Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts,(l-r), Astrid Wallrabenstein, Doris König (Vorsitzende), Ulrich Maidowski, verkündet das Urteil über die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition.
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Wahlrechtsreform Bundesverfassungsgericht kippt Abschaffung von Grundmandatsklausel

30. Juli 2024, 15:34 Uhr

Das Bundesverfassungsgericht hat die neue Wahlrechtsreform in Teilen als verfassungswidrig eingestuft. Die Neuregelung muss überarbeitet werden. Konkret urteilte das Gericht, dass die abgeschaffte Grundmandatsklausel bestehen bleiben muss. Die Linke und Union begrüßten die Entscheidung. Politiker der Ampel-Fraktionen fühlen sich in ihrer Entscheidung den Bundestag zu verkleinern bestätigt.

Klartext Grundmandatsklausel 1 min
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Auch Kleinparteien könnten nach der Wahl in den sächsischen Landtag einziehen – wenn sie von der Grundmandatsklausel profitieren.

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Die neue Wahlrechtsreform ist in Teilen verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag entschieden. Konkret urteilten die Karlsruher Richter, dass die durch die Bundesregierung abgeschaffte Grundmandatsklausel bis auf Weiteres wieder eingeführt werden muss, bis der Gesetzgeber eine Neuregelung verabschiedet hat (Az. 2 BvF 1/23 u.a.).

Karlsruher Richter sehen Ungleichbehandlung

Die stellvertretende Verfassungsgerichtspräsidentin Doris König sagte, die Aufhebung der Grundmandatsklausel sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, da eine Ungleichbehandlung vorliege. Das Gericht zielte dabei insbesondere auf die nur in Bayern antretende CSU ab, die mit der in allen anderen Bundesländern antretenden CDU eine gemeinsame Fraktion bildet. Die CSU hätte dem neuen Wahlgesetz zufolge kein Bundestagsmandat mehr, wenn sie deutschlandweit weniger als fünf Prozent der Stimmen bekäme – bei der letzten Wahl 2021 holte die CSU bundesweit mit 5,2 Prozent nur knapp mehr.

Gegen die Abschaffung der Grundmandatsklausel hatte sich auch die Linke gewehrt. Die Partei hatte es 2021 nur mithilfe von drei Direktmandaten geschafft, wieder in den Bundestag einzuziehen.

Was ist die Grundmandatsklausel? In Deutschland gilt bei Bundestagswahlen bislang die sogenannte Fünf-Prozent-Klausel. Nur Parteien, die mindestens fünf Prozent der abgegebenen Wählerstimmen erhalten, schaffen es in den Bundestag. Ausnahme: Wenn eine Partei mindestens drei Direktmandate in den Wahlkreisen gewinnt, zieht sie trotzdem in den Bundestag ein. Diese Partei erhält dann im Parlament so viele Sitze, wie es ihrem Anteil an den Parteistimmen entspricht. Aktuell profitiert davon die Linke, die 2021 nur 4,9 Prozent erreichte, aber trotzdem im Bundestag sitzt. Denn in drei Wahlkreisen bekamen ihre Kandidaten die meisten Stimmen, darunter der Leipziger Sören Pellmann. Diese sogenannte Grundmandatsklausel wurde im neuen Wahlrecht gestrichen.

Der Gesetzgeber könnte die Fünf-Prozent-Hürde absenken. Bei der Verhandlung wurde von den Karlsruher Richterinnen und Richtern eine Hürde von drei Prozent ins Spiel gebracht. In seinem Urteil diskutiert das Gericht auch die Möglichkeit, dass die Zweitstimmen zweier Parteien, die wie CDU und CSU gemeinsam eine Fraktion bilden, zusammengezählt werden könnten. Bis zu einer Neuregelung gilt die Grundmandatsklausel erst einmal weiter.

Änderungen bei "Zweitstimmendeckung" bleiben

Die Änderungen bei der sogenannten Zweitstimmendeckung bestätigte das Bundesverfassungsgericht dagegen. Das heißt, dass die Bundestagssitze künftig allein anhand der Zweitstimmen vergeben werden. Das kann dazu führen, dass einige Direktkandidaten trotz des Siegs in ihrem Wahlkreis nicht mehr im Bundestag vertreten sind, wenn sie ein schwaches Erststimmenergebnis haben. Auch das hatte insbesondere die CSU kritisiert.

