Interview Energie- und Wasserstoff-Experte: "Deutschland wird nie energieautark werden"
Hauptinhalt
20. Dezember 2024, 08:22 Uhr
Grüner Wasserstoff soll als nachhaltiger Energieträger eingesetzt werden. Doch der Ausbau geht nur schleppend voran. Martin Wietschel ist Leiter des Fraunhofer Competence Center Energietechnologien und Energiesysteme in Karlsuhe. Er sagt im Interview mit MDR AKTUELL, dass er die deutschen Ausbauziele für grünen Wasserstoff bis 2030 für kaum mehr erreichbar hält.
MDR AKTUELL: In Leuna soll ein großer Elektrolyseur entstehen. Doch Bundesregierung und das Land Sachsen-Anhalt streiten über die Förderung. War die Politik zu euphorisch, als sie versprach: "Im grünen Wasserstoff liegt die Zukunft?"
Martin Wietschel: Die nationale Wasserstoffstrategie mit ihren Zielen bis 2030 ist schon sehr ambitioniert. Aber man muss sich auch klarmachen: Wir wollen in Deutschland bis 2045 Klimaneutralität erreichen. Das wird ohne Wasserstoff nicht gehen. Aber es geht nicht so schnell voran, wie die Politik gedacht hat.
Was ist grüner Wasserstoff? Grüner Wasserstoff wird durch Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt. Dabei wird Wasser mit Hilfe von Strom in Wasser- und Sauerstoff aufgespalten. Bei diesem Verfahren entstehen keinerlei Klimaemissionen in Form von CO2. Im Idealfall fallen keine Treibhausgas-Emissionen an.
Gibt es überhaupt Projekte, die schon grünen Wasserstoff produzieren?
Wir haben in Deutschland rund 100 Wasserstoff-Projekte am Laufen. Es gibt jetzt eine installierte Elektrolyseleistung von etwa 0,15 Gigawatt. Die nationale Wasserstoffstrategie sieht bis 2030 zehn Gigawatt vor. Das heißt, das Ziel und der aktuelle Stand liegen tatsächlich noch sehr weit auseinander. Viele Projekte sind angekündigt. Aber wenn wir bis 2030 die Hälfte unseres Ziels schaffen, wäre das aus meiner Sicht schon ein großer Erfolg.
Warum geht es nur so langsam voran?
Es gibt viel Unsicherheit im Markt. Die Investoren in Elektrolyseure wollen eine gewisse Sicherheit haben, dass ihr grüner Wasserstoff auch abgenommen wird, denn es ist relativ kapitalintensiv, die Anlagen zu bauen. Auf der anderen Seite gibt es zwar potenzielle Abnehmer. Aber die kennen weder den künftigen Preis für Wasserstoff – noch wissen sie, ob sie zuverlässig versorgt werden können. Die Infrastruktur muss noch aufgebaut werden: in der Regel Pipelines, um Wasserstoff zu transportieren. Diese Unsicherheiten führen dazu, dass die Leute auf beiden Seiten zurückhaltend sind.
Wird sich Deutschland jemals selbst mit grünem Wasserstoff versorgen können?
Deutschland wird nie energieautark werden. Heute importieren wir mehr als 80 Prozent unserer Energie. Wenn wir unsere Erneuerbaren sehr stark ausbauen, wenn wir viel energieeffizienter werden, können wir vielleicht erreichen, dass wir nur noch die Hälfte unserer Energie importieren müssen. Aber dass sich Deutschland mit seiner Industrie komplett selbst mit Energie versorgt, ist nach heutigem Kenntnisstand nicht machbar.
Wo kommt dann künftig die Energie – der grüne Wasserstoff – her?
Aus Ländern mit vielen Sonnenstunden, mit vielen windreichen Tagen. Aber auch aus Ländern, die günstigen Zugang zu Kapital haben. Denn wir reden über kapitalintensive Anlagen. Sie brauchen für grünen Wasserstoff außerdem Zugang zu Wasser. Und es muss Exportmöglichkeiten geben.
Das sind ziemlich viele Voraussetzungen.
