Energiesicherheit in Krisenzeiten Autarke Energierepublik Deutschland – Utopie oder Zukunft?
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02. Dezember 2024, 13:54 Uhr
Deutschland ist abhängig von Energie aus anderen Ländern. Besonders in Krisenzeiten zeigen sich die Probleme: Unsicherheit, Versorgungsengpässe und schwankende Preise. Ist es in Zukunft möglich, das Land energieautark aufzustellen – oder ist das bloße Utopie?
- Experten regen aufgrund der Kriege in Europa an, sich um eine unabhängigere Energieversorgung zu bemühen.
- Energie-Unabhängigkeit geht hierzulande vor allem mit regenerativen Energieformen wie Sonne und Wind.
- Und gerade in Mitteldeutschland geht davon noch mehr – die Potentiale in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind noch nicht ausgeschöpft.
Jahrzehntelang hat sich hierzulande kaum jemand Gedanken darüber gemacht, woher Wärme und Strom eigentlich kommen. "Aus der Wand" floss die Energie relativ günstig in Wohnung, Unternehmen und Eigenheim. Spätestens mit Beginn des Krieges in der Ukraine im Frühjahr 2022 ist das Thema omnipräsent. Die Preise für Strom und Gas stiegen rasant, drohende Versorgungsengpässe sorgten für eine große Verunsicherung.
Auch wenn die Gasspeicher aktuell gut gefüllt sind und sich die Strompreis-Steigerungen etwas beruhigt haben: Könnte die Lösung darin liegen, dass sich Deutschland von internationalen Energiemärkten unabhängiger macht? Quasi eine "Autarke Energierepublik Deutschland"? Denn laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) kosten Strom und Gas im Großhandel noch immer doppelt so viel wie in den Jahren vor der Energiekrise.
Mehr Krisen – mehr Unabhängigkeit?
Und die Risiken haben sich nicht verringert. Die BDEW-Vorsitzende Kerstin Andreae erinnert im Gespräch mit MDR AKTUELL an die angespannte Lage im Nahen Osten, den Krieg in der Ukraine und das Auslaufen des Transitvertrages zwischen Russland und der Ukraine. Das würde beispielsweise die Versorgung der süd-östlichen Nachbarländer Deutschlands beeinflussen – und damit auch die Versorgung hierzulande.
Auch wenn die Energieexpertin Claudia Kemfert die Folgen einer weiteren Eskalation im Nahen Osten für Deutschlands Versorgung unproblematisch hält, regt auch sie an, sich von fossiler Energie unabhängiger zu machen. "Indirekt sind wir natürlich betroffen", sagt Kemfert. Weil dadurch die Preise insgesamt steigen würden – insbesondere beim Öl.
Autarker Strom aus Sonne und Wind
Unabhängigkeit in Deutschland – heißt vor allem auf sogenannte regenerative Energie zu setzen. Also auf die Erzeugung von Strom und Wärme aus Wind und Sonne. Das kann im Großen und im Kleinen geschehen. Zum Beispiel hat die Bundesregierung in einem Gesetz geregelt, wie viel Platz ein Flächenbundesland für den Bau von Windkraftanlagen zur Verfügung stellen muss. In den drei mitteldeutschen Ländern sind das in Sachsen 2 Prozent, in Sachsen-Anhalt und in Thüringen je 2,2 Prozent der Landesfläche.
Das Potential ist allerdings noch nicht ausgeschöpft. Laut den aktuellsten verfügbaren Zahlen von Ende 2022 hatten die drei Bundesländer 0,1 Prozent der anrechenbaren Fläche (Sachsen), 0,3 Prozent (Thüringen) und 0,5 Prozent (Sachsen-Anhalt) ausgewiesen. Dennoch könnte sich theoretisch Sachsen-Anhalt schon jetzt autark mit Strom aus Sonne und Wind selbst versorgen. Das geht aus Zahlen der "Agora Energiewende" hervor, die die Denkfabrik exklusiv für MDR AKTUELL zusammengetragen hat.
Unabhängigkeit hängt von vielen Faktoren ab
Demnach ist die Erzeugung von erneuerbarer Energie, etwa mithilfe von Wind und Sonne, mit rund 17 Terawattstunden (TWh) in Sachsen-Anhalt am höchsten. In Sachsen sind im vergangenen Jahr rund 8 TWh und in Thüringen etwa 7 TWh erzeugt worden. Der komplette Stromverbrauch lag laut "Agora Energiewende" 2023 in Sachsen-Anhalt bei rund 11 TWh. In Sachsen (rund 20 TWh) und in Thüringen (rund 11 TWh) liegt der gesamte Stromverbrauch über der erzeugten Energie mit Windrädern und Photovoltaikanlagen.
