Kontaktanzeigen Die Masche von Julie, Kleeblatt, FSK & Co.

02. November 2023, 23:00 Uhr

Sie annoncieren die große Liebe und verkaufen "Freizeitkontakte" für 3.600 Euro aufwärts. Bislang hatten Betroffene schlechte Karten, weil sie nicht beweisen konnten, dass Sie bei Vertragsschluss hinters Licht geführt wurden. Doch das könnte sich möglicherweise ändern.

Seit Jahren werden die Anzeigenblätter förmlich geflutet von überdurchschnittlich begehrenswerten Singles. Eckhard, 67/185, verwitwet, sympathisch, jünger aussehend, handwerklich begabt, rüstig, gesund… So steht es in einer Anzeige vom Samstag, 28. Oktober 2023 im "Allgemeinen Anzeiger" und weiteren kostenlosen Blättern in Thüringen und darüber hinaus.

Steffi, 64/164, hatte eine Woche zuvor annonciert. Die attraktive Witwe ist bescheiden, einsam und schlank mit schöner Oberweite und stellt keine Ansprüche. Da greift man doch gern zum Telefon. Die Erfurter Vorwahl-Nummer 0361 suggeriert Regionalität. Bei Eckard ist es die Zeulenrodaer Vorwahl 036628. In beiden Fällen werden Sie wahrscheinlich nach einem kurzen Klingelton eine Wartemusik hören und dann in der Regel eine sächselnde Dame am anderen Ende der Leitung haben.

Im Raum Chemnitz laufen die Fäden zusammen. Die vielen regionalen Telefonnummern in den Anzeigen sind genauso Teil des Systems wie die Erfurter Adresse, die hinter Eckards Anzeige steht. Der Briefkasten in der Marktstraße gehört einem von vielen oft ahnungslosen Unterstützern, die auf eine "Mini-Mini-Job-Anzeige" reagiert haben und für 30 Euro im Monat ein Zusatzschildchen an ihren Briefkasten kleben. Sie wohnen unter anderem in Königsee, Schleiz, Leinefelde-Worbis, Eisenach, Saalfeld, Trockenborn-Wolfersdorf, Mellingen, Gera, Gotha, Suhl, Waltershausen, Mühlhausen oder Bernterode.

Auch in anderen Bundesländern gibt es solche Briefkästen. FSK oder Freundschaftskreis steht dann da, irgendwas mit Julie GmbH, ANNA GmbH, Freizeitservice-kund-k-GmbH und so weiter. Hinter diesen Firmen steckt ein überschaubar kleiner Kreis handelnder Personen - und das Vorgehen hat Methode. Das haben die jahrelangen Recherchen des MDR-Rechercheteams schon immer vermuten lassen. Doch nun war ein Reporter der MDR Fernsehreihe "Voss&Team" mittendrin. Die Dokumentation finden Sie in der ARD Mediathek.

"Das ist alles eins"

Der Reporter, Mr. Undercover, hat sich als Außendienstmitarbeiter bei der Vermittlungs- und Beratungsgesellschaft Julie mbH beworben. In Kabelsketal bei Halle sollte er sich in den Räumlichkeiten der Hobby- und Freizeitbörse aktiv GmbH vorstellen. Seine Ansprechpartnerin: "Frau K." Von ihr wird er geschult, wie er die Verträge der Julie Freizeitglück GmbH an den Mann oder die Frau bringen soll. Am Ende wird er zu Leuten geschickt, die sich auf Anzeigen der Freundschaftskreis GmbH gemeldet hatten. Zur verwirrenden Vielzahl der verschiedenen Firmen bemerkt Frau K. lapidar: "Das ist alles eins."

Tatsächlich sind das nur vier der über 20 GmbHs, die mit wechselnden Namen, Firmensitzen, Gesellschaftern und Geschäftsführern seit mehr als 20 Jahren gegründet, umfirmiert oder gelöscht werden. Die Maschen gleichen sich ohnehin. Wer sich auf eine Annonce meldet, bekommt zeitnah einen Hausbesuch und einen Vertrag, aus dem es bisher kaum ein Entrinnen gab.

Obwohl der Vertreter mündlich die große Liebe versprochen hatte - mit Vermittlung bis zum Erfolg -, stehen im Vertrag schriftlich oft nur magere acht "Freizeitkontakte" für 3.600 Euro. Mitunter ist es noch teurer, nämlich besonders dann, wenn man in die Club-Falle geraten ist mit einem Vertrag, der sich jährlich verlängert, sofern er nicht fristgemäß gekündigt wird.

