BSW Wagenknechts Einfluss: Warum scheiterten die Verhandlungen in Sachsen – aber in Thüringen bisher nicht?
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11. November 2024, 09:17 Uhr
Das BSW schnitt furios bei den Landtagswahlen ab. Doch seitdem tobt zwischen Erfurt und Berlin ein Machtkampf. Und in Sachsen scheiterten die Verhandlungen völlig überraschend. Wie konnte es dazu kommen?
- In Sachsen sind die Sondierungen geplatzt.
- In Thüringen verhandelt der BSW-Landesverband unbeirrt weiter.
- Doch der Druck aus Berlin ist noch immer hoch.
Es war Mitte Oktober, als in Berlin eine Runde von BSW-Politikern zusammenkam. Mit dabei: Politiker aus der Bundesspitze sowie aus den drei Landesverbänden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. In Thüringen liefen damals die Sondierungsgespräche, einen Tag später wurde ein erster Entwurf vorgelegt. In Sachsen standen die Gespräche zu dem Zeitpunkt noch aus. Während in Erfurt verhandelt wurde, ging es in Berlin um die weitere Strategie des BSW. Man wollte sich austauschen, die Strategie aufeinander abstimmen. Damals, so sollen es nach MDR-Informationen Teilnehmer des Treffens gesagt haben, sei deutlich gemacht worden, dass die Bundestagswahl das wichtigste Ziel der Partei sein müsse.
Die Bundestagswahl lag zu diesem Zeitpunkt noch ein Jahr weg, war geplant für den Herbst 2025. Inzwischen ist klar: Mit dem Bruch der Koalition kommt es schon in den kommenden Monaten zur Neuwahl. Doch obwohl die Bundestagswahl noch in weiter Ferne lag, sollen bei dem Treffen in Berlin von einigen Teilnehmern nach Informationen von MDR Investigativ starke Bedenken geäußert worden sein. Wenn man regiere und in Wahlumfragen in einen negativen Trend gerate und schließlich unter fünf Prozent bei der Bundestagswahl rutsche, sei die Partei erledigt. Denn dann hätte auch die Vorsitzende Sahra Wagenknecht kein Mandat mehr. Das BSW wäre wohl schnell wieder Geschichte.
Inzwischen ist das BSW laut Umfragen von infratest dimap bundesweit von 8 Prozent Anfang Oktober auf sechs Prozent Ende Oktober gerutscht. Es könnte also eng werden mit dem Bundestagseinzug.
BSW: Von Beginn an Bedenken gegen Antritt bei Landtagswahlen
Nach Informationen von MDR Investigativ gab es schon Ende vergangenen Jahres – als BSW noch im Aufbau war – unter den Parteigründern solche, die sich gegen ein Antreten der Partei bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen aussprachen. Letztlich setzten sich aber die Befürworter durch. Im Herbst 2024 wurde das BSW dann plötzlich vom eigenen Erfolg eingeholt.
Es sind wohl diese Bedenken, die derzeit den Konflikt zwischen der Bundesspitze und dem Thüringer Landesverband anheizen – und auch den Abbruch der Sondierungen in Sachsen befördert haben könnten.
In Thüringen grätschte Parteichefin Sahra Wagenknecht von Beginn an in die Sondierungen mit SPD und CDU. Die Arbeitsgruppen kamen schnell voran, auch eine Einigung bei der Friedensformel schien möglich. Doch dann wurden die Gespräche mehrmals zurückgeworfen. Ende Oktober standen die Gespräche kurz vor dem Aus – zumindest wurde das in der Öffentlichkeit vor allem von der SPD so kolportiert. Der Grund: Die BSW-Bundesspitze wollte schärfere Formulierungen bei den Waffenlieferungen zum Ukrainekrieg und bei der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland durchsetzen. Doch hinter den Kulissen trafen sich an diesem Wochenende nach Informationen von MDR Investigativ die Thüringer Parteichefs von BSW, SPD und CDU und verhandelten weiter.
