Tarifverhandlungen Finanzexperte: Hohe Löhne gefährden Existenz der Kommunen nicht

15. Oktober 2022, 05:00 Uhr

Es ist noch über drei Monate hin, bis die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst beginnen. Und schon jetzt machen die Gewerkschaften Verdi und der Deutsche Beamtenbund klar: Wir wollen mehr und zwar deutlich. 10,5 Prozent soll das Plus betragen, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. So kämen tatsächlich sogar mehr als die geforderten 10,5 Prozent zusammen. Die kommunalen Arbeitgeber halten das für "unrealisierbar". Wäre es das? Was würde so die Umsetzung so einer Forderung bedeuten?

Das werden die schwierigsten Tarifverhandlungen, die es in den vergangenen Jahrzehnten gegeben hat. Das sagt Karin Welge, Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen und Präsidentin der VKA, der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände. Nur, um direkt nachzuschieben: "Ich glaube, es sind die schwierigsten Tarifverhandlungen überhaupt."

Warum? Zum einen seien da die Herausforderungen, die die Kommunen schon jetzt schultern müssten. Welge skizziert das am Beispiel ihrer Stadt: "Wir tragen seit der Corona-Krise die sogenannten coronabedingten Schäden, jetzt die sogenannten kriegsbedingten Schäden und dann anschließend auch noch die energiepolitisch bedingten Schäden auf neue Rechnung vor. Das heißt, wir belasten zukünftige Generationen mit den Kosten, die wir jetzt schon nicht mehr abbilden können."

Große Unsicherheit bei Finanzplanung

Und wie geht es weiter? Niemand wisse, wie die weltpolitische Lage im kommenden Jahr aussehe, sagt Welge. Und auch für Ende März könne das niemand vorhersagen. Bis dahin soll die Tarifvereinbarung stehen: "Zum zweiten haben wir heute von kommunaler Seite oder auch aus der Sicht der jeweiligen Arbeitnehmer und der Bürger noch keine verbindliche Ableitung, wie sich die entsprechenden Maßnahmen zur Dämpfung der Gaspreise auswirken."

Und wie entwickelt sich die Inflation tatsächlich? Vieles deute zwar auf eine zweistellige Wachstumsrate hin, sagt Welge. Es gebe aber auch durchaus Gegenthesen. Mit Gewissheit sagen kann man das nicht. Aber auch andere Faktoren tragen dazu bei, dass die Finanzplanung der Kommunen auf wackeligen Beinen steht.

René Geißler, Experte für kommunale Finanzen und Professor an der Technischen Hochschule Wildau, spricht sogar von einer sehr großen Unsicherheit in der Haushaltsplanung: "Eben weil man nicht weiß – Inflation, Rezession und Energiepreise – mit welchen Zahlen man eigentlich seinen Haushalt schnüren soll. Und umso weniger kann man jetzt mit einer so hohen Tarifforderung von den Gewerkschaften umgehen."

Kommunen halten Forderung für "unrealisierbar"

Hoch sei die Forderung allemal, sagt Geißler. In den vergangenen 20 Jahren habe es nichts in dieser Größenordnung gegeben. Vor diesem Hintergrund hatten die kommunalen Arbeitgeber die Forderung als "unrealisierbar" abgetan und erklärt, die Kommunen wären nicht mehr handlungsfähig, sollten die darauf eingehen. Finanzexperte Geißler glaubt das nicht und spricht von den üblichen Ritualen vor Tarifverhandlungen: "Die Gewerkschaften argumentieren mit der Kaufkraft ihrer Beschäftigten, die Arbeitgeber mit der Existenzfähigkeit ihrer Kommunen. Beides ist ein Stück weit übertrieben. Natürlich wären die Kommunen noch handlungsfähig, auch mit 10 oder 15 Prozent Lohnerhöhung."

Allerdings komme es dann zwangsläufig zu Haushaltsdruck, weil die Ausgaben stärker stiegen als die Einnahmen. Die Kommunen müssten dann "intern umschichten", sagt Geißler: "Denn die Option, laufende Ausgaben, Personal etc. über Kredite zu finanzieren, haben sie nicht. Sie haben einen sehr strengen Haushaltsausgleich, der von den Ländern durchgesetzt wird." Und so müssten die Kommunen dann bei anderen Ausgabearten, bei anderen Dienstleistungen ein Stück weit zurückfahren. Erfahrungsgemäß seien es dann in erster Linie Investitionen, die gekürzt würden.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 15. Oktober 2022 | 06:00 Uhr

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