Kanzleramt Das erwarten die mitteldeutschen Länder vom Migrationsgipfel
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06. November 2023, 21:10 Uhr
Vor dem Migrationsgipfel im Kanzleramt am Montag hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff an die Verantwortung des Bundes appelliert. Haseloff sagte MDR AKTUELL, die Länder hätten in diesem Jahr für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen 23 Milliarden Euro zu tragen. Der Bund zahle nur 3,7 Milliarden Euro. Konkret fordern die Länder unter anderem eine Pauschale von rund 10.000 Euro pro Jahr für jeden Flüchtling.
- Haseloff: Bund trägt nur Bruchteil der Kosten.
- Kretschmer: Familiennachzug drastisch reduzieren.
- Ramelow: Europa muss gemeinsam handeln.
Die Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge weist eine Rekordentwicklung aus: In diesem Jahr sind bis Ende September mehr als 219.000 neuangekommene Flüchtlinge in Deutschland registriert worden. Für den gleichen Zeitraum im Vorjahr betrug die Zahl gut 150.000.
Hinzu kommen mehr als eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine seit Beginn des Angriffskrieges. Diesen Ansturm können die Bundesländer kaum noch bewältigen, vom Bund fühlen sie sich allein gelassen. Kathrin Madry aus dem Hauptstadtstudio meint, ohne eine gute Einigung drohe den Ampelparteien ein Fiasko:
Bund trägt nur einen Bruchteil der Ausgaben mit
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff formuliert es so: "Wir sind damit konfrontiert, dass der Bund nicht nur sein Geld auf dem zu niedrigen Betrag der letzten Jahre halten will, sondern dass er es sogar reduzieren will. Wir als Länder haben 2023 mit über 23 Milliarden Euro Lasten zu tragen. Und der Bund zahlt in diesem Jahr nur 3,7 Milliarden Euro und will das im nächsten Jahr auf 1,2 Milliarden herunterfahren. Das heißt, es ist nur ein Bruchteil vom Bund mitgetragen, obwohl der Bund die Verantwortung hat, die Grenzen zu sichern und auch diese Situation insgesamt aufgrund seiner Zuständigkeit nach der Verfassungslage zu bewältigen."
Zentrale Forderungen der Länderchefs sind unter anderem: Eine Pro-Kopf-Pauschale von mindestens 10.500 Euro für jeden Geflüchteten pro Jahr, die vollständige Übernahme der Kosten für die Unterkünfte durch den Bund sowie ein Inflationsausgleich.
Generell fordern die Länder ein "atmendes System": Das heißt, je mehr Migranten kommen, desto mehr müsse der Bund zahlen.
Sachleistungsprinzip und weniger Familiennachzug gefordert
Weitere Maßnahmen hat Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer im ZDF beschrieben: "Das fängt mit der Kürzung der Sozialleistungen an. Es hängt damit zusammen, dass der Familiennachzug drastisch reduziert wird. Dass wir zum Sachleistungsprinzip übergehen, dass wir Grenzkontrollen machen, dass wir eine andere Form von Abschiebung organisieren in diesem Land. Und dass wir versuchen, die EU-Außengrenzen stärker zu kontrollieren."
Solange es das nicht gebe, sagt Kretschmer, seien Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Union nötig.
Sachsen habe da in den letzten drei Wochen schon Tatsachen geschaffen und stationäre Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien durchgeführt. Erste illegale Migranten und mutmaßliche Schleuser hätten so festgehalten werden können.
Nationaler Alleingang oder EU-weite Lösung?
Solche Maßnahmen stoßen allerdings nicht bei allen Länderchefs auf Zustimmung, zum Beispiel bei Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow.
Er sagt: "Es geht um die Frage, ob diese Form der Grenzkontrollen am Ende nicht dazu führen, dass wir das System Schengen und Dublin komplett ad absurdum führen. Da müssen wir aufpassen als Bundesrepublik Deutschland, weil wir der festen Überzeugung sind: Wir brauchen ein gemeinsames Vorgehen, bei dem Europa sich zusammen aufmacht, diese Fragen auch in der Innenverteilung in Europa sauberer zu klären."
Haseloff verweist auf Grundgesetz
Ramelows Amtskollege von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, hat für solche Argumente kein Verständnis. Er sagt: "Herrn Ramelow kann ich nur raten, mal ins Grundgesetz zu gucken und die Verfassungslage anzusehen. Der deutsche Staat hat die Verantwortung, die Grenzen zu sichern und zu kontrollieren, wer rein und wer raus kommt. Das heißt nicht, dass wir irgendwas zusperren, sondern dass wir dieses System kontrollieren müssen. Ansonsten erfüllt der Staat seine Aufgabe nicht, dann haben wir von Staatsversagen zu sprechen."
Rückführungsabkommen und digitaler Flüchtlingspass
Einig sind sich die Ministerpräsidenten bei der Forderung, dass die Bundesregierung mehr Rückführungsabkommen mit anderen Staaten schließen müsse – Abkommen, die auch funktionierten.
Schließlich seien es die Länder, die die Rückführungen organisieren müssten. Neben solchen Fragen wird es um eine Bezahlkarte für Asylbewerber gehen. Dazu erklärte Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer im ZDF: "Wir brauchen einen digitalen Flüchtlingspass, der automatisch auch diese Zahlkarte ist. Dieser muss deutschlandweit gelten. Es ist die Forderung der Ministerpräsidenten an die Bundesregierung, das umzusetzen und die Bundesregierung spielt toter Mann. Sie will nicht handeln."
Unklare Kostenabdeckung für Ukrainer ohne Job
Ebenfalls dringenden Handlungsbedarf durch den Bund sieht Thüringens Regierungschef Ramelow bei einem weiteren Punkt.
Denn was auch zu klären sei, ist "die Verlässlichkeit, die Planungsfähigkeit in der Kostenabdeckung, denn auch da gibt es auch einen Binnenwiderspruch zwischen Geflüchteten, die Asylbewerber sind und denen, die als ukrainische Geflüchtete den Deutschen über das Bürgergeld gleichgestellt sind. Bei den geflüchteten Ukrainern führt es dazu, wenn sie nicht arbeiten gehen, dass sie keine Krankenkassenabsicherung haben. Und dann bleiben die Kommunen auf dem Geld sitzen. Diese Differenz, die muss der Bund jetzt übernehmen."
Schließlich habe der Bund die Entscheidung getroffen, ukrainischen Geflüchteten Bürgergeld zu zahlen, sagt Ramelow. Er könne die Kommunen jetzt nicht in der Finanznot allein lassen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 06. November 2023 | 06:05 Uhr