Entwicklungshilfe Faktencheck: Verschleudert Deutschland Steuermilliarden an Indien?
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22. August 2024, 17:30 Uhr
Zusammen mit dem Funk-Kanal Fakecheck versucht MDR AKTUELL, Falschaussagen bei Tiktok und in anderen Sozialen Medien einzuordnen und Vorurteile zu entkräften. So behauptet der Tiktoker Matthias Rauch, Deutschland verschwende Milliardensummen für Entwicklungshilfe an Indien. Was ist das für Geld? Und braucht Indien die Finanzhilfen?
- Es gibt einen Unterschied zwischen Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit
- Die Milliarden für Indien fließen vor allem in die Umwelthilfe
- Mit Investitionen in die Atom- und Weltraummacht Indien will die Bundesregierung auch deutschen Unternehmen einen Markt öffnen.
- Indien ist wirtschaftlich nicht stärker als Deutschland – vor allem nicht pro Kopf.
- Ist Kritik an deutscher Entwicklungshilfe trotzdem berechtigt?
"Deutsche Steuergelder in Höhe von 10 Milliarden Euro wurden soeben verbrannt. Ratet mal, an wen Deutschland die schickt, um dort die Wirtschaft und Industrie zu unterstützen? An Indien, das viertstärkste wirtschaftliche Land der Welt."
Das sind Aussagen von Matthias Rauch auf seinem Tiktok-Kanal @ichbinmatthiasrauch, der 225.000 Follower hat. Sein Video zur angeblichen Verschwendung deutscher Steuergelder in Indien wurde mehr als 177.000 Mal (Stand: 31.7.2024) aufgerufen. Rauch prangert an, es sei doch Irrsinn, ein Land zu unterstützen, das wirtschaftlich stärker als Deutschland sei. Wir haben die Fakten gecheckt.
Der Unterschied zwischen Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit
Deutschland stellt Indien binnen zehn Jahren etwa 10 Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit bereit, also etwa eine Milliarde Euro pro Jahr. Das haben 2022 Bundeskanzler Olaf Scholz und der indische Regierungschef Narendra Modi bei einem Treffen vereinbart.
Jedoch muss zwischen Mitteln zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie direkter Entwicklungshilfe für arme Länder etwa in Afrika oder Südamerika unterschieden werden. Die Mittel zur Entwicklungszuammenarberit für Indien sind vor allem Kredite der KfW-Entwicklungsbank, die Indien zu etwas günstigeren Zinssätzen als am Weltmarkt bereitgestellt werden. Damit werden vorrangig Klimaschutz- und Umweltschutzprojekte in Indien unterstützt. Die Inder zahlen das Geld in den Bundeshaushalt zurück.
Die Bundesministerin für Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Svenja Schulze, stellte dazu in einem Focus-Bericht klar: 90 Prozent der Unterstützungsleistungen seien Kredite, die "Indien verzinst zurückzahlt". Die weiteren rund zehn Prozent umfassen laut BMZ insbesondere Beratung und Ausbildungsmaßnahmen auf nationaler, bundesstaatlicher oder lokaler Ebene in Indien. Das sind dann direkte Transfers, die nicht zurückgezahlt werden müssen.
Beispiele für geförderte Umweltschutzprojekte in Indien
Das BMZ erklärt auf Nachfrage von MDR AKTUELL, einerseits unterstütze Deutschland mit Krediten an Indien den Bau von Infrastruktur im Bereich Erneuerbare Energien. Andererseits werde direkt geholfen, um ausreichend qualifiziertes Personal zur Wartung und Instandhaltung von Solarparks und Windanlagen zu schulen. Ähnlich funktioniere das bei der kreditfinanzierten Beschaffung von E-Bussen und Ladeinfrastruktur. Zugleich helfe Deutschland bei IT-Hard- und Software zur Effizienzsteigerung der Busse, um zusätzlich CO2 einzusparen. Laut BMZ gibt es für die Entwicklungszusammenarbeit und -hilfe insgesamt strenge Regeln und Kontrollen, um Missbrauch vorzubeugen.
Auch die KfW-Bank betont die geoökologische Dimension des deutschen Engagements in Indien. Der Subkontinent liege beim Ausstoß von Treibhausgasen weltweit inzwischen hinter China und den USA an dritter Stelle.
Braucht die Atommacht Indien deutsche Hilfe und was bringt das Deutschland?
Der Focus und der Tiktoker Rauch vermengen jedoch in ihren Beiträgen direkte Hilfen an arme Länder und eben Kredite zur Entwicklungsförderung. Sie stellen das deutsche Engagement weltweit und die Indien-Hilfe als "Schildbürgerstreich" in Frage: Warum unterstütze Deutschland eine Atommacht, die eine Sonde auf dem Mond gelandet habe und über eine boomende IT-Industrie verfüge?
