Bundeshaushalt Streit um Geld für politische Bildung geht weiter
Hauptinhalt
10. September 2023, 14:51 Uhr
Nach mehr als einem Jahrzehnt nomineller Steigerungen soll es jetzt Etat-Kürzungen auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung geben – um satte 20 Prozent, was viel Kritik ausgelöst hat. Die Beratungen im Bundestag haben jedoch gerade erst begonnen, und ob die im Haushaltsentwurf geplanten Kürzungen wirklich kommen, ist offen.
- Widerstand gegen Kürzungen auch in der SPD
- Verdreifachung des bpb-Budgets in einem Jahrzehnt
- Welche Bereiche von Kürzungen betroffen wären
- Unklarheit auch beim Demokratie-Fördergesetz
Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat seit der Gründung 1952 ihre Zentrale in Bonn und heute auch zwei Außenstellen in Berlin und in Gera. Sie ist für ihre Schriften vor allem zu Politik und Zeitgeschichte bekannt, für Seminare, Fortbildungen, Vorträge und Hintergrund-Informationen im Netz.
So gilt sie bis heute als wichtig für Politik- und Demokratie-Bildung in Deutschland und nicht zuletzt auch als Mittel gegen Extremismus.
Ein beliebtes Angebot der bpb ist auch ihr Wahl-O-Mat, mit dem die Wähler und Wählerinnen anhand von Wahlprogrammen überprüfen können, welcher Partei sie inhaltlich eigentlich am nächsten stehen.
Neben der Bundeszentrale gibt es die mit ihr vielfach kooperierenden Landeszentralen für politische Bildung, so auch in Sachsen, in Sachsen-Anhalt und Thüringen. Sie sind auf Nachfrage von MDR AKTUELL aber von den beim Bund geplanten Kürzungen nicht betroffen, da sie nahezu komplett aus den Haushalten der Länder finanziert werden. Nur eben im Rahmen von Kooperationen mit der Bundeszentrale könnte das indirekt der Fall sein.
Widerstand gegen Kürzung auch in der SPD
Bei der Bundeszentrale drohen nun harte Einschnitte. Für 2024 sind Kürzungen um etwa ein Fünftel geplant. Der Etat der beim Innenministerium angesiedelten Behörde soll im Vergleich zu 2023 um etwa 20 Millionen Euro schrumpfen – von aktuell rund 96 Millionen auf dann 76 Millionen Euro.
Das hat umgehend für viel Kritik gesorgt, meist mit Verweis auf ein aktuell angeblich angeschlagenes Demokratie-Vertrauen vor allem in Ostdeutschland. Kritik kam vom CDU-Bundestagsabgeordneten Norbert Röttgen, von der SPD-Politikerin Sawsan Chebli und der Linke-Politikerin Anke Domscheit-Berg, um nur einige zu nennen.
Auch der Vorsitzende des Bundesausschusses politische Bildung e.V., Wilfried Klein, kann die Sparpläne nicht nachvollziehen. Die Demokratieförderung sei in Zeiten eines erstarkenden Extremismus wichtiger denn je, sagte er. Klein vertritt den Dachverband der Einrichtungen politischer Bildung in Deutschland. Weil die bpb mit dem Geld vom Bund nicht nur ihre eigene Arbeit finanziert und sie auch als Drehscheibe für Fördergelder dient, dürften von den Kürzungen auch andere Träger betroffen sein.
Das Ministerium von Nancy Faeser (SPD) betont zwar, dass die wichtigen Programme zur "Stärkung der wehrhaften Demokratie" auch 2024 fortgesetzt werden. Doch selbst SPD-Chefin Saskia Esken will sich darauf offenbar nicht verlassen. Sie hoffe, dass die Kürzungen noch zu stoppen seien, sagte sie im August in der ARD. Die Bundeszentrale müsse "eher noch gestärkt" werden.
In der vergangene Woche nun sagte Simona Koß, SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des Kuratoriums der Bundeszentrale, bei MDR AKTUELL, dass die Verhandlungen im Bundestag noch liefen. "Haushalts-Ausgabenreste" von rund zehn Millionen Euro könnten etwa genutzt werden, um "die wichtigen Hauptaufgaben" der bpb weiterzuführen. Auch werde daran gedacht, weitere zehn Millionen durch Umschichtungen und Kürzungen bei den Sachmitteln aufzutreiben. Da gehe es dann etwa auch um die bpb-Publikationen.