Am Montag, dem 28. Oktober, gab es dann einen neuen Kompromissvorschlag. An diesem Nachmittag traten Katja Wolf, Steffen Schütz (beide BSW), Georg Maier (SPD) und Mario Voigt (CDU) gemeinsam vor die Kameras und verkündeten eine Einigung. Was in den Stunden davor genau geschah, ist unklar. Vom Thüringer BSW hieß es, das Dokument sei mit der Bundesspitze "intensiv diskutiert worden", so hatte es die BSW-Landesvorsitzende Katja Wolf zuvor auf der Pressekonferenz gesagt. Eine Zustimmung aus Berlin sei rein formal nicht vorgesehen.
BSW: Thüringen handelte im Alleingang
Aus BSW-Parteikreisen in Berlin gibt es dagegen eine ganz andere Version. Demnach kannte Sahra Wagenknecht zwar den Text, sie hatte ihn aber nicht abgesegnet. Wolf und Schütz entschieden sich schließlich für die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen – ohne das Einverständnis von Wagenknecht. Wagenknecht selber übte daraufhin heftige Kritik an dem Ergebnis. Kurz darauf folgten ihr weitere BSW-Mitglieder. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der BSW-Gruppe im Bundestag, Jessica Tatti, und der Schatzmeister Ralph Suikt übten in einem Gastbeitrag für T-Online heftige Kritik: "Katja Wolf und Steffen Schütz sind in Thüringen auf dem besten Weg, das BSW zu einer Partei zu machen, von der es nicht noch eine braucht", hieß es.
Kurz darauf gab es einen Beschluss des Bundesvorstands, der noch deutlicher wurde. Dort hieß es: "Kompromisse gehören zur Politik. Aber Kompromissfähigkeit und Pragmatismus dürfen nicht der Vorwand sein, um Ministerämter und Staatssekretärsposten auch um den Preis des Bruchs zentraler Wahlversprechen besetzen zu können." Ein Frontalangriff auf den Thüringer Landesverband.
Zurückhaltung beim Thüringer BSW
In Thüringen hielt sich die BSW-Spitze dennoch öffentlich zurück. Nach einer Mitgliederversammlung zeigten sich Thüringens BSW-Chefin Wolf und BSW-Bundesgeneralsekretär Christian Leye demonstrativ zusammen vor der Kamera – beide signalisierten Entgegenkommen. Leye war zuvor zu mehreren intensiven Gesprächen in Erfurt gewesen. Doch wie soll eine Lösung aussehen? Die BSW-Bundesspitze dringt weiter auf eine stärkere Handschrift des BSW beim Thema Frieden. Die Präambel will der Thüringer Landesverband aber nicht mehr verändern – geplant ist vielmehr, das Thema im eigentlichen Koalitionsvertrag festzuhalten.
Über den soll dann der BSW-Landesverband am 23. November abstimmen. Dann könnte es spannend werden. Denn in der Thüringer BSW-Fraktion stehen die meisten zwar hinter ihren Vorsitzenden Katja Wolf und Steffen Schütz, bei den Mitgliedern ist eine Mehrheit aber keinesfalls sicher. Das gilt noch mehr, da die Bundesspitze kürzlich am Landesverband vorbei mehr als 20 Mitglieder aufgenommen hat – und dafür 15 vom Landesverband vorgeschlagene Mitglieder ohne Absprache nicht aufnahm. Zuerst hatte darüber die Thüringer Allgemeine berichtet. Beim Thüringer Landesverband ist die Wut über die Mitgliederaufnahme ohne Absprache groß.
Optimistisch ist man dort dennoch. Co-Parteichef Steffen Schütz sagte dem MDR: "Ich erlebe unsere Fraktion als engagiertes und kompetentes Team. Wir wissen alle, worum es geht und was wir unseren Wählern versprochen haben. Ich habe keinen Grund zu zweifeln, dass wir das auch in die laufenden Verhandlungen einbringen." Was die Zusammenarbeit mit CDU und SPD betreffe, sei er nach den bisherigen Verhandlungen weiter zuversichtlich.
