Die Politikerin Sahra Wagenknecht (BSW / Buendnis Sahra Wagenknecht), rechts, und Eisenachs Oberbuergermeisterin Katja Wolf (Die Linke), links, posieren am Abend im Weimarer Hotel Dorint fuer ein Foto. Wolf tritt zur Kommunalwahl am 26. Mai 2024 nicht wieder an. Das kuendigte die 47-Jaehrige am Freitag an. Stattdessen will sie fuer das Buendnis Sahra Wagenknecht fuer den Thueringer Landtag kandidieren.
Erst im Januar hat Sahra Wagenknecht ihre Partei gegründet. Die frühere Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf (links im Bild) ist von Anfang an mit dabei. Bildrechte: IMAGO/Funke Foto Services

Forscher zu BSW Wolf gegen Wagenknecht? Die Machtprobe in Thüringen

31. Oktober 2024, 06:23 Uhr

In Thüringen haben die Gespräche zur Bildung einer Brombeer-Koalition begonnen. Ein Friedenspassus wurde offenbar ohne Rücksprache mit Parteichefin Wagenknecht in der Präambel festgeschrieben. Wir haben Politikwissenschaftler Oliver Lembcke gefragt, wie er das einordnet.

MDR Redakteurin Carmen Fiedler
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Wagenknecht ist unzufrieden

Schon am Montagabend zeigte sich Sahra Wagenknecht unzufrieden mit dem Thüringer Kompromiss. "Die Präambel, auf die sich die Verhandler von CDU, SPD und BSW in Thüringen geeinigt haben, bleibt in der wichtigen Frage von Krieg und Frieden leider deutlich hinter dem in Brandenburg gefundenen guten Kompromiss zurück", sagte sie dem "Spiegel".

Das Dokument sei mit der Bundesspitze "intensiv diskutiert worden", hatte die BSW-Landesvorsitzende Katja Wolf zuvor auf einer Pressekonferenz gesagt. Eine Zustimmung aus Berlin sei rein formal nicht vorgesehen.

Machtprobe zwischen Wolf und Wagenknecht

Das kann und wird die Koalitionsverhandlungen beeinträchtigen. Das kann sie möglicherweise behindern oder auch zum Scheitern bringen.

Oliver Lembcke Politikwissenschaftler

Eine Machtprobe zwischen Wolf und Wagenknecht sei das jetzt, sagte der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke von der Ruhr-Universität in Bochum MDR THÜRINGEN. "Das kann und wird die Koalitionsverhandlungen beeinträchtigen. Das kann sie möglicherweise behindern oder auch zum Scheitern bringen." Denn Wagenknecht werde das Thema Krieg und Frieden niemals loslassen, sie stehe dafür und sei hauptsächlich dafür gewählt worden. Am Sonnabend stellte sie dann konkrete Forderungen an den Thüringer BSW-Verband um Katja Wolf und Steffen Schütz.

BSW Thüringen: Kritik Wagenknechts zur Kenntnis genommen

Der Landesvorstand des BSW hat inzwischen der Präambel zugestimmt. "Die Verhandlungen werden fortgeführt", sagte der Pressesprecher der Landespartei auf Nachfrage. Die Kritik Wagenknechts habe man zur Kenntnis genommen. Allerdings gebe es in Thüringen ganz andere Verhältnisse als in Brandenburg. Dort müsse nur mit einer Partei verhandelt werden, in Thüringen jedoch mit zwei Parteien.

Wagenknecht könne angesichts dieser Konstellation in Thüringen nachsichtiger sein als etwa in Brandenburg, erklärt Politikwissenschaftler Lembcke. Und tatsächlich sagte Wagenknecht dem MDR: "Wir werden in Gespräche eintreten" - trotz ihrer Unzufriedenheit mit der Präambel.

Autoritäre Struktur beim BSW

Dass eine Parteichefin sich so öffentlich und häufig in Angelegenheiten der Landesverbände einmischt, ist speziell. "Im Prinzip hat Sahra Wagenknecht eine klar autoritäre Struktur etabliert", sagt Lembcke. Das BSW sei eine Kaderpartei. Dazu gehöre beispielsweise das Verfahren, Mitgliedsanträge streng zu prüfen. Lembcke spricht hier von einem "heftigen Screening". Formalrechtlich betrachtet sei das BSW eine Partei, aber der Struktur nach wolle man keine Mitglieder.

Die einzige Struktur, die diese Partei kennt, ist von oben nach unten, also Top-down.

Oliver Lembcke Politikwissenschaftler

"Wer es überhaupt schafft, Mitglied zu werden, der muss sich gewissermaßen einreihen. Die einzige Struktur, die diese Partei kennt, ist von oben nach unten, also Top-down." So etwas gebe es in Deutschland sonst gar nicht. "Man will offenbar bislang auch keine regionale Verwurzelung", sagt Lembcke.