In der Haushaltswoche hatte der Bundestag jetzt erstmals über den Regierungsentwurf für 2024 beraten. Beschlossen werden soll der Haushalt nach Beratungen der Bundestags-Ausschüsse aber erst im Dezember.
Auf die Frage, warum nicht bei den Strukturen der Bundeszentrale gespart werde, sondern bei ihren zentralen Aufgaben, sagte Koß übrigens, dass hier ja vieles gerade erst geschaffen worden sei, ganz bewusst etwa eine Außenstelle in Gera, um in Ostdeutschland präsenter zu sein.
Abgeordnete der beiden anderen Ampel-Fraktionen wollen die geplanten Kürzungen zurücknehmen. Die Grünen wollen in den weiteren Beratungen "für eine Stärkung der politischen Bildung kämpfen", kündigte Innenexpertin Lamya Kaddor in der "taz" an. Die Bundeszentrale sei ein "wichtiges und wirksames Werkzeug" auch zur "Abwehr von gefährlichen Radikalismen". Und der FDP-Innenpolitiker Manuel Höferlin sagte der Zeitung, es gehe hier um "auskömmliche Kapazitäten" für politische Bildung, auch "unabhängig von der Bundeszentrale" und neben Geld auch um "effizientere Strukturen".
Verdreifachung über ein Jahrzehnt
Durchaus auskömmlich war die Finanzaustattung wohl bisher. Die Etat-Ansätze für die bpb sind seit 2012 fast jedes Jahr gestiegen – von 33,97 Millionen Euro auf 96,17 Millionen im laufenden Haushaltsjahr 2023, nach einem zwischenzeitlichen Höchststand von mehr als 100 Millionen Euro im vergangenen. Davon wurden aber nur etwa 91 Millionen Euro ausgegeben. Die nun geplante Kürzung wäre die stärkste seit zwölf Jahren.
Kritiker der Bundeszentrale, ihres Budgets und bisweilen auch der Wirksamkeit ihrer breit angelegten und kaum evaluierten Fördertätigkeit übersehen dabei leicht, dass der Anteil ihrer Mittel am gesamten Etat des Bundes über die Jahre nahezu stabil geblieben ist – bei 0,01 bis 0,02 Prozent zuletzt, was nach dem bisherigen Entwurf sogar auch 2024 so wäre.
Wir wollen die politische Bildung und die Demokratiebildung entlang der Bildungskette stärken, die Projektmittel der Bundeszentrale für politische Bildung erhöhen.
Auf die Frage, ob denn die nun geplante Kürzung nicht ein Bruch des Koalitionsvertrags wäre, räumte die SPD-Politikerin Koß zwar ein, dass man das so sehen könne. Mit Verweis auf Vorgaben des Finanzministers sagte sie jedoch auch: "Wir müssen insgesamt sparen", und der Koalitionsvertrag bleibe die Grundlage, "um weitere Dinge voranzutreiben".
Tatsächlich hatte die Ampel-Koalition in ihrem ersten Haushaltsjahr 2022 mit der höheren Finanzausstattung der bpb den Koalitionsvertrag eingehalten, für das zweite muss wohl von Etat-Stabilität gesprochen werden, während nun im dritten eine Kürzung auf etwa das Niveau von 2020 vorgesehen ist.
Konkrete Auswirkungen noch unklar
Wie genau sich das auf die Arbeit der bpb und ihre Fördermittelvergabe auswirken wird, ist angesichts noch laufender Beratungen unklar. Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, nannte das Programm "Miteinander Reden" als gefährdet. Es ist ein Teil der Aktivitäten gegen Rechtsextremismus mit Schwerpunkt in Ostdeutschland.
In einer Experten-Runde im Deutschlandfunk erwartete Wilfried Klein für die freien Träger, dass Kürzungen bei der bpb "zu einem erheblichen Umfang" sie treffen könnten. Der die Träger betreffende Untertitel des bpb-Etats solle sogar um 25 Prozent sinken und "Veranstaltungen werden wegfallen".