Doch leider scheinen die Clubs vom Pech verfolgt: Immer wieder kommen die Kündigungsschreiben nicht an, beklagen Betroffene. Und auch die Verbraucherzentrale kennt derartige Beschwerden. Dass in dem Vertrag aus "Liebe" nur noch "Freizeit" geworden ist, hat den simplen rechtlichen Hintergrund, dass die Betroffenen bei "Zielrichtung Ehe" entspannt die Zahlung verweigern könnten. "Durch das Versprechen eines Lohnes (…) für die Vermittlung einer Ehe wird eine Verbindlichkeit nicht begründet." So steht es im Paragrafen 656 BGB.

Das bedeutet: Forderungen, die ein Partnervermittlungsinstitut geltend machen will, sind nicht einklagbar

Ralf Reichertz Jurist der Verbraucherzentrale Thüringen

Wer Freizeitkontakte vermittelt, darf hingegen die Gerichte bemühen. Und das passiert auch regelmäßig. Die Urteile nebst Aktenzeichen werden den Zahlungsunwilligen in freundlichen Schreiben nachdrücklich zur Kenntnis gegeben. 

Erst lesen, dann unterschreiben!

Nun ist das "Lies dir doch einfach durch, was du unterschreibst!" leicht dahingesagt. Das ist die große Lehre, die viele Betroffene aus ihren Erfahrungen gezogen haben. Die zweite: Niemals alleine in solche Gespräche gehen. Nachbarn, Freunde, Familie - irgendwer sollte unbedingt dabei sein. Einige Betroffene haben allen Mut zusammengenommen, sich MDR THÜRINGEN anvertraut und ihre Geschichte erzählt, um andere zu warnen. Das ist auch der Wunsch von Klaus, er ist über 80 und vor wenigen Wochen reingefallen.

Kontakt Wenn Sie auch betroffen sind oder Ihre Angehörigen, können Sie sich gern bei MDR THÜRINGEN melden: 0800/2181616

Auch die Richter folgten in den Zivilrechtsverfahren bisher häufig der Auffassung, dass die jeweiligen Kläger doch genau das bekommen haben, was in dem Vertrag steht, den sie unterschrieben hatten. Acht Freizeitkontakte nämlich. Betroffene erzählen allerdings enttäuscht, dass da selten etwas zusammenpasst. Von dem Herrn aus der Annonce - keine Spur. Von der Traumfrau, von der der Vertreter in den höchsten Tönen geschwärmt hat - ebenso. Und das entspricht auch genau dem Schulungsleitfaden, der dem MDR vorliegt. Mr. Undercover wurde nämlich auch dahingehend geschult, wie man die perfekte Illusion schafft beziehungsweise den Traumpartner.

Sie erfinden quasi eine Person. Und zwar genau die Person, die der Kunde gerade vorher als seine Traumfrau oder seinen Traummann beschrieben hat.

Frau K. bei der "Schulung" in der Dokumentation von "Voss & Team"

MDR-Recherchen zeigen, dass den Betroffenen nicht nur nichtexistierende Leute verkauft werden. Es werden auch Papiere zur Unterschrift untergeschoben, die die Betroffenen vermutlich im Wissen um die Folgen so nie unterschreiben würden. Wie zum Beispiel Blanko-Daueraufträge. Hintergrund: Im Gegensatz zur Sepa-Lastschrift kann Geld aus einem Dauerauftrag, wenn einmal abgebucht, nicht zurückgeholt werden. Mr. Undercover von "Voss & Team" bekam von Frau K. genau erklärt, wie man sich mit einem Blanko-Formular problemlos ausstehende Summen holen kann.

Nicht ausfüllen! Einfach abzeichnen lassen. Ich habe es gerne nackig, dass wir die Summe selber eintragen können. Also nur Unterschrift, nie ausfüllen!

Frau K. bei der "Schulung" in der Dokumentation von "Voss & Team"

Bezeichnend auch die Lehrstunde in Sachen Widerrufsrecht. Nachdem der Kunde mit seiner Unterschrift auf der einen Seite sein Widerrufsrecht ohnehin schon ausgehebelt hat (Begründung: "…dann können Sie sich am Wochenende vielleicht sogar schon mit den ersten Damen treffen."), soll er die Widerrufsbelehrung auf der nächsten Seite bloß nicht zu Kenntnis nehmen. "Braucht der Kunde gar nicht lesen", sagt Frau K. und rät ihrem vermeintlichen Schützling, es dem Kunden auch nicht vorzulesen.

Ich halte das für höchstproblematisch, wenn man so Verträge abschließt. Aus meiner Sicht ist das Betrug.

Michael Hummel Verbraucherzentrale Sachsen in der Dokumentation von "Voss & Team"

Und dass am Ende des Besuches die Zeitung mit der Annonce fehlt - auch das hat Methode, wie die Schulung von Mr. Undercover zeigt. Die könnte ja ein Beweismittel sein, falls sich der Kunde betrogen fühlt und klagt.

