Arbeitsmarkt Nur 19 Prozent der ukrainischen Geflüchteten in Arbeit – Diskussion um "Job-Turbo"

24. Oktober 2023, 05:00 Uhr

Sie wollen arbeiten. Aber es klappt einfach nicht mit dem Job. Die meisten Ukrainer in Deutschland hängen auch anderthalb Jahre nach Beginn der großen Fluchtwelle noch im Sozialsystem fest. Dabei hatte die EU für Geflüchtete aus der Ukraine sogar Sonderregeln erlassen, die ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt in ganz Europa ermöglichen. Die Bundesregierung will nun nochmal mit einem "Job-Turbo" nachlegen.

Ralf Geißler, Wirtschaftsredakteur
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"So, dann öffnen Sie mal bitte die Seite 48", sagt die Lehrerin im Deutschunterricht für Geflüchtete in Leipzig. "Galyna, lesen Sie mal die Aufgabe Nummer eins vor!" Galyna Oleksiuk kommt aus Kiew. Die Mutter von zwei Kindern ist froh, in einem der raren Sprachkurse zu sitzen. "Ich will eigenes Geld verdienen", sagt Galyna Oleksiuk, am liebsten als Physiotherapeutin. "Das ist meine Liebe."

19 Prozent der ukrainischen Geflüchteten haben Arbeit

Doch die Jobsuche ist schwer. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit haben erst 19 Prozent der ukrainischen Kriegsflüchtlinge eine Arbeit gefunden. Andere Länder sind weiter. Der Politikwissenschaftler Dietrich Thränhardt hat erhoben, dass in Polen 66 Prozent der geflüchteten Ukrainer arbeiten, in Dänemark 74 Prozent.

Kann ein Job-Turbo für Geflüchtete Deutschlands Zahlen verbessern? Sachsens Arbeitsminister Martin Dulig ist verhalten optimistisch: "Es wird jetzt von Seiten der Jobcenter eine viel engmaschigere Betreuung stattfinden. Die Leute werden in viel kürzeren Abständen eingeladen, um ihnen tatsächlich ein Vermittlungsangebot zu machen von Weiterbildung und vor allem von Jobangeboten."

Sachsen will Qualifikationen anerkennen

Doch fehlende Jobangebote sind es nicht allein. Viele der Geflüchteten sind Frauen mit Kindern. Die Kinderbetreuung könnten theoretisch auch ukrainische Pädagoginnen übernehmen. Doch die Bürokratie bremst, erzählt Yulia Kosyakova vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. "Viele Frauen waren vor ihrer Flucht im Bildungsbereich tätig. Und das ist gerade die Qualifikation, die wir so stark brauchen. Aber wir haben unser Problem mit Anerkennungsverfahren. Es dauert sehr lange. Und es gibt hohe Risiken der Nicht-Anerkennung."

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Mehr als 700 Stellen kümmern sich in Deutschland um die Frage, ob ein ausländischer Berufsabschluss mit einem deutschen vergleichbar ist oder nicht. Manche Anerkennungsverfahren dauern Monate. Das sei zu lange, sagt Martin Dulig: "Wir werben als Wirtschafts- und Arbeitsminister sehr dafür, pragmatische Lösungen zu finden. Und nicht nur Anerkennung zu bringen, wenn die Papierlage richtig ist, sondern wir denken: Pragmatisch ist es vor allem, wenn man eben auch Berufe und Qualifikationen anerkennt, wenn man im Unternehmen sieht, was diese Person auch praktisch kann. Wir wollen die Hürden senken und nicht die Hürden aufbauen."

Hälfte der Ukrainer arbeiten unter ihrer Qualifikation

Das würde auch Galyna Oleksiuk helfen. Sie hat Masseurin gelernt, dann Sozialpsychologie studiert und könnte in Reha-Einrichtungen arbeiten. Doch keines ihrer Zeugnisse wurde bislang akzeptiert. An einem Nachmittag sitzt sie mit einer Freundin auf ihrer Couch. Sie empfiehlt erstmal einen anderen Job: Die Arbeit als Putzkraft. "Ich habe eine Bekannte, deren Mann arbeitet bei der Firma." Und diese habe sie angesprochen, ob sie Leute kenne, die das gern machen würden."

Jeder zweite Ukrainer, der eine Arbeit findet, arbeitet unter seiner Qualifikation. Das zeigen Umfragen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Bei Galyna Oleksiuk hat es auch mit dem Putz-Job dann doch nicht geklappt. Sie hofft weiter, dass ihre Kenntnisse als Physiotherapeutin noch Verwendung finden.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 24. Oktober 2023 | 06:00 Uhr

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