Forscher zu BSW Wolf gegen Wagenknecht? Die Machtprobe in Thüringen
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31. Oktober 2024, 06:23 Uhr
In Thüringen haben die Gespräche zur Bildung einer Brombeer-Koalition begonnen. Ein Friedenspassus wurde offenbar ohne Rücksprache mit Parteichefin Wagenknecht in der Präambel festgeschrieben. Wir haben Politikwissenschaftler Oliver Lembcke gefragt, wie er das einordnet.
Am Dienstag dieser Woche haben in Thüringen die Gespräche zur Bildung einer Brombeer-Koalition begonnen. Am Tag zuvor hatten die Parteispitzen von CDU, BSW und SPD die Einigung über einen Friedenspassus in einer Präambel für einen Koalitionsvertrag verkündet.
Wagenknecht ist unzufrieden
Schon am Montagabend zeigte sich Sahra Wagenknecht unzufrieden mit dem Thüringer Kompromiss. "Die Präambel, auf die sich die Verhandler von CDU, SPD und BSW in Thüringen geeinigt haben, bleibt in der wichtigen Frage von Krieg und Frieden leider deutlich hinter dem in Brandenburg gefundenen guten Kompromiss zurück", sagte sie dem "Spiegel".
Das Dokument sei mit der Bundesspitze "intensiv diskutiert worden", hatte die BSW-Landesvorsitzende Katja Wolf zuvor auf einer Pressekonferenz gesagt. Eine Zustimmung aus Berlin sei rein formal nicht vorgesehen.
Machtprobe zwischen Wolf und Wagenknecht
Das kann und wird die Koalitionsverhandlungen beeinträchtigen. Das kann sie möglicherweise behindern oder auch zum Scheitern bringen.
Eine Machtprobe zwischen Wolf und Wagenknecht sei das jetzt, sagte der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke von der Ruhr-Universität in Bochum MDR THÜRINGEN. "Das kann und wird die Koalitionsverhandlungen beeinträchtigen. Das kann sie möglicherweise behindern oder auch zum Scheitern bringen." Denn Wagenknecht werde das Thema Krieg und Frieden niemals loslassen, sie stehe dafür und sei hauptsächlich dafür gewählt worden. Am Sonnabend stellte sie dann konkrete Forderungen an den Thüringer BSW-Verband um Katja Wolf und Steffen Schütz.
BSW Thüringen: Kritik Wagenknechts zur Kenntnis genommen
Der Landesvorstand des BSW hat inzwischen der Präambel zugestimmt. "Die Verhandlungen werden fortgeführt", sagte der Pressesprecher der Landespartei auf Nachfrage. Die Kritik Wagenknechts habe man zur Kenntnis genommen. Allerdings gebe es in Thüringen ganz andere Verhältnisse als in Brandenburg. Dort müsse nur mit einer Partei verhandelt werden, in Thüringen jedoch mit zwei Parteien.
Wagenknecht könne angesichts dieser Konstellation in Thüringen nachsichtiger sein als etwa in Brandenburg, erklärt Politikwissenschaftler Lembcke. Und tatsächlich sagte Wagenknecht dem MDR: "Wir werden in Gespräche eintreten" - trotz ihrer Unzufriedenheit mit der Präambel.
Autoritäre Struktur beim BSW
Dass eine Parteichefin sich so öffentlich und häufig in Angelegenheiten der Landesverbände einmischt, ist speziell. "Im Prinzip hat Sahra Wagenknecht eine klar autoritäre Struktur etabliert", sagt Lembcke. Das BSW sei eine Kaderpartei. Dazu gehöre beispielsweise das Verfahren, Mitgliedsanträge streng zu prüfen. Lembcke spricht hier von einem "heftigen Screening". Formalrechtlich betrachtet sei das BSW eine Partei, aber der Struktur nach wolle man keine Mitglieder.
Die einzige Struktur, die diese Partei kennt, ist von oben nach unten, also Top-down.
"Wer es überhaupt schafft, Mitglied zu werden, der muss sich gewissermaßen einreihen. Die einzige Struktur, die diese Partei kennt, ist von oben nach unten, also Top-down." So etwas gebe es in Deutschland sonst gar nicht. "Man will offenbar bislang auch keine regionale Verwurzelung", sagt Lembcke.