Ähnlich äußerte sich Anja Besand, Professorin für Didaktik der politischen Bildung an der TU Dresden. Zwar sei der Unterricht an Schulen nicht direkt betroffen. Er gehe aber oft Hand in Hand mit der Arbeit der bpb, etwa an den Berufsschulen. Ein so "substanzieller Einschnitt" würde vermutlich nicht zu weniger Publikationen sondern zu weniger Veranstaltungen führen.
Hanna Lorenzen, die Generalsekretärin der Evangelischen Akademien, befürchtete in der Runde im Deutschlandfunk, dass das seit 2018 an rund 600 Schulen laufende und mit bpb-Mitteln ko-finanzierte Projekt der "Respekt Coaches" Ende des Jahres eingestellt werden müsse. Auch erwartete sie, dass die Zahl der Jugend-Bildungsstätten weiter sinke. Wegfallende Fördermittel für solche Strukturen würden zuerst die treffen, die so schon schlechter dran seien – in Ostdeutschland etwa, wo es "noch weniger Fundament" gebe.
Kommt das Demokratie-Fördergesetz?
Die Kritik an "Projektitis", an immer nur befristeter Förderung, die den Aufbau, vor allem aber den Erhalt von Strukturen auch politischer Bildung erschwert, rückt dabei ein anderes Bundesprogramm zur Stärkung der Demokratie in den Blick, das finanziell vorerst weitaus stärker aufgestellt ist als die Bundeszentrale für politische Bildung – "Demokratie leben!"
Es ist beim Bundesfamilienministerium der Grünen-Politikerin Lisa Paus angesiedelt und förderte zuletzt unter anderem 326 lokale Partnerschaften, 16 Landes-Demokratiezentren, 40 weitere Organisationen und nahezu 150 Modellprojekte vor allem für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.
Wissenschaftlich begleitet und laufend evaluiert wird es vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in Halle, das dem Programm in einer Halbzeit-Bilanz für die Förderperiode 2020-2024 insgesamt doch Wirksamkeit attestierte.
Im Koalitionsvertrag hieß es dazu auf Seite 117, dass man bestehende Strukturen stärken und weiterentwickeln wolle, vermehrt auch mehrjährige Zuwendungen ermöglichen und die Finanzierung dauerhaft sichern.
Die sah bisher üppig aus. Noch unter Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) lag 2015 das erste Budget von "Demokratie leben!" bei 40,5 Millionen Euro, 2023 aber schon bei 182 Millionen. Auch 2024 soll es laut Ministerium keine Kürzung geben. Für Projekte zur Stärkung der Demokratie, gegen Rassismus und Rechtsextremismus gebe es 200 Millionen Euro, wie im vorherigen Ansatz von 2023.
Doch auch die Sache hat einen Haken: 2019 hatten Franziska Giffey, damals Familienministerin, und SPD-Parteifreund Olaf Scholz als Finanzminister zwar zugesagt, "Demokratie leben!" bis 2024 so fortzuführen, dabei aber auch ein Demokratie-Fördergesetz gefordert, um für die Zeit danach den Bund auf eine dauerhafte Sicherung entwickelter Strukturen festzulegen.
Das war auf Ablehnung der damals ja auch noch regierenden CDU und CSU gestoßen, warum daraus zunächst nichts wurde. Im Ampel-Koalitionsvertrag von 2021 wurde dann versprochen, bis 2023 "zur verbindlichen und langfristig angelegten Stärkung der Zivilgesellschaft" ein solches Gesetz einzubringen.
Vorhaben nicht weiter vorangekommen
Tatsächlich wurde im Bundeskabinett im Dezember 2022 ein Entwurf beschlossen und am 1. März 2023 in den Bundestag gebracht. Seit einer Experten-Anhörung am 27. März, bei der auch Verbesserungen an dem Gesetz gefordert wurden, hat sich hier aber kaum noch etwas getan.
Sollte es dabei bleiben und auch das Bundesfinanzministerium seinen Spardruck aufrechterhalten, könnte es beim Haushalt im kommenden Jahr bei diesem Thema gleich noch einmal spannend werden.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 06. September 2023 | 08:48 Uhr