Wohnungsbautag in Berlin Experten: Wohnbau-Krise nicht dramatisch für die Branche
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20. April 2023, 11:16 Uhr
Experten sehen die Krise beim Wohnungsbau nicht als existenzbedrohend für die Branche an. Der Konjunkturforscher Oliver Holtemöller vom IWH in Halle sagte MDR AKTUELL, man müsse bedenken, dass das Baugewerbe aus einer Boomphase mit erheblichen Übertreibungen gekommen sei. Die deutsche Baubranche warnt dagegen vor einem Gau am Bau. Sie trifft sich am Donnerstag in Berlin zum Wohnungsbautag.
- Die hohen Baukosten seien vor allem durch gestiegene Zinsen, teurere Baumaterialien und neue Auflagen entstanden, sagt der Wohnungskonzern Vonovia.
- Die Bauzinsen seien wieder auf normalem Niveau, berichtet Christian Schmidt vom Bundesamt für Bauwesen.
- Auch die Preise für Baumaterial sinken.
Deutschlands größtes Wohnungsunternehmen baut nicht mehr, jedenfalls nichts Neues. Schon zu Beginn des Jahres teilte der Wohnungskonzern Vonovia seinen Aktionären mit, dass er 2023 keine Neubauvorhaben starte. Im Gespräch mit MDR AKTUELL bestätigt Sprecher Matthias Wulff, dass auch in Sachsen Projekte zurückgestellt wurden.
Wulff sagt: "Der Hauptgrund ist nicht, dass wir diese Wohnungen nicht bauen könnten, sondern dass sie am Ende so teuer werden, dass sie einfach von der Miete her nicht mehr passen. Wir gehen normalerweise davon aus, dass unsere Neubauten zehn bis elf Euro Miete pro Quadratmeter am Ende bringen. Und wenn man jetzt bauen würde, dann müsste man eine Miete von vielleicht zwanzig Euro aufrufen, damit sich das irgendwie rechnet."
Mehrere Gründe für hohe Baukosten
Dass Bauen so viel kostet, hat aus Sicht von Vonovia mehrere Gründe: Baumaterialien hätten sich enorm verteuert. Die Politik beschließe immer neue Auflagen. Und dann seien die Zinsen für Baukredite gestiegen. Tatsächlich schreckt das viele ab. Im Februar wurden in Deutschland fast 21 Prozent weniger neue Wohnungen genehmigt als im Jahr zuvor.
Doch droht deswegen tatsächlich der "Gau am Bau", der größte anzunehmende Unfall? Oliver Holtemöller ist Konjunkturforscher am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle und sagt: "Die Bauwirtschaft befindet sich schon in einer konjunkturell schwierigen Phase. Die gängigen Indikatoren, die wir uns anschauen, die zeigen alle nach unten. Das ist richtig. Man muss aber auch sehen, dass wir von einer Phase mit erheblichen Übertreibungen und einem Bauboom kommen. Das relativiert das Ganze schon ein wenig."
Bundesamt für Bauwesen: Bauzinsen wieder auf Normalniveau
Tatsächlich hat die Baubranche lange gut verdient. Sie profitierte von Niedrigzinsen. Wer Geld übrig hatte, investierte in Betongold. Heute seien die Bauzinsen eigentlich wieder auf normalem Niveau, sagt Christian Schmidt vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Darauf müssten sich aber alle erst einstellen. Die Lage sei jedenfalls nicht so dramatisch, wie es die Bauverbände darstellen.
Der Wirtschaftsbau laufe zum Beispiel gut, so Schmidt: "Da gab es im letzten Jahr bei den Handels- und Lagegebäuden insgesamt ein Plus bei den Genehmigungen von gut einem Fünftel und bei den Fabrik- und Lagergebäuden ein Plus von neun Prozent. Das hatte man so eigentlich auch nicht erwartet."
Preise für Baumaterialien sinken
Schmidt erzählt, die Preise für diverse Baumaterialien würden bereits wieder sinken. Sie seien zwar nicht so billig wie vor fünf Jahren, trotzdem rechne er mit Entspannung am Bau.
Kurioserweise würden die gestiegenen Zinsen dabei helfen: "Wenn die Zinsen dazu führen, dass die Nachfrage sinkt, dann sind die Bauunternehmen gegebenenfalls auch dazu gezwungen Preise zu senken. Oder auch dazu gezwungen, die gesunkenen Baumaterialpreise in ihren Baupreisen wieder zu spiegeln. Und dann wird das das Bauen wieder günstiger machen."
Vonovia: Warten ab mit Bauvorhaben
Auch der Wohnungskonzern Vonovia betont, man habe neue Bauvorhaben nicht grundsätzlich verworfen, sondern warte ab. Das Unternehmen wünsche sich vor allem weniger Bürokratie, nennt es unsinnig, dass 16 Bundesländer eigene Bauregeln haben.
Wirtschaftswissenschaftler Holtemöller betont, wenn sich die Wirtschaft in Deutschland erhole, werde auch der Bau wieder profitieren. Zu tun gebe es für die Unternehmen genug.
"Denke man nur an die Notwendigkeit der energetischen Sanierung des Altbestandes. Da wird es also sehr viele Aufgaben in Zukunft geben. Und es ist schon richtig: Die Nachfrage insgesamt wird der Bauwirtschaft nicht wegbrechen", ist sich Holtemöller sicher.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 20. April 2023 | 06:00 Uhr