Soldaten des Wachbataillons der Bundewehr
Jeder zehnte neue Bundeswehrsoldat ist minderjährig. Bildrechte: picture alliance/dpa/Wolfgang Kumm

Diskussion um Eintrittsalter Bündnis fordert Mindestalter von 18 Jahren bei Bundeswehr

08. September 2024, 18:38 Uhr

In Deutschland kann man sich bereits mit 17 Jahren freiwillig zum Dienst bei der Bundeswehr melden – wenn die Eltern zustimmen. 2023 haben das fast 2.000 Jugendliche gemacht. In vielen anderen Ländern ist das jedoch verboten und auch hierzulande setzen sich einige Bündnisse für ein höheres Eintrittsalter ein. Das ist in nächster Zeit allerdings nicht geplant.

Ohne die Eltern geht nichts. Wer sich mit 17 für die Bundeswehr entscheidet, braucht deren Zustimmung. Minderjährige werden auch nicht in den Einsatz geschickt und dürfen Waffen nur zu Übungszwecken benutzen.

Während der Bewerbung würden sie und ihre Eltern zudem umfassend über den Beruf informiert, teilte eine Sprecherin der Bundeswehr auf Anfrage von MDR AKTUELL schriftlich mit: "Auch die Besonderheiten des Soldatenberufs, wie die Gefahr für Leib und Leben, der Einsatz in Kriegs- und Katastrophengebieten sowie kritische Themen wie Tod und Verwundung, sparen wir dabei bewusst nicht aus, um eine vollumfängliche Information zu gewährleisten und uns mit den Bewerbenden auch darüber auszutauschen."

150 Staaten weltweit rekrutieren keine Minderjährigen

Und trotzdem: Ralf Willinger kämpft gegen diese Einstellungspraxis. Er arbeitet bei der Kinderrechtsorganisation "Terre des hommes" und ist Sprecher des Bündnisses "Unter 18 nie!". Das Bündnis fordert eine Anhebung des Eintrittsalters auf 18 Jahre. Willinger und sein Bündnis sind damit auch nicht allein. Auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes sieht die Praxis kritisch und hat Deutschland in den vergangenen Jahren mehrmals aufgefordert, das Eintrittsalter anzuheben. Der Ausschuss prüft regelmäßig die Umsetzung der UN-Kinderechtskonvention. Er kann im Anschluss aber nur Empfehlungen abgeben, um die Rechte der Kinder zu stärken, und keine Maßnahmen erzwingen.  

Willinger setzt sich seit Jahren in Asien oder Afrika gegen den Einsatz von minderjährigen Soldaten ein. Dabei wird er immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, dass auch Deutschland Minderjährige einsetzt: "Das ist der internationale Standard, und es ist beschämend, dass Deutschland da so ein Theater drum macht, weil ein internationaler Standard ist eben ein internationaler Standard." Ein Nationalstaat könne das nicht einfach trotzdem machen.

Willinger meint damit den sogenannten "Straight-18-Standard". Nach einer Studie der ehemaligen Kinderrechtsorganisation "Child Soldiers International" aus dem Jahr 2018 rekrutieren rund 150 Staaten weltweit keine Minderjährigen.

Nicht darunter sind unter anderem die USA und Deutschland. Das ist aber nicht der einzige Kritikpunkt: "Das große Problem ist das Integriertsein in eine Armee als Minderjähriger, als 17-Jähriger. Mit erwachsenen Menschen in Übungen zu sein und sich nicht wehren zu können, wenn es Übergriffe gibt."

Übergriffe bei der Bundeswehr

Laut Willinger gibt es viele dokumentierte Fälle, bei denen Minderjährige lange nichts gesagt haben, wenn es Übergriffe gab: "Gewalt, sexueller Missbrauch, Mobbing und so weiter." Er bezieht sich dabei unter anderem auf einen Bericht des Bundesverteidigungsministeriums aus dem Februar 2021. Demnach wurden bei der Bundeswehr im Zeitraum von 2018 bis 2020 17 Fälle von sexueller Gewalt gegen minderjährige Soldaten gemeldet. Dabei handelte es sich um Verdachtsfälle. Also Fälle, die erst bestätigt oder bewiesen werden müssen.

Die Sprecherin der Bundeswehr betont, dass die Bundeswehr sexuelle Übergriffe nicht toleriere. Es gebe eine Meldestelle, bei der Betroffene anonym Hilfe bekommen könnten.

Auch das Bundesverteidigungsministerium sieht in der Einstellungspraxis von unter 18-jährigen kein Problem. Eine Sprecherin teilte MDR AKTUELL mit, dass die Praxis im Einklang mit der UN-Kinderrechtskonvention stehe. So sei ein freiwilliger Wehrdienst grundsätzlich bereits ab 16 Jahren rechtlich möglich. Eine Anhebung des Rekrutierungsalters sei trotz der Empfehlung des Ausschusses für die Rechte des Kindes nicht geplant.

Hans-Peter Bartels findet das auch okay. Er war bis 2020 Wehrbeauftragter des Bundestags und ist jetzt Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik: "Deutschland hat damit kein Problem international. Die Sicherheitsprobleme der Welt sind unbegrenzt, und es treten keine 17-jährigen Deutschen mit der Waffe in der Hand im Ausland auf, um wen zu bedrohen, zu schützen oder etwas zu tun, was für Minderjährige noch nicht infrage kommt."

Bundeswehr wird immer älter

Sorgen macht sich Bartels aber darüber, dass die Bundeswehr immer älter und kleiner wird. Die Rekrutierung von Minderjährigen sei da keine Lösung: "Es ist für die Bundeswehr praktischer, wenn die Rekruten, wenn sie in die Bundeswehr eintreten, schon 18 sind."

Dann liegt bei den Ausbildern und Vorgesetzten nach Aussage von Bartels keine Erziehungsverantwortung mehr, und die Eltern müssten im Zweifel nicht einbezogen werden. "Sondern es gibt eine einzige Ansprechperson und das ist der betroffene Soldat."

Um das Altersproblem bei der Bundeswehr zu lösen, schlägt Bartels eine Auswahlwehrpflicht vor. Das heißt, dass ein ganzer Jahrgang gemustert würde. Im Anschluss sollten dann möglichst 40.000 Freiwillige rekrutiert werden, damit die Bundeswehr zwar nicht jünger als 18, aber jünger als 30 wird. Minderjährige sollten die Ausnahme bleiben. Im Gegensatz zu Willinger ist das für Bartels aber mit ca. 2.000 Rekruten pro Jahr bereits jetzt der Fall. 

Dieser Artikel wurde am 8. September 2024 aktualisiert. Erstmals veröffentlicht am 23.7.2024.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 23. Juli 2024 | 06:10 Uhr

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