Ein Monat danach Trauerbewältigung nach dem Terroranschlag von Halle
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09. November 2019, 05:00 Uhr
Am 9. Oktober, also vor einem Monat, hat ein 27-jähriger Mann die Synagoge in Halle angegriffen. Rund 50 Gemeindemitglieder sind dem Tod nur deshalb entkommen, weil eine massive Holztür den Attentäter stoppte. Der erschoss daraufhin eine Passantin und griff dann einen Dönerimbiss in der Nähe an. Dort erschoss er einen jungen Mann, der gerade seine Mittagspause machte. Seit einem Monat versuchen die Betroffen ihre Trauer zu verarbeiten.
Der Kiez-Döner im Paulus-Viertel: Noch immer ist ein faustgroßes Einschussloch an der Frontscheibe zu sehen. Innen drin steht Inhaber Izzet Cagac auf einer Leiter und hängt ein Bild an die Wand. Darauf: eine Sonne, Regentropfen und ein Regenbogen. So spielten die Wetterkapriolen am Tag der Beerdigung von Kevin S., der im Kiez-Döner erschossen wurde.
Angestellte vom Kiez-Döner in psychologischer Behandlung
Inhaber Izzet Cagac war bei der Beerdigung dabei. Ebenso wie die Fangemeinde vom Halleschen FC. Der Drittliga-Fußball-Club war die große Leidenschaft von Kevin S. Seit seinem Tod hat sich der Kiez-Döner zu einem Trauerort für HFC-Anhänger gewandelt, sagt Izzet Cagac: "Es ist wie eine Familie geworden. Also, die sind da, die kommen. Die bringen Sachen mit."
Izzet Cagac war am 9. Oktober bei seinem Vater in der Türkei. Seine beiden Mitarbeiter haben den Angriff miterlebt und sind seitdem in psychologischer Behandlung. Beiden gehe es nicht gut, sagt Cagac.
Den jüngeren von beiden habe man für eine Woche bis zehn Tage nach Österreich geschickt, damit er zu sich zu finden könne. Denn er sei nach dem Anschlag immer aggressiver geworden. Der ältere Mitarbeiter sei in Halle geblieben. Izzet Cagac will den beiden den Kiez-Döner schenken. Oder, falls sie das nicht annehmen, eine Gedenkstätte für alle Religionen daraus machen.
Anwohner des Paulus-Viertels nachdenklich
500 Meter weiter: Auch hier sind noch die Einschusslöcher zu sehen. An der Holztür der Synagoge in der Humboldtstraße. Davor: Ein Bild von Jana L., die der Attentäter hier aus Frust auf der Straße erschoss. Inzwischen steht hier ein Polizei-Container, mehrere Streifenwagen. Durchfahrt: nicht mehr möglich.
Für die Anwohner im Paulus-Viertel ist das die sichtbarste Veränderung seit dem 9. Oktober. Einen von ihnen stimme es nachdenklich, dass er auf seinem täglichen Weg nun immer die gesperrte Straße sehe. Er habe es gemocht, dass die Synagoge bisher immer unbewacht gewesen sei.
Mehrere Anwohner hätten registriert, dass man nach dem Anschlag mehr ins Gespräch gekommen sei und sich stärker wahrnehme – dass der Anschlag zwei Gemeinden zusammengebracht habe. Einer davon denkt aber auch, dass dieser Zustand wieder abebben werde.
Betroffene des Anschlags freuen sich über Solidarität
Der kurdische Imbiss und die jüdische Gemeinde: Beide werden seit Wochen getragen von einer Welle der Solidarität. Und dann sind da noch die Staatsbesuche. Max Privorozki hat inzwischen aufgehört zu zählen. Der Chef der jüdischen Gemeinde von Halle hat zuletzt die Außenminister Heiko Maas und Mike Pompeo empfangen. Über Judenfeindlichkeit und Rassismus macht sich Max Privorozki keine Illusionen. Dennoch habe sich seit dem Terroranschlag von Halle etwas verändert.
Insgesamt [ist der] Hass in der Gesellschaft ist sehr groß. Es ist nicht so, dass nach dem 9. Oktober dieses Potenzial weniger geworden ist. Wahrscheinlich nicht.
Aber Privorozki habe eine Gegenwelle gesehen. Und diese Gegenwelle sei so groß und im guten Sinne des Wortes gewaltig gewesen. Das habe ihn positiv überrascht.
Zurück zu Izzet Cagac, dem Inhaber des Kiez-Döners. Momentan schmückt er seinen Laden für das Traueressen. Dazu lädt er jeden ein am nächsten Wochenende. Nach islamischer Tradition endet nach 40 Tagen die Trauerzeit. "Bei uns heißt es, nach 40 Tagen löst sich das Fleisch vom Knochen", erzählt Cagac. "Und daraus wird Erde. Und dann können wir wieder normal leben, allerdings nicht vergessen, was da geschehen ist."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 09. November 2019 | 05:00 Uhr