Die Potentiale von erneuerbarer Energie sind in Regionen und Bundesländern unterschiedlich. "Vereinfacht gesagt weht in Norddeutschland der Wind stärker als in Süddeutschland". Eine Rolle spiele natürlich auch die Flächenverfügbarkeit, die von Besiedlungsdichte oder Landnutzung mit beeinflusst werde, sagte ein Sprecher von Agora Energiewende. Gleichzeitig sei die regionale Stromnachfrage sehr stark von der Bevölkerungsdichte und der Anzahl von Industrieunternehmen und deren Strombedarf abhängig. Und: Das Ziel der regionalen Energieautarkie sei im Zusammenhang eines effizienten klimaneutralen Stromsystems nicht sinnvoll, sagte der Sprecher abschließend.
Zahlreiche nachhaltige Energieprojekte
Dennoch versuchen zum Beispiel Privathaushalte, Unternehmen und Kommunen ihre Energieversorgung möglichst unabhängig aufzustellen. MDR AKTUELL hat Beispiele zusammengetragen. In Markneukirchen etwa, einem Ort im sächsischen Vogtland, setzt der Instrumentenbauer Warwick auf Solar, Wärmerückgewinnung und Wärmepumpe, um seine Firma effizient mit Energie zu versorgen. Im thüringischen Behrungen beheizt eine Familie ihr nachhaltig gebautes Haus mit Holz aus dem eigenen Wald sowie mit Sonnenwärme. Und die Stadt Jena hat ein Konzept aufgestellt, um ganze Stadtteile in Zukunft mit Wärme aus dem Wasser der Saale, aus Biogas und aus Sonnenenergie zu wärmen.
Derartige Beispiele sind keine Besonderheiten mehr. Im Gegenteil. Überall machen sich die Menschen darüber Gedanken, wie sie sich effizienter, kostengünstiger, nachhaltiger und autonomer mit Energie versorgen können. Welche Techniken dafür die richtigen sind, hängt von vielen Faktoren ab. "Es gibt einen Absturz der Wärmepumpe und einen Aufstieg von Solarenergie mit Speicher. Ich denke, die Sonne wird auch in Zukunft die billigste Energieform", sagt etwa Energieexperte Timo Leukefeld im Gespräch mit MDR AKTUELL. Seiner Meinung nach mache eine 100-prozentige Energieunabhängig vor alle für Haushalte keinen Sinn machen, weil es aus Kosten-Nutzen-Sicht viel zu teuer wäre.
Auch auf den Verbrauch von Energie achten
Mehr Unabhängigkeit funktioniert jedoch nicht nur mit der Beschaffung von Energie, sondern auch mit dem Verbrauch. Um die Kosten für Strom und Wärme so gering wie möglich zu halten, gibt es mehrere Möglichkeiten. Zuletzt haben zum Beispiel die Verbraucher ihre Bedarfe reduziert und rund 15 Prozent eingespart. Aber auch technische Lösungen helfen mittlerweile, den Verbrauch und damit die Kosten zu senken. So steuern zum Beispiel intelligente Programme die Solaranlage. Sie gibt dann den Strom an die Waschmaschine oder Warmwasseraufbereitung ab, wenn die Sonne scheint.
Auf den deutschen Markt drängt aktuell auch ein in Großbritannien bereits erfolgreicher Stromanbieter, der ein besonderes digitales Geschäftsmodell entwickelt hat. Die Firma Octopus Energy automatisiert mithilfe von künstlicher Intelligenz einen Großteil der Energieversorgungskette – und kann dadurch eigenen Aussagen zufolge den Verbrauchern zu jeder Zeit dynamisch angepasste Strompreise anbieten. "Eine der größten Herausforderungen des Stromnetzes ist die Diskrepanz zwischen Erzeugung und Verbrauch, also zum Beispiel zu viel Strom im Netz im Sommer, wenn alle Solaranlagen auf Hochtouren laufen, oder Engpässe im dunklen Winter, wenn die Nachfrage steigt", sagt Octopus-Energy-Chef Bastian Gierull MDR AKTUELL.
Von Preisschwankungen profitieren
Derzeit würde mit diesen Schwankungen in Deutschland konventionell umgegangen – etwa mit Backup-Kraftwerken oder zusätzlichen Stromleitungen, beides sei teurer und schmutzig. "Dabei wäre es viel günstiger, unseren Verbrauch zu flexibilisieren. Mit anderen Worten: Strom dann nutzen, wenn ausreichend Strom im Netz vorhanden ist und den Verbrauch bei Engpässen reduzieren." Wer heute zu bestimmten Zeiten den Backofen einschaltet oder das E-Auto lädt, und zu anderen Zeiten weniger verbraucht, leiste einen Beitrag zur Netzstabilität. "Leider gibt es für Privatverbraucherinnen und -verbraucher noch keinen Anreiz, das zu tun. Das wollen wir ändern", so Gierull abschließend.
Der Verbraucher soll also in einer App sehen können, wie teuer der Strom gerade ist und von dieser Information auch profitieren können – etwa indem er anhand des Preises entscheidet, wann er zum Beispiel das E-Auto auflädt. Octopus Energy hat eigenen Angaben zufolge bereits rund eine halbe Million Kunden in Deutschland – in Sachsen, Sachsen-Anhalt und in Thüringen sind es zusammen knapp 37.000.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 27. November 2024 | 21:45 Uhr
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