Flüchtlingspolitik Aufnahme afghanischer Ortskräfte sorgt für Pro und Contra
Hauptinhalt
28. Dezember 2023, 05:00 Uhr
Nach dem Sieg der Taliban in Afghanistan lebten Einheimische, die der Bundeswehr geholfen hatten, in Gefahr. Die Bundesregierung beschloss deshalb ein Aufnahmeprogramm für afghanischen Ortskräfte. Bislang kamen so 20.000 Menschen nach Deutschland. Während in der Politik Stimmen laut werden, das Programm zu beenden, fordern Reservisten, die Aufnahme auszuweiten.
- Fast 20.000 Afghanen sind über die Ortskräfteregelung nach Deutschland gekommen
- Einreiseberechtigt sind nur die Ortskräfte und ihre engste Familie
- Das "Patenschaftsnetzwerk afghanische Ortskräfte" fordert eine Ausweitung der Regelung
Er hat die Situation in Afghanistan selbst erlebt: Sascha Richter war als Bundeswehrsoldat stationiert in Masar-i-Scharif, im Norden des Landes. Der 32-jährige ist heute Reservist und engagiert sich im "Patenschaftsnetzwerk afghanische Ortskräfte". Denn er war in Afghanistan für rund 250 Ortskräfte im Camp verantwortlich, für Übersetzer, Reinigungskräfte, Bauarbeiter und Wachleute. "Egal, wo man hingeht, nicht nur in Afghanistan, auch in anderen Ländern, braucht man Ortskräfte", erklärt Richter. "Sonst ist das alles nicht aufrechtzuerhalten. Und von daher ist diese Arbeit der Ortskräfte für Soldaten, aber auch für alle anderen in dem Land immer sehr, sehr wichtig."
Knapp 20.000 Afghanen durch Ortskräfteprogramm in Deutschland
Wie das Bundesinnenministerium mitteilt, wurde bislang rund 25.000 Afghanen über das Ortskräfteprogramm eine Aufnahme gewährt. Bis Anfang Dezember seien rund 19.500 von ihnen eingereist, davon etwa 4.000 Ortskräfte und rund 15.000 Ehepartner und minderjährige Kinder.
Den mitteldeutschen Innenministerien zufolge leben 855 von ihnen in Sachsen-Anhalt, 870 in Thüringen und ca. 1.700 in Sachsen. Die meisten sind in Städten und Gemeinden untergebracht, in Sachsen leben noch 20 in einer Erstaufnahmeeinrichtung des Landes.
Afghanische Ortskräfte müssen kein Asylverfahren durchlaufen
Afghanische Ortskräfte haben Anspruch auf Integrations- und Sprachkurse. Anders als Asylsuchende müssen sie kein Asylverfahren durchlaufen und dürfen direkt eine Arbeit aufnehmen. Wie viele bereits einen Job haben, dazu liegen den Ministerien jedoch keine Zahlen vor. So teilt das Sachsens Wirtschaftsministerium mit, das Merkmal "Ortskraft" werde in der Statistik nicht erfasst.
Ex-Soldat Richter sagt, eine "geringe Anzahl" habe schon Jobs. Die Wohnsituation unterscheide sich stark zwischen Stadt und Land: "Also in den Städten, wo Wohnungen allgemein knapp sind, wie zum Beispiel in Berlin, da sind die Ortskräfte und Familien natürlich noch nicht in irgendeiner Wohnung untergekommen, sondern meistens immer noch in den Erstaufnahmeeinrichtungen. In ländlichen Regionen hat man es halt geschafft, dass sie relativ schnell eine eigene Wohnung bekommen, aber dann dort auch so ein bisschen alleingelassen wurden."
Einreiseberechtigt ist nur die Kernfamilie
Die ständige Sorge um die Verwandten in Afghanistan erschwere das Ankommen in Deutschland, sagt Richter. Denn einreisen dürfen nur die Ortskraft und ihre Kernfamilie. Andere Verwandte und erwachsene Kinder dagegen nicht. Und obwohl die Bundeswehr bereits seit 2001 in Afghanistan war, gilt das Ortskräfteverfahren erst für Tätigkeiten ab 2013.
Außerdem sind Menschen ausgeschlossen, die als Subunternehmer tätig waren. Richter sagt, das sei ein echtes Problem: "Weil die Taliban eben da keine Unterscheidung machen und jeder, der im Camp gearbeitet hat, egal, wann und egal für welche Firma, letztendlich in deren Augen Kollaborateure sind, und deswegen wirklich gezielt noch gesucht werden."
Das bedeute, so erklärt Richter, "auch der Bruder oder der Vater der Ortskraft wird, wenn diese nicht auffindbar ist, sozusagen von den Taliban bestraft. Da haben wir leider auch ein paar traurige Fälle schon mitbekommen."
Patenschaftsnetzwerk fordert Ausweitung der Ortskräfteregelung
Das Patenschaftsnetzwerk fordert deshalb, die Ortskräfteregelung auf weitere vulnerable Gruppen auszuweiten und noch mehr Menschen aufzunehmen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer forderte im Frühjahr dagegen einen Aufnahmestopp für Ortskräfte aus Afghanistan.
Ronny Wähner, der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im sächsischen Landtag, sagt ebenfalls, man müsse die Gesamtlage betrachten: "Ich denke, es ist insgesamt eine sehr angespannte Situation, was das Thema Flüchtlinge/Migration angeht, und deswegen muss man das schon wohl abwägen, wie weit man dort, ich sage mal, Zusagen oder weitere Zusagen machen kann. Also ich denke, bei allem Verständnis ist irgendwo auch die Kapazität hier in unserem Land begrenzt."
Sascha Richter hat dafür kein Verständnis. Die Ortskräfte und ihre Angehörigen hätten bewusst für Deutschland gearbeitet und sich und ihre Angehörigen dadurch in Gefahr gebracht. Sie seien sicherheitsüberprüft, viele könnten die Sprache schon, dadurch sei die Integration erleichtert.
Richter sagt, es brauche insgesamt bessere Konzepte für die Ortskräfte: "Wir fordern einfach, dass man sich im Vorfeld darüber klar ist, wenn man die Menschen anstellt, wie man dann sozusagen auch in Krisenfällen mit ihnen umgehen muss."
Das gelte beispielsweise auch für den Einsatz in Mali, wo Richter ebenfalls stationiert war, sowie auch für zukünftige Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 28. Dezember 2023 | 05:00 Uhr