"Aufstand für Frieden" Abgrenzung gegen rechts: Für Wagenknecht eine "Gespensterdebatte"

04. März 2023, 05:00 Uhr

"Die Friedensbewegung muss wieder auf die Straße. So kam die Idee zu dieser Kundgebung", sagte Sahra Wagenknecht am vergangenen Samstag in Berlin. Neben ihr auf der Bühne steht Alice Schwarzer, mit der sie zusammen diese Demo organisiert hatte. Doch wer hat die prominenteste Politikerin der Linkspartei und die Ikone der Emanzipation dabei eigentlich unterstützt – wen stört das.

Wagenknecht und Schwarzer haben zusammen ein "Manifest für Frieden" verfasst, das inzwischen mehr als 700.000 Mal unterschrieben worden ist – unter den Unterzeichnern sind auch hohe Funktionäre der AfD wie Tino Chrupalla. Deshalb zog einer der Erstunterzeichner seine Unterstützung zurück.

"Ich habe zurückgezogen, weil in der öffentlichen Wahrnehmung der Eindruck entstand, dass Unterstützerinnen von rechts dieses Manifest mittragen", sagt der Politikwissenschaftler Johannes Varwick an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Es sei nicht mehr unterscheiden worden zwischen Unterzeichner und Erstunterzeichnern. "Ich möchte einfach nicht in eine Linie mit Leuten wie Herrn Chrupalla oder anderen AfD-Funktionäre gestellt werden."

Auf der Demo: Menschen von ganz links bis ganz rechts

Wie ist es dazu gekommen? Auf der Demo in Berlin am vergangenen Samstag gab es eine bunte Mischung von Demonstranten, die sich durch Schwarzer und Wagenknecht angesprochen fühlten – von ganz links bis rechts außen. Menschen, die Angst vor Krieg haben, Querdenker und Pazifisten, sowie Reichsbürger neben Russlandfreunden. Viele schien ein grundsätzliches Misstrauen gegen die herrschende Politik, die Angst vor der Ausweitung des Krieges und die Ablehnung von Nato und den USA zu verbinden.

So vertraten die Chefredakteurin der Zeitschrift "Emma" und die Linken-Politikerin in ihren Reden auf der Bühne noch weitere Thesen. "Und es geht auch nicht um hehre Werte in diesem Krieg, sondern um die Nato und den Umfang der amerikanischen Einflusszone", so Wagenknecht "Und wir sind auch hier, weil wir uns von der deutschen Regierung nicht vertreten fühlen."

Die Ukraine könne gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen, heißt es im Manifest. Auf der Bühne sagte Alice Schwarzer: "Ist das Ziel, nicht nur die Schwächung, sondern die Vernichtung von Russland? Sollte man das ernsthaft versuchen, könnte es das Ende unserer Welt bedeuten."

"Was Alice Schwarzer an diesem Tag gesagt hat, ist eine absurde Äußerung", sagt der Politikwissenschaftler und Publizist Albrecht von Lucke. Diese zeige: "Wie infam angstschürend Frau Schwarzer hier vorgeht. Das Bemerkenswerte war, dass das eigentliche Interesse der Ukraine, das eigene Land zu verteidigen oder vielleicht sogar Verlorengegangenes zurückzuerobern, überhaupt nicht vorkam."

AfD hat für Demo von Linken-Politikerin Wagenknecht geworben

Ist das ein verbindendes Element? Bereits am 24. Februar – ein Jahr nach Angriff von Russland auf die Ukraine und einen Tag vor der Demo – hatten Teile der ostdeutschen AfD und Pegida zu einem Friedensspaziergang aufgerufen. Bei der Demo in Dresden wehten neben russischen Fahnen auch Reichsfahnen, die besonders bei Rechtsextremen beliebt sind.

Sachsens Parteichef Jörg Urban hatte in seiner Rede dafür geworben, am folgenden Tag an der Demonstration von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer teilzunehmen. "Also, ich habe dieses Manifest auch unterzeichnet", erklärte er gegenüber MDR Investigativ. Er finde es sehr mutig, dass Wagenknecht ihre Demo für jeden öffne, "der ehrlichen Herzens für Frieden demonstrieren will und die Parteigrenzen da fallen lässt. Ich werde selber dabei sein."

Es wächst zusammen, was zusammengehört.

Manfred Sapper Osteuropahistoriker

Ein rechtspopulistischer Politiker wirbt für eine Veranstaltung, die von einer führenden Vertreterin der Linken organisiert wurde? "Es wächst zusammen, was zusammengehört", sagt der Osteuropahistoriker Manfred Sapper. "Beiden geht es im Prinzip um die Ausbeutung von Ressentiments. Um die Ausbeutung entweder des antiliberalen, des antieuropäischen Ressentiments oder was das Allerdümmste und Allereinfachste ist: der Antiamerikanismus ist eine gemeinsame Basis."

