Bildschirmfoto einer Tik Tok Seite
Screenshot desTikTok Clips von marija_bratucha, in dem sie skandiert, "Kinderpornografie ist in Deutschland kein Verbrechen" Bildrechte: TikTok, marija_bratucha

Faktencheck Warum das Gesetz zur Kinderpornografie aufgeweicht wurde

10. September 2024, 09:10 Uhr

Bei TikTok macht ein vermeintlicher Skandal die Runde: Kinderpornografie sei in Deutschland kein Verbrechen mehr. Tatsächlich ist das 2021 verschärfte Gesetz zur Kinderpornografie erst im Juni dieses Jahres wieder aufgeweicht worden, denn es hat keine Ausnahmen bei der Bestrafung zugelassen. Eltern oder Lehrkräfte drohten Gefängnisstrafen, wenn sie bei der Aufklärung von Fällen helfen wollten. Echte Täter können dagegen weiterhin bis zu zehn Jahre im Gefängnis landen.

Die Behauptung: Kinderpornografie ist in Deutschland kein Verbrechen

In einem viel beachteten TikTok-Clip hat die Creatorin "marija_bratucha" ihrer Darstellung nach einen riesigen Skandal aufgedeckt: "Kinderpornografie ist in Deutschland kein Verbrechen" ruft sie empört in die Kamera und unterstellt, Pädophile müssten sich hierzulande "pudelwohl" fühlen. Sie erklärt, dass das Mindeststrafmaß für die Herstellung von Missbrauchsdarstellungen an Kindern auf sechs Monate gesenkt wurde. Beim Erwerb solcher Inhalten seien es nur noch drei Monate. "Also weder Herstellung noch Erwerb und Besitz von Kinderpornografie sind heute in Deutschland noch ein Verbrechen" schlussfolgert sie. Das klingt so, als kämen Pädokriminelle zukünftig mit sehr geringen Strafen davon. Was ist dran?

Kinderpornografie Der Begriff Kinderpornografie wird im Strafrecht verwendet. Betroffene von sexualisierter Gewalt lehnen den Begriff jedoch weitestgehend ab.
Kritisch betrachtet wird etwa die Verharmlosung und Ungenauigkeit des Wortes. Sprachlich wird die sexuelle Gewalt an Kindern auf die gleiche Ebene gestellt, wie handelsübliche Pornografie.
Wir verwenden das Wort in diesem Artikel im juristischen Zusammenhang.

Juristisch korrekt – hohe Strafen stehen trotzdem an

Und tatsächlich, die Aussage stimmt – zumindest teilweise. Denn die Mindeststrafe für den Besitz, Weiterverbreitung und Herstellung von kinderpornografischem Material liegt bei unter einem Jahr. Damit ist das rein technisch gesehen erstmal ein Vergehen und kein Verbrechen. Das heißt aber nicht, dass Menschen dafür nicht belangt werden können.

Wichtig ist hier der Hintergrund: Die Behauptung der Creatorin geht auf eine Gesetzesänderung aus dem Juni dieses Jahres zurück.

Die Geschichte des §184b StGB

Zu dem Zeitpunkt ist die Mindeststrafe vom Gesetzgeber abgesenkt worden. Damit ist Kinderpornografie laut Gesetz jetzt wieder ein Vergehen. Davor war der Tatbestand ein Verbrechen, das war allerdings nur für kurze Zeit so. Denn erst im Jahr 2021 hatte die schwarz-rote Bundesregierung die Mindeststrafen für Verbreitung, Abruf und Besitz von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern erhöht – und damit von einem Vergehen zu einem Verbrechen gemacht.

"Natürlich ist das auch im menschlichen Sinne, sage ich mal, ein Verbrechen", bekräftigt Daniel Moßbrucker. Er ist Journalist und recherchiert zu Pädokriminalität im Netz. Im Gespräch mit MDR AKTUELL erklärt er, wie es erst zur Verschärfung und nun wieder zum Absenken der Mindestrafe kam: Moßbrucker erinnert an die schweren Fälle von Kindesmissbrauch, die im Jahr 2021 aufgedeckt wurden. Die Gesellschaft hat damals zurecht Antworten vom Gesetzgeber verlangt: "Und man fand dann auch dort vor allen Dingen bei der Union aber auch bei der SPD sehr schnell den ja eingängig klingenden Slogan: 'Das muss doch immer ein Verbrechen sein'".