Dazu passt, dass der Landesverband nur 83 Mitglieder hat, obwohl sich Hunderte Thüringer um eine Mitgliedschaft beworben haben. Bis zur Bundestagswahl will man in Thüringen auf 150 Mitglieder wachsen, sagte der Pressesprecher MDR THÜRINGEN. "Wenn wir noch mehr haben, dann ist es besser."
Politikwissenschaftler Lembcke erkärt, was "Kaderpartei" heißt: "Dass ich meine Leute an den entsprechenden Stellen platziere und die führen dann aus, was ich entscheide." Auch die Landesverbände "sollen in Abstimmung mit der Führung", also zentralistisch, organisiert werden. "Aber jetzt gibt es diese handfesten Interessengegensätze, und da merkt man, dass man versucht, in Thüringen Beinfreiheit zu bekommen, um eigene Entscheidungen treffen zu können."
Wann, wenn nicht jetzt? Das macht Katja Wolf in gewisser Weise richtig.
Das müsse auch sein. Kein Politiker könne durch geliehene Autorität erfolgreich in der Politik sein. "Wenn es Wolf nicht gelingt, sich von Wagenknecht abzusetzen und sie nur ausführendes Organ ist, verliert sie bei der Wählerschaft, dann verliert auch der Landesverband in den Augen der Wählerschaft." Wolf müsse eine eigenständige Autorität und Persönlichkeit herausbilden. "Wann, wenn nicht jetzt? Das macht Katja Wolf in gewisser Weise richtig."
Laut Satzung kann das BSW einzelne Landesverbände ausschließen
Doch das birgt auch eine Gefahr für den Landesverband. In der Satzung des BSW heißt es in Paragraf 15, dass Landesverbände ausgeschlossen werden können, wenn sie etwa "in wesentlichen Fragen gegen die politische Zielsetzung der Partei handeln".
Was darf also der Landesverband, wenn es nach Wagenknecht ginge? Dass man die Parteigründerin bei den Verhandlungen zu einem Friedenspassus außenvor gelassen habe, "war ein Affront und es wird sich zeigen, ob sie das durchgehen lässt", sagt Lembcke. "Der Ausgang dieser Machtprobe, die Wolf initiiert hat, ist völlig offen."
Das hätte hohe politische Kosten.
Doch dass der Thüringer Landesverband ausgeschlossen wird, glaubt der Politikwissenschaftler nicht. "Das hätte hohe politische Kosten." Entscheidend sei, wie das nach außen hin wahrgenommen werde, einen Landesverband aus dem Grund auszuschließen, weil es innerparteilichen Widerstand und Meinungsvielfalt gibt.
"Ich glaube, das Urteil wäre vernichtend. Ich glaube nicht, dass sie sich das erlauben kann, ich glaube auch nicht, dass sie das muss." Sondern Wagenknecht werde Mittel und Wege finden, "ihre konkurrenzlose mediale Aufmerksamkeit, die sie besitzt, einzusetzen, um ihren Standpunkt zu platzieren."
Eines steht fest: Die gewählten BSW-Landtagsmitglieder blieben weiterhin Abgeordnete, auch wenn der Thüringer BSW-Landesverband oder einzelne Personen aus der Partei ausgeschlossen werden sollten.
Landesthemen im Koalitionspapier
In den nächsten Wochen wollen CDU, BSW und SPD ein Koalitionspapier ausarbeiten. "Wir gehen jetzt an die Arbeit und beginnen, die Koalitionspapiere mit den Themen auszufüllen, die für das BSW wichtig sind", sagt der Pressesprecher dazu. Als Beispiele zählte er ausschließlich Landesthemen auf, etwa den Haushalt oder die Energiewirtschaft in Thüringen. "Wir sind ziemlich gut strukturiert, weil wir uns darauf vorbereitet haben."
Politikwissenschaftler Lembcke sagt: "Ich würde denken, dass Wagenknecht noch viele Pfeile im Köcher hat und darauf achten wird, dass das in ihrem Sinne weiterläuft. Sie kann da noch viel medialen Druck aufbauen." Die Machtprobe geht also weiter.
MDR (caf)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 02. November 2024 | 18:00 Uhr
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