Rechtsextremismus Insider packen aus: So beeinflusst die AfD ihre Anhänger
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26. Januar 2024, 17:41 Uhr
Von der Aufbruchsstimmung zur unverhohlenen Fremdenfeindlichkeit – AfD-Aussteiger enthüllen, wie sich die AfD schrittweise radikalisierte und wie die Partei ihre Anhänger beeinflusst. Gezielt geschürte Ängste, sprachliche Enthemmung und soziale Isolation setzt die AfD nach Ansicht ehemaliger Mitglieder als gezielte Strategie ein, seitdem die AfD – ursprünglich als eine Euro-kritische Partei gegründet – von Rechtsextremisten "gekapert" wurde.
Franziska Schreiber schwärmt geradezu, wenn sie an ihre ersten Jahre bei der AfD zurückdenkt: Die Stimmung "war mit das Aufregendste und auch das Spannendste. Es war eine sehr erfüllende Zeit. Es ist nicht zu vergleichen mit dem, was jetzt in der AfD passiert". Die 33 Jahre alte Dresdnerin war von 2013 bis 2017 in der AfD. Ab 2014 stand sie als sächsische Landesvorsitzende der Jungen Alternative, also der Jugendorganisation der Partei, vor. Doch kurz vor der Bundestagswahl 2017 trat sie aus der AfD aus. Der Grund nach ihrer Darstellung: die zunehmende Radikalisierung der Partei.
Die frühe AfD – Aufbruchstimmung
In den ersten Jahren stand die Partei in ihren Augen nicht für Fremdenfeindlichkeit, sondern für Veränderungen. Sie selbst habe in jungen Jahren gemerkt, dass sich Deutschland nicht weiterentwickele, und sei deshalb der AfD beigetreten. "Ganz unterschiedliche Menschen haben da an einem Tisch gesessen, ihre Erfahrungen eingebracht, und wir haben zusammen überlegt: Wie können wir es denn besser machen?", erzählt Schreiber.
Ausländerfeindliche oder antisemitische Äußerungen habe es zwar "von Anfang an" in der AfD gegeben, sie stießen aber nach Schreibers Darstellung in der Anfangszeit unter den Mitgliedern mehrheitlich auf Ablehnung. Den Urhebern solcher Äußerungen seien Parteiaustritte nahegelegt worden. Doch das hat sich inzwischen geändert: "Mittlerweile, wenn so etwas geäußert wird, applaudiert der halbe Saal, und die anderen gucken betreten zu Boden", so Schreiber.
Ex-Funktionärin: AfD schürt gezielt Ängste
Zu dieser Radikalisierung haben der ehemaligen AfD-Funktionärin zufolge Ängste beigetragen, die die Partei gezielt verbreitet. "Die AfD hat es früh verstanden, dass je schlimmer das Horrorszenario ist, das man an die Wand wirft, umso höriger werden einem die Menschen", sagt Schreiber. Sie selbst habe sich vor Hyperinflation, fehlenden Zukunftsaussichten und Rückschritten bei der Frauenemanzipation infolge von Einwanderung aus Ländern mit patriarchalen Strukturen gefürchtet, berichtet sie weiter.
Solche Ängste lassen auch nicht rechtsextrem gesinnte AfD-Anhänger abstumpfen, glaubt Schreiber: "Man darf das auch nicht unterschätzen, was das mit der Psyche von Menschen macht. Irgendwann ist es einem egal, was Höcke wieder gesagt hat und wie viele Rassisten in der AfD sind, solange nur diese schlimme Sache nicht passiert, vor der man die ganze Zeit Angst gemacht kriegt."
Zum Schluss habe sie rassistische Denkmuster bei sich selbst bemerkt: "Zum Beispiel habe ich immer einen großen Bogen um die Flüchtlingsunterkunft bei mir zu Hause gemacht und bin einen anderen Weg gegangen, nur um dort ja nicht vorbei zu müssen, weil ich Angst vor den Männern dort hatte. Und das war dann ganz zum Schluss, als ich auch gemerkt habe: So bist du nie gewesen!"
Radikalisierung durch Sprache und soziale Medien
Alexander Leschik, ein anderer AfD-Aussteiger, der von 2015 bis 2021 in der Partei war, verweist auf eine sprachliche Radikalisierung innerhalb der Partei, die durch den völkisch-nationalistischen "Flügel" innerhalb der AfD vorangetrieben wurde: "Es hatte definitiv System, dass der Flügel die verbale Enthemmung innerhalb der AfD stetig Schritt für Schritt vorangetrieben hat. Vokabeln, die anfangs unsagbar waren, wurden durch die stetige Wiederholung irgendwann verfestigt und zum selbstverständlichen Sprachgebrauch. Das führte zu einer Radikalisierungsspirale, die sich kaum aufhalten ließ."
