recap Wie Deutschland Singles und Unverheiratete zur Kasse bittet

11. April 2023, 08:48 Uhr

Die Ehe genießt in Deutschland besondere Privilegien. Ihr Schutz ist im Grundgesetz verankert. Ehepaare können sich steuerlich zusammen veranlagen lassen. Das sogenannte Ehegattensplitting bringt vor allem dann große Steuervorteile, wenn ein Partner viel und der andere wenig bis gar nichts verdient. Das zementiere klassische Familienbilder und Geschlechterrollen, sagen Kritiker. Unser Steuersystem benachteiligt Singles, unverheiratete Paare und Alleinerziehende.

Deutschland ist Vize-Weltmeister bei der Steuerlast. Nur in Belgien müssen Erwerbstätige noch mehr von ihrem Einkommen an Steuern und Abgaben abdrücken als hierzulande. Die Industrieländerorganisation OECD hat errechnet, dass ein Single mit Durchschnittsverdienst in Deutschland 2021 eine Steuerlast von 48,1 Prozent hatte. Der OECD-Schnitt liegt bei 34,6 Prozent. Was man hier aber nicht vergessen darf: Für reiche Menschen gilt Deutschland immer noch als Niedrigsteuerland. Und: Wir haben umfangreiche Sozialleistungen wie Kinder- oder Arbeitslosengeld.

Ehegattensplitting sorgt für Steuervorteile

Im Vergleich zu Singles kommen Familien steuerlich deutlich besser weg. Vor allem wenn die Eltern verheiratet sind oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben und es einen Hauptverdiener gibt. Laut OECD liegt deren Abgabenlast bei 32,7 Prozent. Das liegt vor allem am Ehegattensplitting. Das gibt es seit 1958 in Deutschland. "Das bedeutet, dass das gemeinsame Einkommen zusammengeschmissen wird, dann durch die Hälfte geteilt und dann die Steuerbelastung auf die Hälfte des Einkommens verdoppelt wird. Also es wird so getan, als ob jeder Partner die Hälfte des gemeinsamen steuerpflichtigen Einkommens verdienen würde. Und das bedeutet dann eben einen Vorteil, wenn die Einkommen unterschiedlich sind. [...] Wenn eben ein Partner sehr viel verdient und der andere nichts, dann hat man einen deutlichen Steuervorteil", sagt Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Wenn ein Partner sehr viel verdient und der andere nichts, dann hat man einen deutlichen Steuervorteil.

Stefan Bach, DIW

Doch das sind nicht die einzigen Punkte, in denen Unverheiratete benachteiligt werden. Zum einen können sie sich bei der Krankenkasse nicht gegenseitig familienversichern. Zum anderen haben sie auch im Notfall, zum Beispiel wenn der Partner oder die Partnerin im Krankenhaus liegt, keinerlei Auskunftsrechte. Außerdem: Bekommt ein unverheiratetes Paar ein Kind, hat erst einmal nur die Mutter das Sorgerecht. Kommt es zu einer Trennung, haben Unverheiratete keinerlei Ansprüche - weder auf einen Vermögensausgleich, noch auf Unterhalt, außer für die Betreuung gemeinsamer Kinder. Stirbt einer von beiden, erbt der andere nicht. Und Rente für den Hinterbliebenen gibt es auch nicht. 

Warum hat die Ehe diesen Sonderstatus?

Die Ehe ist in Deutschland gesetzlich geschützt. In Artikel 6 des Grundgesetzes steht: "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung." Und damit gehen eben bestimmte Privilegien, Rechte und Pflichten einher. Obwohl die Ehe zunehmend an Bedeutung verliert. 2021 haben sich nur noch rund 358.000 Menschen das Ja-Wort gegeben. Das ist ein neuer historischer Tiefstand. Nur die "Ehe für alle" hat 2018 zuletzt für einen Anstieg der Eheschließungen auf 449.000 geführt. Außerdem ließen sich laut Statistischem Bundesamt 2021 rund 40 Prozent der Ehepaare wieder scheiden.

Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

Artikel 6, GG

Braucht es eine "Ehe light"?

In Deutschland gibt es keine Alternative zur Ehe. Gerade wird über die "Verantwortungsgemeinschaft" diskutiert - ein Vorschlag der FDP. Die soll aber ganz ausdrücklich nicht für Liebespaare sein - sondern andere Lebensentwürfe abdecken: Wohngemeinschaften im Alter zum Beispiel. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Daniel Föst hat die Idee mitentwickelt: "Wichtig ist uns, dass die Verantwortungsgemeinschaft kein Konkurrenzkonstrukt zur Ehe ist. Es wird von der Opposition öfters mal behauptet, dass es die Ehe ersetzen soll. Das ist nicht so!"

Anders handhabt es unser Nachbar, Frankreich. Dort gibt es seit 1999 den "Pacte civil de solidarité" - kurz PACS. Ursprünglich war das "Pacsen" vor allem für gleichgeschlechtliche Paare gedacht, aber es war für jede Form von Liebespaaren offen. Wie funktioniert es? Zwei Menschen, egal welchen Geschlechts, verpflichten sich, zum Beispiel dass sie gemeinsam die Miete zahlen oder im Alter füreinander sorgen. Gleichzeitig hat man Auskunftsrechte und auch Steuervorteile. Der PACS-Vertrag ist schon recht eheähnlich. Allerdings: Pensions- oder Rentenansprüche der Hinterbliebenen gibt es nicht. Und auch beim Erben braucht es ein Testament.

Ähnliche Modelle gibt es auch in Belgien, Estland, Luxemburg und in den Niederlanden.

Geschichte

Eduard Stapel
Eduard Stapel war einer der Begründer des ersten Arbeitskreises Homosexualität in Leipzig 1982. In den folgenden Jahren setzte er sich DDR-weit für weitere solche Arbeitsgruppe ein und koordinierte die Homosexuellenbewegung des Ostens. Er ist Mitbegründer des heutigen LSVD. Bildrechte: MDR/Hoferichter & Jacobs

Dieses Thema im Programm: recap bei youtube | 07. April 2023 | 17:00 Uhr

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