Ganz wichtig am Ende: Nehmen Sie die Zeitungsanzeige mit! Die Kunden haben die meistens aus der Zeitung ausgeschnitten und aufgehoben. Sagen Sie einfach: Die brauche ich, damit wir wissen, für wen Sie sich interessieren.

Frau K. bei der "Schulung" in der Dokumentation von "Voss & Team"

Was macht nun die Staatsanwaltschaft?

Bevor eine Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnimmt, prüft sie, ob ein Anfangsverdacht besteht. Genau dies passiert in diesem Fall aktuell bei der Staatsanwaltschaft Chemnitz. Gegenüber "Voss & Team" bestätigte die Pressestelle schriftlich, dass ein Prüfvorgang gegen zwei Geschäftsführer einer Partnervermittlung anhängig sei, "ob es Anhaltspunkte für strafbare Handlungen gibt und damit ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist."

Chemnitz ist zuständig, weil in der Region das Zentrum des Julie-Netzwerks vermutet wird, obwohl einer der mutmaßlichen Hauptakteure seine Meldeadresse in eine unscheinbare Geraer Eigentumswohnung verlegt hat.

Mit Hilfe einer Anwaltskanzlei aus Leipzig wollen Betroffene der Sache etwas Nachdruck verleihen und Strafanzeige stellen. Das kann übrigens jeder tun, der sich als Opfer einer Straftat betrachtet, bei der Polizei oder mit Hilfe eines Anwalts seiner Wahl. Die Leipziger Anwälte waren in der Angelegenheit bereits zivilrechtlich aktiv und haben nun offenbar genug Beweismaterial zusammen, um den Schritt zur Strafanzeige gehen zu können.

Dabei geht es um so bedeutsame Fragen wie die nach der Rolle der Hintermänner, die übrigens nicht nur Männer sind. Auch die Rollen der häufig wechselnden Gesellschafter und Geschäftsführer der Firmen dürften hinterfragt werden - und deren Verantwortung. So beschränkt ist die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nämlich gar nicht. Bandenmäßiger oder gewerbsmäßiger Betrug ist kein Kavaliersdelikt, die Mindeststrafe liegt bei sechs Monaten Haft.

Bei den zu klärenden Fragen werden auch Briefkästen eine Rolle spielen. Vielleicht auch die der "Mini-Mini-Jobber", besonders aber die der Firmen selbst. Die hängen nämlich nicht nur in der deutschen Gewerbesteueroase Zossen, sondern überall, wo Vermieter oft schlecht sanierter Gewerbeimmobilien nicht nachfragen, warum das Büro leer steht und nur der Briefkasten gebraucht wird.

In Zossen hat aus dem Netzwerk unter anderem die PVD Datenbanksysteme Zossen ihren Sitz, der auch nur aus einem Briefkasten besteht. Raum ist in der kleinsten Hütte. Dorthin werden die Daten der Kunden "zur Erarbeitung und individuellen Auswahl von Vorschlägen" übertragen. Zumindest unterschreiben die Kunden dafür, dass sie damit einverstanden sind. Aber "Briefkasten" und "Steueroase" sind auch Signalwörter für Steuerfahnder. Ab einer Million geht’s ab, fragen Sie Herrn Hoeneß.

Und am Ende ist der kleine Vertreter schuld?

Gutes Personal ist schwer zu bekommen. Und vielleicht sind auch nur ein paar Außendienstmitarbeiter übers Ziel hinausgeschossen. Das ist ohnehin eine bekannte Firmen-Strategie, wenn es in irgendeiner Filiale zum Himmel stinkt. Doch in diesem Fall dürfte nicht nur die Masse der betroffenen Zeugen die Strategie durchkreuzen. Neben den Einblicken von "Voss & Team" gibt es weitere Indizien, darunter Mitarbeiter, die das Wasser nicht halten können, und Schulungsmaterial aus dem Firmengeflecht, einschließlich eines Audios, in dem Außendienstlern genau erklärt wird, wie sie ihre Kunden zur Unterschrift bringen sollen.

Mit verteilten Rollen und verstellter Stimme werden einem ebenso unwilligen wie fiktiven Herrn "Müller" zunächst Informationen aus der Nase gezogen, aus denen dann "seine" Frau mit den "wunderschönen Augen" gebacken wird. Welcher Traurig-Einsame will diese nicht kennenlernen und dafür notfalls auch ein paar tausend Euro auf den Tisch legen? Viele Betroffene werden in den gut 16 Minuten Schulungsaudio die zwei bis vier Stunden wiedererkennen, in denen ihnen die große Liebe versprochen wurde - und das Ersparte genommen.

Mit diesem Audio und anderen Unterlagen, die dem MDR vorliegen, werden Außendienstler des Netzwerks geschult:

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Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | Voss & Team | 02. November 2023 | 20:15 Uhr

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