Was führte zum Sondierungsabbruch in Sachsen?
Und in Sachsen? Dort liefen die Sondierung lange viel geräuschloser. Doch am Mittwoch dann das plötzliche Aus. Man habe sich mit SPD und CDU nicht einigen können, hieß es. Nach Informationen von MDR Investigativ war auch die eigene Landtagsfraktion sehr überrascht vom plötzlichen Abbruch der Gespräche. Dies sei im Alleingang von Landeschefin Sabine Zimmermann und ihrem Chefberater, dem Leipziger Journalistik-Professor Marcel Machill, entschieden worden. Die eigene Fraktion erfuhr davon erst fast zeitgleich mit den Medien. Doch es geht noch weiter: Gemutmaßt wird sogar in Teilen der BSW-Fraktion, dass ein Abbruch schon seit mehreren Tagen geplant war. Der Ärger sei groß. Aus einer anderen Fraktion hieß es, Machill habe in den Tagen vor dem Abbruch bereits immer neue Forderungen gestellt. Gemutmaßt werde, dass er nun eine Kandidatur für den Bundestag anstrebe.
Aus BSW-Fraktionskreisen hieß es weiter, zuletzt habe sich Zimmermann regelrecht abhängig gemacht von Machill, er sei bei allen Verhandlungen dabei gewesen. In der Bild-Zeitung hieß zudem, dass es nach übereinstimmenden Berichten aus Verhandlungskreisen Machill gewesen sei, der die gefundene Kompromissformeln zu Ukraine, Mittelstreckenraketen und Westbindung Deutschlands immer wieder infrage gestellt und die Verhandlungen permanent mit Nachforderungen torpediert habe.
Demnach sei es der Professor gewesen, der abrupt und zur Überraschung von CDU und SPD-Unterhändlern am Mittwoch vom Tisch aufgestanden sei und die Verhandlungen beendete habe. Vom BSW gab es dazu keine Auskunft. Aber der Schaden für die Fraktion ist in jedem Fall da. In Sachsen sind die Verhandlungen gescheitert. Auch wenn Sabine Zimmermann am Freitag anbot, mit der CDU zusammen eine Minderheitsregierung bilden zu können. Ausgang offen.
Tatti: Gespräche abbrechen, wenn die Ergebnisse nicht reichen
In Thüringen könnten die Koalitionsverhandlungen dagegen tatsächlich erfolgreich sein. Auch, weil die dortigen Landeschefs dem Druck aus Berlin bisher standgehalten haben. Doch der ist weiter vorhanden. Die Parlamentarische Geschäftsführerin Jessica Tatti sagte MDR Investigativ: "Nur wenn in Thüringen sowohl bei der Friedenspräambel als auch bei den landespolitischen Themen - Sozialer Wohnungsbau, Kliniken, Verfassungsschutz und Corona-Amnestiegesetz - noch deutliche Verbesserungen nachverhandelt werden, wäre eine Koalition aus meiner Sicht noch denkbar. Allerdings nur dann. Sachsen hat gezeigt, dass man die Gespräche abbrechen sollte, wenn die Ergebnisse leider nicht reichen, um beim Wähler glaubwürdig zu bleiben."
Für den Bund forderte Tatti nach dem Bruch der Ampelkoalition rasche Neuwahlen. Olaf Scholz solle ohne weitere Verzögerung die Vertrauensfrage stellen und den Weg für Neuwahlen freimachen. "Wir werden jetzt die Ärmel hochkrempeln und sind bereit für den Wahlkampf", sagte sie.
In Thüringen könnte dann bereits eine Regierung stehen – mit BSW-Beteiligung. Ob es wirklich so weit kommt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL TV | 06. November 2024 | 17:45 Uhr