakt mit Wasserrutsche

Zum Auftakt wird die Wasserrutsche an der Feuerwache in Betrieb genommen. Es gibt sogar ein Festival-Badehandtuch. Ob allerdings der Oberbürgermeister von Bitterfeld-Wolfen, Armin Schenk, sich so ein Badetuch umhängen wird, ist fraglich. Er wird als Schirmherr das Festival eröffnen. Während die Organisatoren hoffen, dass Wetter und Stimmung den großen Einsatz aller rechtfertigen, gehen hinter den Kulissen die Planungen weiter. Das nächste Festival soll in zwei Jahren erneut in Bitterfeld-Wolfen den Osten feiern, als eine Region, in der Veränderung Teil der Identität ist.

Ein bunter Ausdruck einer architektonischen Skizze liegt auf einem Tisch mit anderen Utensilien.
Die Wasserrutsche an der Feuerwache wird neu für das Festival gebaut. Bildrechte: Ulrich Wittstock

Mehr Informationen zur Ausstellung

Festival OSTEN – zwei Wochen Kunst und Kultur in Bitterfeld-Wolfen
1. bis 16. Juni 2024

Adresse:
Alte Feuerwache Wolfen
Areal A, Gebäude 046, Bunsenstraße
06766 Bitterfeld-Wolfen, Ortsteil Wolfen

Öffnungszeiten:
Festivalzentrum: Freitag und Samstag von 14 bis 23 Uhr, Sonntag von 14 bis 21 Uhr
Wasserrutsche, Ausstellung und Gebäude: 1. Juni von 16 bis 19 Uhr, 2. Juni sowie 7. bis 9. Juni und 14. bis 16. Juni von 14 bis 19 Uhr

Preise:
Erwachsene 14 Euro, ermäßigt 10 Euro
Viele Veranstaltungen können kostenfrei besucht werden. Tickets gibt es online und an verschiedenen Stellen vor Ort.

Redaktionelle Bearbeitung: as, hro

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 01. Juni 2024 | 06:15 Uhr

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