Dazu passt, dass der Landesverband nur 83 Mitglieder hat, obwohl sich Hunderte Thüringer um eine Mitgliedschaft beworben haben. Bis zur Bundestagswahl will man in Thüringen auf 150 Mitglieder wachsen, sagte der Pressesprecher MDR THÜRINGEN. "Wenn wir noch mehr haben, dann ist es besser."

Oliver Lembcke ist ein deutscher Politikwissenschaftler.
Der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke lehrt derzeit an der Ruhr-Universität in Bochum. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Politikwissenschaftler Lembcke erkärt, was "Kaderpartei" heißt: "Dass ich meine Leute an den entsprechenden Stellen platziere und die führen dann aus, was ich entscheide." Auch die Landesverbände "sollen in Abstimmung mit der Führung", also zentralistisch, organisiert werden. "Aber jetzt gibt es diese handfesten Interessengegensätze, und da merkt man, dass man versucht, in Thüringen Beinfreiheit zu bekommen, um eigene Entscheidungen treffen zu können."

Wann, wenn nicht jetzt? Das macht Katja Wolf in gewisser Weise richtig.

Oliver Lembcke Politikwissenschaftler

Das müsse auch sein. Kein Politiker könne durch geliehene Autorität erfolgreich in der Politik sein. "Wenn es Wolf nicht gelingt, sich von Wagenknecht abzusetzen und sie nur ausführendes Organ ist, verliert sie bei der Wählerschaft, dann verliert auch der Landesverband in den Augen der Wählerschaft." Wolf müsse eine eigenständige Autorität und Persönlichkeit herausbilden. "Wann, wenn nicht jetzt? Das macht Katja Wolf in gewisser Weise richtig."

Laut Satzung kann das BSW einzelne Landesverbände ausschließen

Doch das birgt auch eine Gefahr für den Landesverband. In der Satzung des BSW heißt es in Paragraf 15, dass Landesverbände ausgeschlossen werden können, wenn sie etwa "in wesentlichen Fragen gegen die politische Zielsetzung der Partei handeln".

Was darf also der Landesverband, wenn es nach Wagenknecht ginge? Dass man die Parteigründerin bei den Verhandlungen zu einem Friedenspassus außenvor gelassen habe, "war ein Affront und es wird sich zeigen, ob sie das durchgehen lässt", sagt Lembcke. "Der Ausgang dieser Machtprobe, die Wolf initiiert hat, ist völlig offen."

Das hätte hohe politische Kosten.

Oliver Lembcke Politikwissenschaftler

Doch dass der Thüringer Landesverband ausgeschlossen wird, glaubt der Politikwissenschaftler nicht. "Das hätte hohe politische Kosten." Entscheidend sei, wie das nach außen hin wahrgenommen werde, einen Landesverband aus dem Grund auszuschließen, weil es innerparteilichen Widerstand und Meinungsvielfalt gibt.

"Ich glaube, das Urteil wäre vernichtend. Ich glaube nicht, dass sie sich das erlauben kann, ich glaube auch nicht, dass sie das muss." Sondern Wagenknecht werde Mittel und Wege finden, "ihre konkurrenzlose mediale Aufmerksamkeit, die sie besitzt, einzusetzen, um ihren Standpunkt zu platzieren."

Eines steht fest: Die gewählten BSW-Landtagsmitglieder blieben weiterhin Abgeordnete, auch wenn der Thüringer BSW-Landesverband oder einzelne Personen aus der Partei ausgeschlossen werden sollten.

Landesthemen im Koalitionspapier

Steffen Schütz (BSW/von links), Katja Wolf (BSW), Mario Voigt (CDU) und Georg Maier (SPD) berichten in einer Pressekonferenz vom neuen Kompromiss zu einer Friedens-Präambel.
Steffen Schütz und Katja Wolf (BSW) sowie Mario Voigt (CDU) und Georg Maier (SPD) kündigen in einer Pressekonferenz Koalitionsgespräche an. (von links) Bildrechte: MDR/Carmen Fiedler

In den nächsten Wochen wollen CDU, BSW und SPD ein Koalitionspapier ausarbeiten. "Wir gehen jetzt an die Arbeit und beginnen, die Koalitionspapiere mit den Themen auszufüllen, die für das BSW wichtig sind", sagt der Pressesprecher dazu. Als Beispiele zählte er ausschließlich Landesthemen auf, etwa den Haushalt oder die Energiewirtschaft in Thüringen. "Wir sind ziemlich gut strukturiert, weil wir uns darauf vorbereitet haben."

Politikwissenschaftler Lembcke sagt: "Ich würde denken, dass Wagenknecht noch viele Pfeile im Köcher hat und darauf achten wird, dass das in ihrem Sinne weiterläuft. Sie kann da noch viel medialen Druck aufbauen." Die Machtprobe geht also weiter.

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Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 02. November 2024 | 18:00 Uhr

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