Auf Nachfrage von MDR AKTUELL erläutert Stephan Klingebiel vom German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Indien als aufstrebende Wirtschaftsmacht habe tatsächlich gar keine Direktzahlungen aus Deutschland nötig. Der Leiter des Forschungsprogramms "Inter- und transnationale Kooperation" erläutert, es gehe vor allem um klimapolitische Unterstützung für Infrastruktur und die wirtschaftliche Entwicklung. Dazu gehörten eben vor allem Energieprojekte, um die Treibhausgasemissionen Indiens zu reduzieren, aber auch Projekte für ökologische und nachhaltige Landwirtschaft. Davon profitiere die ganze Welt, also auch Deutschland.
Klingebiel ergänzt, dieses deutsche Engagement nutze auch der deutschen Wirtschaft, etwa über Beteiligungen und Aufträge. Diese gemeinsamen Projekte seien "ein Sprungbrett" für deutsche Unternehmen auf dem Riesenmarkt Indien mit seinen 1,4 Milliarden Menschen. Das Bundesministerium für Zusammenarbeit verweist ebenfalls auf Vorteile für beide Seiten: "Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Indien fördert insbesondere die Schaffung von Rahmenbedingungen, die für Investitionsentscheidungen ausschlaggebend sind: Deutsche Unternehmen betrachten Indien zunehmend als Schlüsselland für Investitionen in Asien und erwarten deutliche Zuwächse ihrer Einnahmen und Profite bis 2029."
Ist Indien wirtschaftlich stärker als Deutschland?
Außerdem behauptet Matthias Rauch in seinem Clip, Indien sei "das viertstärkste wirtschaftliche Land der Welt". Unterlegt wird diese Aussage mit einer IWF-Grafik von 2019, laut der Indien hinter China, der USA und EU beim Anteil an der Weltgesamtwirtschaft rangiert. Im Statista-Ranking zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der 20 wirtschaftlich führenden Länder liegt Indien mit einigem Abstand hinter Deutschland und Japan auf Rang 5.
Das BIP eines Landes ist ohnehin nur bedingt aussagekräftig, sondern muss ins Verhältnis zur Einwohnerzahl gesetzt werden. Demnach kam Deutschland im vergangenen Jahr auf rund 52.700 US-Dollar Wirtschaftsleistung pro Kopf. In Indien sind es etwa 2.500 Dollar – also weniger als ein Zwanzigstel.
Professor Klingebiel sagte MDR AKTUELL dazu, Indien habe stark aufgeholt, sei aber weiter ein "unteres Mitteleinkommensland", Deutschland dagegen ein "Hocheinkommensland". Es gebe weiterhin "enorme Unterschiede in der wirtschaftlichen Kraft von beiden Ländern". In Indien sei massenhafte Armut noch immer ein großes Problem, die grundlegende Infrastruktur sei marode.
Weiter argumentiert der Tiktoker Rauch, die deutsche Wirtschaft schrumpfe, Deutschlands Industrie habe selbst "ein riesiges Problem". Unterlegt mit einem Screenshot eines Zeit-Artikels zur Rezession 2023. Diese Aussage stimmt. Experten führen die schlechten Zahlen vor allem auf Folgen der Corona-Pandemie und hohe Energiepreise zurück.
Geld für Kühlschränke in Kolumbien und Radwege in Peru – wie berechtigt ist Kritik?
Vor allem in sozialen Netzwerken wird Stimmung gegen die deutsche Entwicklungshilfe gemacht. Der Focus berichtet, Steuergelder würden für fragwürdige Projekte zum Fenster rausgeworfen. Genannt wurden 315 Millionen Euro. Wie die Summe zusammenkommt, bleibt offen.
Vor dem Hintergrund des Haushaltsstreits in Deutschland werden als beliebte Beispiele für verfehlte Hilfen immer wieder Projekte wie "grüne Kühlschränke" für Kolumbien (4,6 Millionen Euro) oder die Förderung eines Fahrradwegnetzes in der peruanischen Hauptstadt Lima (20 Millionen Euro) genannt.
Bei der vom Bundeswirtschaftsministerium unterstützten Umrüstung auf FCKW-freie und effizientere Kühlschränke handelt es sich laut der Deutschen Gesellschaft für Entwicklungszusammenarbeit (GIZ) großenteils um Kredite. Deutschlands Hilfe für klimafreundlichen Nahverkehr in peruanischen Städten wird laut GIZ von der Schweiz kofinanziert. 2023 wurden dafür von der KfW 40 Millionen Euro bereitgestellt – als zinsgünstige Kredite. 2024 ist noch mal die gleiche Kreditsumme geplant.
Zusätzlich hat die KfW-Bank bereits 2021 im Auftrag des BMZ einen Zuschuss über 20 Millionen Euro für die Hauptstadt Lima zum Aufbau eines gut 100 Kilometer langen Fahrradwegenetzes bereitgestellt. Dieses Geld muss nicht zurückgezahlt werden, bewilligt wurde es seinerzeit noch unter Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU).
Stephan Klingebiel, Experte für internationale Kooperation, beklagt "eine Skandalisierung von einzelnen Projekten" – wo es keine Skandale gebe. Natürlich müsse immer die Sinnhaftigkeit geprüft werden. Aber im Großen und Ganzen betreibe Deutschland heute eine Entwicklungspolitik, die ganz stark in unserem eigenen Interesse sei.
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