Aber schon damals hätten Fachleute vor einer Verschärfung des Gesetzes gewarnt, erzählt der Journalist. In der Bundestagsanhörung sei damals darauf hingewisen worden, dass man damit vor allem die Falschen treffen würde – nämlich Jugendliche, Eltern und Lehrer, die im besten Wissen und Gewissen handeln.

Die Gesellschaft hat damals zurecht Antworten vom Gesetzgeber verlangt.

Daniel Moßbrucker Journalist

Genau so kam es auch. In den letzten Jahren haben einige Fälle Schlagzeilen gemacht, bei denen Angeklagte betroffenen Kindern nur helfen wollten. Das beobachtete auch Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht an der Uni Leipzig: "und alle diese Fälle, die konnte man da nicht mehr flexibel handhaben, sondern musste ein Jahr Mindeststrafe geben."

Verschärfung hat zu Problemen in der Praxis geführt

Daumen einer Frau über Smartphone
Durch die automatische Speicherfunktion für Inhalte aus Messenger-Diensten ist eine Frau versehentlich in den Besitz von Missbrauchsdarstellungen an Kindern gekommen. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Sie berichtet MDR AKTUELL etwa von einem Fall, bei dem eine Frau ungewollt in den Besitz von Kinderpornografie gekommen ist. In einer großen WhatsApp-Gruppe, zu der auch diese Frau gehörte, seien kinderpornografische Materialien geteilt worden. Die betroffene Frau wollte die Inhalte nie haben, kritisierte sie laut Hoven sogar im Chat. Die Inhalte seien aber durch die automatische Speicherfunkion auf ihrem Handy gesichert worden.

Damit war die Frau im Besitz und hätte daher zu einer Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis verurteilt werden müssen. "Für einen solchen Fall war es sinnvoll, dass die Strafverfolgungsbehörden eine Möglichkeit haben zu sagen, wir stellen das jetzt gegen eine Geldauflage ein und das genügt."

Auch die Verbreitung ist seit Juni kein Verbrechen mehr. Zuvor hätte aber etwa eine Mutter mit einer Haftstrafe rechnen müssen, wenn sie ein Nacktfoto vom Handy des eigenen Sohnes an die Eltern seiner minderjährigen Freundin weiterleitet, um diese zu alarmieren. Den Tatbestand der Herstellung von kinderpornografischen Material erfüllte zum Beispiel eine Lehrerin, die Screenshots von Nackfotos einer Schülerin erstellt, um Beweise zu sichern.

Nach der Gesetzesverschärfung von 2021 hätte die Staatsanwaltschaft in diesem Fällen keine andere Wahl, als die Frauen anzuklagen. Auch wenn die Ermittelnden davon ausgehen würden, dass alle mit besten Absichten gehandelt haben.

"Was gut gemeint war, hat zu zahlreichen Problemen in der Praxis der Strafverfolgung geführt", sagte auch Justizminister Marco Buschmann von der FDP angesichts der Gesetzesänderung. Durch die Herabsetzung von einem Verbrechen zu einem Vergehen bekommen Gerichte diese notwendige Flexibilität in der Bewertung von Delikten zurück, sind sich die Epertinnen und Experten einig.

Ein Verbrechen ist der Tatbestand der Kinderpornografie allerdings teilweise noch immer. Nämlich immer dann, wenn der Erwerb oder das Verbreiten solcher Inhalte gewerbsmäßig passiert. Und selbstverständlich ist der sexuelle Missbrauch von Kindern auch eine Straftat, geregelt unter §176 des Strafgesetzbuchs.

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Eine Schülerin hält ein mobiles Telefon in der Hand. 6 min
Bildrechte: picture alliance/dpa | Armin Weigel

Verbrechen oder Vergehen: Der einzige Unterschied ist die Mindeststrafe

Juristinnen und Juristen verwenden die Begrifflichkeiten Verbrechen oder Vergehen eh nicht so, wie sie umgangssprachlich benutzt werden. Für sie stellen sie lediglich einen technischen Unterschied dar, erklärt Hoven im Gespräch mit MDR AKTUELL. Der Unterschied bestehe nur in der Höhe der Mindeststrafe, so die Rechtswissenschaftlerin.

