Rekrutinnen und Rekruten der Marienberger Jäger des Panzergrenadierbataillon 371 stehen zu einem Gelöbnisappell auf einem Sportplatz im Erzgebirge.
Die Bundeswehr findet nicht genügend Soldatinnen und Soldaten. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jan Woitas

Bundeswehr Pistorius möchte breite Debatte über Wehrpflicht

01. Februar 2024, 14:51 Uhr

Verteidigungsminister Boris Pistorius hat eine Diskussion über die Einführung einer Wehr- und Dienstpflicht gefordert. Zustimmung erhält derzeit die Idee für eine Dienstpflicht mit Wahlfreiheit nach schwedischem Modell.

Verteidigungsminister Boris Pistorius wünscht sich eine große gesellschaftliche Debatte über die Reaktivierung der Wehrpflicht und die Einführung einer Dienstpflicht. Bei der Bundestagsdebatte zum Wehretat sagte der SPD-Politiker am Mittwochabend: "Gesellschaftlich müssen wir uns die Frage stellen, wer dieses Land verteidigen soll, wenn es ernst wird."

Der Minister legte sich selbst in der Frage der Wehrpflicht zwar nicht fest, jedoch komme Deutschland an einer Debatte nicht vorbei. Es gehe um den Personalbedarf der Bundeswehr und dabei auch um die Repräsentanz von Frauen. "Jedes Modell braucht politische Mehrheiten und eine Gesellschaft, die es trägt", warb er für eine offene Diskussion.

Verschiedene Maßnahmen auf dem Tisch

In Pistorius' Ministerium erarbeitete zuletzt eine "Task Force" Vorschläge, um dem Personal- und Nachwuchsmangel bei der Truppe entgegenzuwirken. Mehr als 60 Maßnahmen sollen erdacht worden sein, die im Dezember aber nur zum Teil veröffentlicht wurden. Pistorius selbst nannte die Einführung einer Dienstpflicht nach schwedischem Modell als eine Option. Das skandinavische Land hat die Wehrpflicht wieder eingeführt, zieht aber auf Basis von Fragebögen nur geeignete und motivierte Bewerber in die Armee ein. Diskutiert wurde außerdem jüngst, auch Soldatinnen und Soldaten ohne deutschen Pass in der Bundeswehr aufzunehmen.

Der Reservistenverband forderte am Mittwoch die Einführung eines verpflichtenden Dienstjahres in der Bundeswehr sowie im Katastrophenschutz und in den Rettungsdiensten. Verbandspräsident Patrick Sensburg sagte in Berlin, zahlreiche Krisen verdeutlichten, dass der Sicherheitsbegriff nicht länger isoliert betrachtet werden dürfe und sich aus zivilen und militärischen Bausteinen zusammensetze. "Nicht nur der Dienst in der Bundeswehr ist verteidigungsrelevant, sondern auch der beispielsweise beim Technischen Hilfswerk, den Feuerwehren oder den Sanitätsdiensten. "Das bedeutet aber auch, dass alle jungen Männer und Frauen in Deutschland wieder zu einem Pflichtdienst von mindestens einem Jahr herangezogen werden sollen und dann weitgehend zwischen den Organisationen wählen können."

Unterstützung aus der Opposition

Unterstützung für Wehr- und Dienstpflicht gibt es derzeit vor allem in der Opposition. CDU und CSU sprachen sich offen dafür aus. Bei der AfD steht die Wiedereinführung der Wehrpflicht im Grundsatzprogramm. SPD, FDP und Grüne äußerten hingegen Skepsis. SPD-Chef Lars Klingbeil sagte Mitte Januar, er halte persönlich nichts von der Wiedereinführung der Wehrpflicht. Er fände es aber richtig, "dass jeder junge Mensch einmal in seinem Leben mit der Frage konfrontiert wird, ob er oder sie einen Dienst für unser Land leisten möchte. Egal, ob bei der Bundeswehr oder im sozialen Bereich."

Im 21. Jahrhundert besteht Landes- und Bündnisverteidigung nicht mehr darin, wieder Kreiswehrersatzämter einzurichten.

Christian Lindner FDP-Chef

FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner lehnte eine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht Anfang des Jahres strikt ab: "Im 21. Jahrhundert besteht Landes- und Bündnisverteidigung nicht mehr darin, wieder Kreiswehrersatzämter einzurichten". Sie bestehe vielmehr darin, "dass wir hoch qualifizierte Soldatinnen und Soldaten für eine Technologie-Armee finden".

Wie viele Bereiche der Wirtschaft leidet die Bundeswehr unter akutem Bewerbermangel. Von der Sollstärke von 203.000 Soldatinnen und Soldaten ist die Truppe weit entfernt. Derzeit sind es gut 181.000. Hinzu kommen rund 81.000 zivile Beschäftigte. Statt zu wachsen, ist die Bundeswehr zuletzt personell geschrumpft.

Etat übersteigt Zwei-Prozent-Ziel

Minister Psitorius begrüßte derweil am Mittwochabend den Etatentwurf für sein Ressort, der Rekordausgaben von 72 Milliarden Euro vorsieht. Damit wird erstmals seit Jahrzehnten die Nato-Vorgabe erfüllt, mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Konkret sind es demnach 2,1 Prozent, wobei Milliarden-Zahlungen aus dem Bundeswehr-Sondervermögen eingerechnet sind, das nach dem russischen Überfall auf die Ukraine mit einem Volumen von 100 Milliarden Euro eingerichtet worden war. "Das geht in die richtige Richtung und es ist dem Ernst der Lage angemessen", sagte Pistorius.

Die Fähigkeiten der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung müssten wieder ausgebaut werden, betonte der Verteidigungsminister. "Wir brauchen wieder eine Bundeswehr, die stark ist und die auch abschreckt", um zu "verhindern, dass es zum Äußersten kommt", sagte Pistorius. "Krieg verhindern kann nur, wer sich darauf vorbereitet."

Militärhistoriker Neitzel sieht nur langsame Fortschritte

Der Militärhistoriker Sönke Neitzel, Professor an der Universität Potsdam, kritisierte am Donnerstag im Gespräch mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" die schleppende Reform und Ertüchtigung der Bundeswehr. Für den Fall eines Krieges sagte der Wissenschaftler: "Die Bundeswehr würde natürlich kämpfen, aber könnte momentan wohl nur beweisen, dass sie mit Anstand zu sterben versteht."

Die Bundeswehr würde natürlich kämpfen, aber könnte momentan wohl nur beweisen, dass sie mit Anstand zu sterben versteht.

Sönke Neitzel Militärhistoriker Uni Potsdam

Der Militärexperte sprach sich für die Einführung einer Wehrpflicht nach schwedischem Modell aus. "Das würde immerhin bewirken, dass der Personalbestand nicht noch weiter abrutscht. Und der wird abrutschen, wenn man keine Gegenmaßnahmen ergreift."

AFP/dpa/MDR (ala)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 01. Februar 2024 | 06:11 Uhr

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