Wir gehen davon aus, dass ein Großteil des Wasserstoffs aus Europa kommen kann. Gerade aus dem Süden, aus Spanien oder Portugal. Die meisten dieser Länder könnten sich selbst versorgen und zusätzlich exportieren. Wenn wir über Wasserstoff-Derivate sprechen, also zum Beispiel E-Kerosin zum Fliegen oder grünes Methanol für die Schifffahrt, das werden wir wahrscheinlich von weiter her importieren, beispielsweise aus Ländern in Südamerika. Chile ist ein günstiger Kandidat dafür, auch Australien kommt infrage, Südafrika.
Wenn viele Länder bessere Voraussetzung für die Wasserstoffproduktion haben, warum baut man in Deutschland eine Wasserstoffwirtschaft auf? Die wird doch niemals konkurrenzfähig sein.
Wir wollen nicht völlig von anderen abhängig sein. Das ist ein Wert an sich. Wir benötigen aber auch Elektrolyseure in Deutschland, um die schwankenden Energieträger auszugleichen. Wir bauen Wind- und Sonnenenergie stark aus. Weil die nicht immer zur Verfügung steht, benötigen wir Speichermöglichkeiten.
Dafür ist Wasserstoff aus Elektrolyse ideal. Wasserstoff kann man sehr gut in bestehenden Salzkavernen speichern. Das heißt, in Zeiten, in denen wir relativ viel Sonnen- und Windstrom haben, kann ich grünen Wasserstoff machen, einspeichern und in Zeiten der sogenannten kalten Dunkelflauten wieder für die Stromerzeugung nutzen.
Wie teuer ist grüner Wasserstoff aktuell im Vergleich zu herkömmlichem Wasserstoff aus Erdgas?
Es gibt in dem Sinne noch keinen grünen Wasserstoffpreis. Der meiste Wasserstoff wird lokal hergestellt und vor Ort verbraucht. Sie können auf den Märkten auch keinen grünen Wasserstoff kaufen. Aber wenn Sie eine Zahl wollen: Die Kosten für grünen Wasserstoff heute sind im Vergleich zu Erdgas schätzungsweise um den Faktor fünf teurer.
Bekommen wir die Kosten noch runter?
Es gibt da Möglichkeiten. Gerade die Wasserstoff-Hochtemperatur-Elektrolyse entwickelt sich weiter. Auch bei der Herstellung von E-Kerosin gibt es noch technologische Fortschritte. Aber wir werden nicht das Preisniveau heutiger fossiler Energieträger erreichen. Das ist unrealistisch. Wir müssen bei grünem Wasserstoff einfach mit höheren Preisen rechnen.
Am Ende ist es günstiger, weltweit auf grüne Technologien zu setzen, als die Folgekosten des Klimawandels zu bezahlen.
Das mag erst einmal nicht so schön klingen, aber was wäre die Alternative? Wir erreichen unsere Klimaschutzziele nicht. Die Studien zeigen: Ein ungebremster Klimawandel kommt uns noch teurer. Am Ende ist es günstiger, weltweit auf grüne Technologien zu setzen, als die Folgekosten des Klimawandels zu bezahlen.
Zumindest Strom dürfte auf mittlere Sicht billiger werden, oder?
Das ist so. Deswegen ist es auch sinnvoll, elektrische Energie direkt einzusetzen, wo immer das möglich ist. Zum Beispiel Wärmepumpen zum Heizen, Elektromobilität im Straßenverkehr. Aber es wird auch in Zukunft Bereiche geben, da werden wir weiterhin flüssige oder gasförmige Energieträger benötigen. In der Stahlindustrie, in der Grundstoffchemie. Und wenn Sie über den Atlantik fliegen wollen, kommen Sie mit Batterien womöglich nie an. Auch für große Schiffe, die über die Weltmeere fahren, wird es flüssige Energieträger geben müssen.
Für all das benötigen wir große Mengen Wasserstoff. Damit komme ich an den Anfang unseres Gesprächs zurück. Wir sind weit weg von unserer Zielmarke. Wenn wir sagen: Wir setzen Wasserstoff auch in Bereichen ein, wo wir ihn nicht zwingend benötigen, machen wir es uns aus meiner Sicht noch einmal extra schwer.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 17. Dezember 2024 | 06:17 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/1375664a-66e1-4c52-a934-d30b25cc7d7f was not found on this server.