Unser Strafgesetzbuch unterscheidet Verbrechen und Vergehen ganz technisch. Nämlich wirklich nur danach, was die Mindeststrafe ist.

Prof. Dr. Elisa Marie Hoven, Juristin

"Wenn die Mindeststrafe bei einem Jahr liegt, dann haben wir ein Verbrechen", erläutert Hoven. Bei einem Vergehen liege die Mindeststrafe bei mindestens sechs Monaten und bis zu zehn Jahren. "Eine andere Aussage über die Qualität des Delikts steht dahinter gar nicht."

Wichtig ist diese Unterscheidung laut der Juristin vor allem für das prozessuale Vorgehen. Wenn ein Tatbestand als Verbrechen eingeordnet wird, haben Gerichte beispielsweise keine Möglichkeit ein Verfahren wegen geringer Schuld einzustellen.

Straffreiheit gibt es bei dem Tatbestand nicht

Und auch mit der Entschärfung aus diesem Jahr können diejenigen, die ohne pädosexuelles Interesse handeln, immer noch belangt werden. Zwar nicht mit einer Haftstrafe, aber eine Anklage droht trotzdem. Zwar kann ein Verfahren in dem Fall unter Auflagen, wie etwa einer Geldstrafe, eingestellt werden. Straffrei ist das Vergehen vor dem Gesetz aber nicht.

Fälle, bei denen es wirklich nur darum geht, das dann auch weiterzuleiten an die Strafverfolgungsbehörden, das muss straffrei sein. (sic!)

Elisa Marie Hoven Professorin für Strafrecht

Strafrechtlerin Elisa Marie Hoven sieht da weiterhin eine Gesetzeslücke. Sie stellt fest: "Fälle, bei denen es wirklich nur darum geht, das dann auch weiterzuleiten an die Strafverfolgungsbehörden, das muss straffrei sein. Das ist ja kein strafwürdiges Unrecht. Da geht der Gesetzgeber meines Erachtens nach gerade gar nicht weit genug."

Bei schweren Fällen drohen hohe Strafen

Eine Sprecherin des Bundesministeriums der Justiz bestätigt auf Anfrage von MDR AKTUELL: "Es ist zwar zutreffend, dass der Tatbestand der Verbreitung, des Erwerbs und des Besitzes kinderpornografischer Inhalte (§ 184b StGB) in bestimmten Tatbestandsvarianten ein Vergehen und kein Verbrechen mehr ist. Das bedeutet aber nicht, dass Menschen, die Kinder sexuell missbrauchen, sich an entsprechenden Darstellungen ergötzen oder diese z.B. aus Gewinnstreben Kinderpornografie verbreiten, zukünftig nur noch geringe oder gar keine Strafen erwarten." Der Tatbestand könne laut Gesetz mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden.

Darüber kann sich eigentlich nur aufregen, wer kein Jurist oder keine Juristin ist, denn das ist letztlich ein juristischer Fachbegriff.

Daniel Moßbrucker Journalist

Der Journalist Daniel Moßbrucker bezeichnet deswegen die Aussage der Creatorin zwar als sachlich korrekt, aber: "darüber kann sich eigentlich nur aufregen, wer kein Jurist oder keine Juristin ist, denn das ist letztlich ein juristischer Fachbegriff."

Was sagt die Creatorin dazu?

Ein riesen Skandal, so wie die Creatorin es darstellt, ist die Geschichte also nicht. Sie reagiert nicht auf unsere Bitte zur Stellungnahme. In den Kommentaren unter dem Video gibt es allerdings Userinnen und User die auf die Probleme mit dem verschärften Gesetz hinweisen. Lesen kann man dort aber auch Meinungen wie "Wäre schön, wenn der Großteil mal verstehen würde, dass Politiker Gesetze machen, um sich selbst zu schützen und nicht die Allgemeinheit!" oder "Das ist so ein Rückschritt. Ohne Worte".

Der Clip bleibt online und wurde bisher öfter als 96.200 mal angesehen, er hat über 9.000 Likes und ist 2.433 mal geteilt worden. Offen bleibt am Ende die Frage, welche Information die Community auf TikTok aus diesem Video mitnimmt.

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Rechte: Promovie, Reuters, CCTV

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