Schwulenbewegung der DDR "Ehe für alle": Anstoß aus dem Osten
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Am 30. Juni 2017 hat es der Bundestag beschlossen, seit Oktober 2017 ist das Gesetz in Kraft: Lesbische und schwule Paare dürfen in der Bundesrepublik heiraten. Wichtige Wegbereiter der "Ehe für alle" kamen aus der Schwulenbewegung der DDR. Der inzwischen verstorbenen Aktivist Eduard Stapel setzte sich schon während seiner Studienzeit in Leipzig für Schwulen-Rechte ein.
In der DDR wurden Lesben und Schwule lange diskriminiert, auch wenn ihre Lage auf dem Papier besser war als im Westen. Das erste "Tauwetter" kam 1957. Der Strafrechtsparagraf 175 (der Homosexualität unter Strafe stellte), den die DDR noch vom Kaiserreich "geerbt" hatte, blieb zwar formell in Kraft. Er wurde aber nach einem Urteil des Ost-Berliner Kammergerichts de facto nicht mehr angewandt. Ein Jahrzehnt später, 1968, flog er komplett aus dem Strafgesetzbuch. Damit hatten Schwule auf dem Papier in der DDR mehr Rechte als in der Bundesrepublik. Geoutet haben sich trotzdem die wenigsten, denn die Praxis sah ganz anders aus. Wer sich zu seiner Homosexualität bekannte, begab sich ins gesellschaftliche Abseits.
Viele homosexuelle Männer heirateten Frauen und zeugten Kinder, nur damit ihr "dunkles" Geheimnis nicht gelüftet wird. Allen offiziellen Fortschrittbekenntnissen zum Trotz blieb die DDR in puncto Lebens- und Familienmodelle bis zu ihrem Ende kleinbürgerlich geprägt. Die Gesetzeslage hatte sich geändert, nicht aber die Einstellung der Bevölkerung.
Stasi zersetzt Emanzipationsbewegung
Versuche, etwas daran zu ändern, wurden vom Regime lange Zeit im Keim erstickt – etwa 1973, als die Lesben und Schwulen Ost-Berlins bei den X. Weltfestspielen mit einem Transparent auf sich aufmerksam machen wollten, was die Staatsmacht kurzerhand unterband. Der "Homosexuellen Interessengemeinschaft Berlin", die ein Jahr später entstand, waren nur vier Jahre Ruhe beschieden.
Erst dem Leipziger Theologiestudenten Eduard Stapel gelang es, den Stein ins Rollen zu bringen. 1982 lud er unter der Überschrift "Tabu Homosexualität - Wie gehen wir damit um?" zu einer Diskussion am Theologischen Seminar in Leipzig ein. In der Folgezeit baute Stapel innerhalb der Schutzmauern der Evangelischen Kirche ein DDR-weites Netzwerk auf.
Homosexualität wird öffentlich
Und obwohl die Stasi 240 Spitzel auf Stapel angesetzt hatte, konnte sie die Entwicklung nicht aufhalten. Die DDR befand sich in den 1980er-Jahren bereits in der Auflösung, das gesellschaftliche Klima änderte sich, die Unzufriedenheit nahm zu, die Angst wich. Und so gewann auch eine neue Generation Schwuler mehr Mut, sich gegen Diskriminierung aufzulehnen.
Kurz vor dem Ende der DDR konnten sie schließlich erreichen, dass Homosexualität nicht mehr totgeschwiegen wurde. Sehr symbolträchtig war die Premiere des ersten offen schwulen Films der DDR, "Coming out" von Heiner Carow, die am Tag des Mauerfalls stattfand. Zum ersten Mal setzte sich ein abendfüllender DEFA-Streifen mit dem Lebensgefühl homosexueller Menschen auseinander und zeigte eine Welt, von der die Mehrheit der Bevölkerung nichts mitbekam.
Der "Schwulenverband in Deutschland"
Eduard Stapel ließ es damit aber nicht bewenden. Im Februar 1990 gründete er als Teil der Bürgerrechtsbewegung den Schwulenverband der DDR. Und der hatte kühne Visionen, wollte nach der Wiedervereinigung bundesweit tätig werden und benannte sich noch Juni 1990 in "Schwulenverband in Deutschland" um. Und in der Tat war es einer der wenigen Fälle, in denen die Wiedervereinigung im wahrsten Sinne des Wortes "andersherum" lief: Bei der schwulen Emanzipation der folgenden zweieinhalb Jahrzehnte gaben die Ostdeutschen den Ton an.
Die ostdeutsche Bewegung hatte einen entscheidenden Vorteil – sie hatte sich zentral organisiert, während es im Westen viele lokale, nur schwach vernetzte Initiativen gegeben hatte. So fanden die westdeutschen Homosexuellen plötzlich eine zentrale Anlaufstelle. Und die nahm das Heft in die Hand und warb gezielt die wichtigsten Figuren der westdeutschen Schwulenbewegung an: Volker Beck, Günter Dworek und Manfred Bruns.
Gleichstellung für Homosexuelle
Und auch inhaltlich setzten sich die Ostdeutschen durch. Während die westdeutsche Bewegung um Akzeptanz warb, gleichzeitig aber die Eigenständigkeit der homosexuellen Kultur betonte, wollten die Schwulen in der DDR dazugehören. Ihnen schwebte ein soziales Miteinander vor, bei dem Homosexualität als normal betrachtet wird. Das hat die gesamte Entwicklung im wiedervereinigten Deutschland geprägt.
Das Ziel lautete nun: völlige Gleichstellung. Bereits 1992 warb der Schwulenverband in Deutschland mit der "Aktion Standesamt" für die Ehe-Öffnung. Rund 250 lesbische und schwule Paare beantragten damals das Aufgebot, etwa 100 davon bestritten anschließend den Rechtsweg, nachdem die Standesämter das Aufgebot verweigert hatten. Die Aktion erregte erhebliches Interesse in der Öffentlichkeit. Bekannteste Teilnehmer waren Hella von Sinnen und Cornelia Scheel.
Die Ehe für Lesben und Schwule
Erst ein knappes Jahrzehnt später, 2001, gelang es dem Verband (inzwischen zum "Lesben- und Schwulenverband in Deutschland" umbenannt), mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz eine "Ehe light" für gleichgeschlechtliche Paare durchzusetzen, wobei es anfangs noch viele Unterschiede zu Hetero-Paaren gab, die erst nach und nach, oft in langwierigen Gerichtsprozessen bis hin zum Bundeverfassungsgericht, weitgehend, wenn auch nicht vollständig abgebaut wurden. Erst seit dem 1. Oktober 2017 dürfen Lesben und Schwule in Deutschland eine vollwertige Ehe mit ihren Partner(inne)n schließen.
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV in "Unter Männern - Schwul in der DDR"
23.06.2019 | 23:45 Uhr
(Der Artikel wurde zuerst am 22. Oktober 2021 veröffentlicht.)