Diese Radikalisierung wird laut Leschik zusätzlich dadurch verstärkt, dass sich viele AfD-Mitglieder in einer "Filterblase" befinden: "Deren Facebook-Timeline wird ausschließlich von Mitgliedern und Sympathisanten der AfD geprägt. Die haben irgendwann ein sehr verzerrtes Weltbild." Andersdenkende würden von ihnen nicht wahrgenommen, sagt der angehende Jurist, der sich noch als Gymnasiast im Alter von 15 Jahren der Parteijugend anschloss.
Leschik verweist auch auf eine Art "Wagenburgmentalität" bei der AfD, die seiner Ansicht nach durch aggressive Gegendemonstranten aus dem linksradikalen Spektrum erzeugt wird. "Man nimmt immer die fünf oder zehn Prozent der Demonstranten wahr, die gewalttätig werden und einen als Nazi, Schwein oder widerliche Person beschimpfen. Man nimmt die Menschen wahr, die einen bespucken, die Rentner auf dem Weg zu den Parteitagen bedrängen, die teilweise Mitglieder zu Boden werfen. Das schafft einen Grundgedanken von Solidarität, der die Partei über Jahre hinweg zusammengehalten hat", sagt Leschik. Viele AfD-Mitglieder würden die Wut, die sie über die linksradikalen Aktionen empfänden, auf das "gesamte politische Spektrum links der Mitte" projizieren. "Das führt dann dazu, dass man dort gänzlich die Dialogbereitschaft verlor und in Kategorien wie 'links-rot-grün-versifft' dachte", so Leschik.
Unterwanderung durch Rechtsextremisten
André Yorulmaz, ein weiteres ehemaliges AfD-Mitglied, sieht in der Radikalisierung der AfD das Ergebnis einer allmählichen Unterwanderung durch Rechtsextremisten, die schon bald nach der Parteigründung begann. Der Vermögensberater aus Nordrhein-Westfalen, der 2015 der AfD den Rücken kehrte, erinnert sich an eine deutliche Ansage des Parteigründers Bernd Lucke, rechtsextreme Bewerber abzulehnen. Allerdings praktizierten diese laut Yorulmaz eine Art Aufnahmetourismus, um trotzdem in die Partei zu gelangen und sie von innen zu verändern. Konkret: Wurden sie in einem bestimmten Kreisverband wegen ihrer Gesinnung abgewiesen, versuchten sie es in einem anderen, wo weniger stark darauf geachtet wurde. Mit der Zeit konnten sie die Macht in den einzelnen Kreisverbänden übernehmen: "Sie brauchen ja nur zwei, drei Aufnahmen und müssen nur dafür sorgen, dass diese Leute irgendwann in den Vorstand kommen, um dann die Tore langsam zu öffnen. Und ich glaube, genau das ist über den Zeitraum der ersten Jahre dann auch passiert."
Soziale Isolation erschwert AfD-Austritt
Einig sind sich die ehemaligen AfD-Mitglieder darin, dass es vielen trotz "Bauchschmerzen" angesichts der zunehmenden rechtsextremistischen Rhetorik nicht einfach fällt, aus der Partei auszutreten. Dazu trägt nach Ansicht von Franziska Schreiber die relative soziale Isolation bei, in die viele AfD-Mitglieder mit der Zeit geraten. Schreiber sieht dahinter eine gezielte Strategie: "Man möchte nicht, dass AfD-Mitglieder ein großes Sozialleben außerhalb der Partei haben. Man möchte sie an sich binden." Sie selbst habe für über ein Jahr den Kontakt zu ihrer Familie faktisch abgebrochen.
Die Isolation erschwere denjenigen AfD-Mitgliedern den Austritt, "die rational schon begriffen haben, dass diese Partei gefährlich ist, die aber gar niemanden mehr haben, zu dem sie außerhalb gehen können. Die haben gar keinen, kein soziales Netz mehr, weil alle den Kontakt abgebrochen haben, die noch bei Anstand und Verstand sind."
MDR/baz
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Wir waren in der AfD - Aussteiger berichten | 25. Januar 2024 | 20:15 Uhr