Reaktionen: Linke lobt Entscheidung zu Grundmandaten

Die Partei die Linke zeigte sich mit dem Urteil zufrieden. Die von der Ampelkoalition geplante Streichung der Grundmandatsregel sei eine "undemokratische" Entscheidung gewesen, die das Bundesverfassungsgericht zurecht korrigiert habe, sagte die Linken-Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch. Sie sprach von einem Teilerfolg für die Linke und andere kleine Parteien.

Gregor Gysi (l. Die Linke) wartet zusammen mit Michael Frieser (CSU) im Bundesverfassungsgericht auf den Beginn der Urteilsverkündung über die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition.
Gregor Gysi zusammen mit Michael Frieser (CSU) im Bundesverfassungsgericht. Bildrechte: picture alliance/dpa | Uli Deck

Ihr Parteikollege Gregor Gysi erwartet für September die Verabschiedung eines neuen Wahlrechts für die Bundestagswahl 2025. Der Bundestag müsse sich nun beeilen, sagte Gysi vor der Urteilsverkündung in Karlsruhe. Schon seit Ende Juni dürften Direktkandidaten für die Wahl aufgestellt werden. "Eigentlich müssen wir sehr schnell wissen, welches Wahlrecht gilt."

Den Leipziger Bundestagsabgeordneten der Linken Sören Pellmann hat das Urteil nur wenig überrascht. Insbesondere die Frage der Grundmandatsklausel sei strittig gewesen, sagte Pellmann im Gespräch mit MDR AKTUELL. "Das Verfassungsgericht hat sehr klar geurteilt, dass die Ausnahme gilt: Mit drei Direktmandaten umgeht man die Fünf-Prozent-Sperrklausel."

Sören Pellmann 3 min
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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nahm das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit erkennbarer Freude und Genugtuung auf. "Das ist ein klarer Erfolg für die CSU und Bayern – und eine Klatsche für die Ampel." Zugleich erklärte er, eine unionsgeführte Bundesregierung würde Teile der Reform wieder rückgängig machen. Das sei für die CSU eine Koalitionsbedingung für eine nächste Bundesregierung.

Begrüßt wurde das Urteil auch von der AfD. Partei-Vize Stephan Brandner sagte, die nun mögliche Verkleinerung des Bundestags gehe mit deutlichen Einsparungen einher. Weitere Reform- und Verkleinerungsschritte müssten folgen.

Bundestag sollte feste Größe erhalten

Die Wahlrechtsreform war im März vergangenen Jahres von den Regierungsfraktionen SPD, Grüne und FDP beschlossen worden. Ziel war es, den Bundestag mit aktuell 734 Sitzen auf dauerhaft 630 verkleinern. Überhang- und Ausgleichsmandate wurden abgeschafft. Die Neuregelung gilt seit Juni und würde so erstmals bei der nächsten Bundestagswahl im kommenden Jahr greifen.

Politiker der Ampel-Fraktionen begrüßten das Urteil am Dienstag. In der entscheidenden Frage der Verkleinerung des Bundestags habe das Urteil die Reform voll und ganz bestätigt, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle. Das sei das Herzstück der Wahlrechtsreform. Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Bundestag, Till Steffen, sprach von einem großen Erfolg: "Dies haben wir gegen den erbitterten Widerstand insbesondere der CSU durchgesetzt. Rechtzeitig für die nächste Bundestagswahl haben wir Klarheit."

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas von der SPD bezeichnete das Wahlrechtsurteil als ein "wichtiges Signal an die Wählerinnen und Wähler". Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, sagte, erstmals stehe damit eine feste Größe für den Bundestag fest und zwar 630 Mandate, deutlich weniger als derzeit.

Gerichtsurteil verfrüht veröffentlicht

Die Entscheidung des Karlsruher Gerichts war wegen einer Panne bereits am Montagabend kurzzeitig auf der Internetseite des Gerichts abrufbar. Das Gericht bestätigte den Fehler und erklärte, es bedauere, dass es "eventuell aufgrund eines technischen Fehlers dazu kam". Man sei gerade dabei zu prüfen, wie es dazu kommen konnte", sagte Vizepräsidentin König.

LTO, AFP, Reuters, MDR (ksc,lmb)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 30. Juli 2024 | 07:51 Uhr

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