Björn Höcke fordert Wagenknecht zum Eintritt in AfD auf

Auch der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke begrüßte gegenüber MDR Investigativ die Friedensinitiative von Sahra Wagenknecht. Ob sie damit in der Linkspartei noch eine Zukunft habe, bezweifele er: "Sie ist in der schwierigen Situation, in der eigenen Partei größtenteils isoliert. Auf jeden Fall kann sie ihre Friedenspolitik in der jetzigen Partei 'Die Linke' nicht durchsetzen. Das ist offenkundig." Aus seiner Sicht, suche sie nach einer Alternative.

Auf der Bühne in Dresden ging der Politiker, dessen AfD-Landesverband vom Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextrem" eingestuft ist, noch weiter: "Liebe Sahra Wagenknecht, das geht jetzt in ihre Richtung. Wenn Sie sich parteipolitisch richtig engagieren wollen, dann engagieren Sie sich in der einzigen Friedenspartei. Und das ist die AfD."

Demo: Rechtsextremisten sammeln sich um Linken-Ikone

Eine Politikerin der Linken wird offensichtlich von rechts außen umworben. Bereits als Sahra Wagenknecht am vergangenen Samstag in Berlin ankommt, sammelten sich rechtsextreme Aktivisten wie Nikolai Nerling in ihrer Nähe und wirkten begeistert. Gekommen war auch der brandenburgische AfD-Landtagsabgeordnete Lars Günther. Er wollte die Linken-Politikerin ebenfalls unterstützen – und begründet dies so: "Ich glaube, dass uns vereint, dass wir nicht weiter auf deutscher Seite Richtung Russland eskalieren sollen. Man kann ja keine Großmacht mit Atomwaffen bis aufs Blut reizen. Über diese Themen sollten wir uns unterhalten und nicht über die spalterischen Tendenzen."

Auch andere Bundestags – und Landtagsabgeordnete aus der AfD waren da: Karsten Hilse oder Jörg Urban, sowie Gunnar Lindemann und Hans-Thomas Tillschneider vom rechten Rand der Partei. Ganze Landesverbände sollen mit Bussen angereist sein. Entsteht hier eine neue politische Verbindung?

Wagenknecht wies auf der Bühne in Berlin den Vorwurf zurück, sie habe sich nicht ausreichend nach rechts abgegrenzt: "Deshalb sage ich es trotzdem nochmal: Selbstverständlich haben Neonazis und Reichsbürger […] auf unserer Friedenskundgebung nichts zu suchen. Das verstehe sich aber von selbst."

"Das Interessante ist, dass Wagenknecht in ihrer Rede gesagt hat, dass Reichsbürger und Neonazis nicht erwünscht sind", sagt der Politologe Albrecht von Lucke. "Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass vorher alle Friedensfreunde eingeladen waren." Eine Distanzierung von AfD-Leuten habe also nicht stattgefunden. "Die zieht Wagenknecht offensichtlich immer noch in das Spektrum derer, die es zu gewinnen gilt."

Wagenknecht spricht von "Gespensterdebatte"

"Das ist eine so absurde Gespensterdebatte", sagt Sahra Wagenknecht nach der Demonstration im Interview mit MDR Investigativ. "Es wurde ja suggeriert, dass massenhaft rechte Kameradschaften kommen. Das ist alles Blödsinn. Wenn man das Fahnenmeer gesehen hat, da waren Friedensfahnen, da waren ganz viele Plakate, da war überhaupt nichts Rechtes."

Dabei war genau jene rechte Klientel nicht zu übersehen, wie Recherchen von MDR Investigativ ergeben haben. Auf der Demo in Berlin waren auch noch Jürgen Elsässer, Chef des rechtsextremistischen Compact-Magazins, der Wagenknecht als beste Kanzlerin auf den Titel seines Blattes gehoben hatte, sowie der rechte Medienaktivist Matthäus Westfal, der am Angriff auf dem Reichstag beteiligt war. Die Aufzählung ließe sich mit vielen anderen Personen und Gruppen noch fortsetzen.

"Ich hatte den Eindruck, dass von Frau Wagenknecht die Abgrenzung nach rechts nicht deutlich genug ausgesprochen wurde", sagt Johannes Varwick, der seine Unterstützung für das Manifest zurückgezogen hat. "Der Satz, dass alle willkommen sind, die reinen Herzens sind, der hat mich sehr gestört. Ich mache mich nicht gemein mit Rechten – bei keiner Sache. Und bei dieser auch nicht." Aufgrund der fehlenden Distanzierung hatte sich die Linkspartei kritisch geäußert. Außerdem blieben die Theologin Margot Käßmann und Friedensaktivist Jürgen Grässlin der Kundgebung in Berlin fern – wegen mangelnder Abgrenzung nach rechts

Quelle: mpö

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 01. März 2023 | 20:15 Uhr

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