1. bis 16. Juni 2024 Osten-Festival begibt sich auf Spuren der Industriegeschichte in Bitterfeld-Wolfen
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09. April 2024, 12:41 Uhr
Das Kunst- und Kulturfestival Osten lädt nach dem Auftakt vor zwei Jahren wieder nach Bitterfeld-Wolfen. Vom 1. bis 16. Juni 2024 wird ein vielfältiges Programm mit Theater, Performances, Workshops und Ausflügen geboten. Der Fokus liegt in diesem Jahr auf der bewegten Geschichte der ehemaligen Filmfabrik in Wolfen. Verschiedene Orte der Industriekultur werden ebenso bespielt wie das ehemalige Kino. Das Festival will Begegnungen ermöglichen und in den Austausch über "den Osten" gehen.
- Die zweite Ausgabe des Festivals Osten legt einen Fokus auf die Industriegeschichte rund um die ehemalige Filmfabrik in Wolfen.
- Laut Kurator Martin Naundorf will das Festival verschiedene Menschen in Bitterfeld-Wolfen zusammenbringen.
- Künstlerin Anke Heelemann sammelt für ihr Kunstprojekt alte Fotos aus Bitterfeld und Wolfen.
"Greif zur Feder, Kumpel" – unter diesem Motto startete 1959 ein Versuch der DDR, die sogenannte Hochkultur mit der sogenannten Arbeiterklasse zu versöhnen. Doch der dichtende Schichtarbeiter blieb eine Ausnahme. Nicht diese Kunst aus der Region machte Schlagzeilen, sondern die Rauchfahnen der Großchemie, die selbst noch aus dem Weltraum zu sehen waren. Diese Industriegeschichte kann inzwischen in Museen besichtigt werden. Doch wie sieht eigentlich die Zukunft der Region aus? Das Festival Osten, das in Bitterfeld-Wolfen nun zum zweiten Mal stattfindet, sucht nach Antworten.
Filmfabrik Wolfen schrieb Industriegeschichte in der DDR
1994 wurde die Filmfabrik Wolfen liquidiert. Alle Versuche, den traditionsreichen Standort der Fotochemie zu retten, waren zuvor fehlgeschlagen. In Wolfen war einst der Farbfilm als Massenprodukt erfunden worden – unter dem Markennamen Agfa. Die DDR führte den Betrieb als ORWO weiter. Mehr als 14.000 Beschäftigte produzierten Rollfilme, Tonbänder und Kassetten, mit denen Millionen von DDR-Bürgern aufwuchsen.
Martin Naundorf, einer der Kuratoren des Festivals, wurde in jenem Jahr geboren, als ORWO abgewickelt wurde. Er sieht mit einigem Abstand auf diese Entwicklung. "Ich bin Jahrgang 1994. Das heißt, für mich ist das natürlich auch eine interessante Befragung: Was lässt sich aus der Vergangenheit noch erzählen? Was ist heute für die Gegenwart interessant? Und was lässt sich dafür in der Zukunft ableiten?" Vor diesem Hintergrund hat Martin Naundorf die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler mit ihren Projekten mit ausgewählt und begleitet sie nun.
Bitterfeld-Wolfen als beispielhafte Entwicklung
Was sich 1994 wohl kaum jemand vorstellen konnte, ist nämlich erneut ein Thema – diesmal aber gesamtdeutsch. Der Klimawandel erzwingt eine weitere industrielle Transformation und plötzlich erscheint der "neue" Bitterfelder Weg, nämlich vom Industriegrau zum Landschaftsgrün, in einem ganz anderen Licht. Tatsächlich erinnert kaum noch etwas an die katastrophalen Umstände, unter denen einst in den Fabriken produziert wurde.
Das Festival Osten steht nicht für eine Himmelsrichtung, sondern für eine Entwicklung, so Martin Naundorf: "Wir sehen Bitterfeld-Wolfen als ein spannendes Beispiel und merken, dass sich hier einfach sehr viele Geschichten und sehr viele Lebenserfahrungen bündeln", erzählt der Kurator. Und um darüber ins Gespräch zu kommen, nutzen die Macherinnen und Macher des Festivals die Mittel von Kunst und Theater.
Wir sehen Bitterfeld-Wolfen als ein spannendes Beispiel und merken, dass sich hier einfach sehr viele Geschichten und sehr viele Lebenserfahrungen bündeln.
Kunstprojekt in Bitterfeld-Wolfen: analoges Erinnern
Die Geschichte der Filmfabrik kann man im Museum betrachten, die privaten Fotos jener Jahre werden allerdings oft entsorgt. Die Künstlerin Anke Heelemann hat für solche "herrenlosen" Bilder eine Sammelstelle eingerichtet: "Ich sammele diese Bilder, die Leute wegwerfen. Das sind eigentlich Schätze, die Leute mal besessen haben. Und wenn sich dafür keiner interessiert, dann werden sie halt weggeschmissen", so die Künstlerin. Es ist so eine Art Fotorecycling in Zeiten von Smartphone und digitalen Bildwelten.
Für das Festival Osten hat Anke Heelemann die Einwohner gebeten, ihre Fotoarchive und Alben für eine Installation zu öffnen. Birgit Heinicke arbeitete einst selbst bei ORWO und macht nun ihre privaten Fotoalben öffentlich. "Ich weiß aus dem eigenen Bekanntenkreis, dass ein ganz großer Teil der Fotos verschwindet und wegkommt. Und insofern ist es eine tolle Idee, dass man eben solche Geschichten am Leben erhält – nicht nur das neue Bunte, sondern eben auch die Welt, die davor gewesen ist, die wir erlebt haben", meint Heinicke.
Festival Osten will Menschen zusammen bringen
Anke Heelemann wird eine Auswahl der Fotos auf einem großen Tafeltisch präsentieren. Sie können verschoben und neu sortiert werden, zu Geschichten verwoben und mit Kreide auch kommentiert werden. "Neubelichtung" lautet der Titel der Arbeit, der wohl auch programmatisch für das Festival steht. "Das ist das Spannende, dass ich als Künstlerin letztendlich viel freier damit umgehen kann. Ich habe natürlich klar die Verantwortung für diese Bilder. Ich versuche aber nicht, fertige Geschichten zu erzählen", erklärt Heelemann.
Für Kurator Martin Naundorf zeigt das Projekt "Neubelichtung" deutlich, worum es den Macherinnen und Machern geht: "Wir wollen mittels der Kunst Menschen ins Gespräch bringen und gegenseitiges Interesse erzeugen. Und das gilt zwischen Menschen jeden Alters, zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen, zwischen Menschen aus Ost und West." Wer an diesem Austausch teilnehmen will, der kann vom 1. bis 16. Juni in Bitterfeld-Wolfen auf Erkundungstour gehen.
Informationen zum Festival
Festival Osten in Bitterfeld-Wolfen
1. bis 16. Juni 2024
Festival-Programm und weitere Informationen auf der Webseite.
Redaktionelle Bearbeitung: lig
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 09. April 2024 | 07:40 Uhr