Leopoldina Haltung und Skepsis – Die neuen Debatten in der Wissenschaft
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02. März 2025, 05:00 Uhr
Die Leopoldina zählt zu den wichtigsten wissenschaftlichen Einrichtungen Deutschlands. Mit Bettina Rockenbach steht seit Sonnabend nun erstmals eine Frau an ihrer Spitze. Im Interview mit MDR AKTUELL spricht die neue Präsidentin der Nationalen Akademie der Wissenschaften zum Thema Wissenschaftsfeindlichkeit und sagt: Probleme verschwinden nicht durch Ignorieren oder Leugnen.
MDR AKTUELL: Wie erleben Sie die Entwicklungen in der Politik und das Verhältnis zur Wissenschaft?
Bettina Rockenbach: Ich glaube, es ist wichtig, weiterhin die Einsicht und die Bereitschaft der Politik zu haben, dass wissenschaftliche Erkenntnisse zu allen großen Herausforderungen, über die wir so in der Zukunft reden, sehr wichtig sind. Und das wäre mir auch wichtig für eine neue Bundesregierung, das zu betonen. Und das zweite ist: Die Wissenschaft und die Innovation sind ein wichtiger Motor für unsere Wirtschaft. Die neuen Ideen, die aus der Wissenschaft kommen, die dann in neue, vielleicht zunächst kleine und später größere Unternehmen kommen, die unsere Innovationen der Gegenwart und der Zukunft werden, auf die wir unsere Wettbewerbsfähigkeit setzen. Auch das ist extrem wichtig. Deshalb sollte auch in einer neuen Bundesregierung ein Ministerium für Wissenschaft und Innovation eine sehr wichtige Rolle spielen, weil das ein wichtiger Motor für unsere wirtschaftliche Zukunft ist.
Haben Sie das Gefühl, das da zuletzt eher Boden verloren wurde?
Man hat so das Gefühl, und wenn wir jetzt ein paar Wochen zurückdenken an die Fernsehdebatten, die wir doch sehr intensiv genossen haben, das war nicht eins der Hauptthemen. Ich glaube, das ist eine Einsicht, die wir noch mal in Erinnerung rufen müssen. Dass das ein starkes Gewicht haben muss. Wissenschaft, auch eine freie Wissenschaft, die sich selber ihre Themen suchen kann. Man kann die Themen nicht von oben verordnen, auf denen sie dann innovativ tätig ist und die Wissenschaft an sich weiterbringen.
Die Leopoldina soll die Politik beraten. Wie viel Positionierung und Haltung können sie sich leisten an einer solchen Institution? Würden Sie mit der Union, der SPD, den Grünen, der FDP genauso reden wie mit der AfD?
Das Wichtige an der Leopoldina ist neben der Exzellenz ihrer Mitglieder auch ihre Unabhängigkeit. Das war in der Vergangenheit und wird auch in der Zukunft eine wichtige Voraussetzung und gleichzeitig ein Erfolgsfaktor sein. Das heißt, die Leopoldina bearbeitet keine Aufträge von Politik oder Ähnlichen. Die Themen werden aus der Mitgliedschaft vorgeschlagen und weitergetragen. Das ist das, was sie ausmacht. Dass sie diese Themen identifiziert und unabhängig analysiert und vorbringt.
Sie nehmen aber dennoch Wünsche aus der Politik auf?
Alle Mitglieder der Leopoldina sind natürlich Menschen, die auch in irgendeiner Gesellschaft leben und wissen, was um sie herum passiert. Und natürlich deshalb auch die Themen, die auch die Politik interessiert kennen und die auch zum Teil aufnehmen. Und auch fragen: 'Was sind denn unsere Themen von morgen oder von in zehn Jahren? Worauf muss unsere Gesellschaft vorbereitet sein?' Vielleicht auf etwas, was eine Krise ist, aber genauso auch als Chance ergriffen werden kann.
Wenn die AfD an die Leopoldina herantreten und sagen würde: "Prüft doch mal, ob das mit dem Gendern okay ist". Würden Sie das erstmal anschauen und dann ablehnen? Wie wäre ihre Haltung dazu?
Wenn der Auftrag in eine Richtung ginge von Themen, die die Leopoldina sowieso beantragt, dann kann man auf eines unserer Positionspapiere verweisen. Aber es ist nichts, was man der Leopoldina ins Heft schreiben kann.
Wie kommt die Leopoldina zu ihren Stellungnahmen? In der Corona-Krise beispielsweise ist die Wissenschaft in einer völlig neuen Situation gewesen. Es gab nicht die eine Wahrheit, diesen einen Fakt. Wie verändert das die Arbeit der Leopoldina?
Das hat die Wissenschaft insofern herausgefordert, weil sehr schnell eine Krisensituation kam und sehr schnell agiert werden musste. Es kamen täglich neue Informationen rein. Die mussten verarbeitet werden und dann in neue Stellungnahmen umgesetzt werden. Das ist etwas, was für Akademien klassischerweise nicht der Fall ist. Und da hat die Leopoldina unter meinem Vorgänger Gerald Haug auch darauf reagiert, indem sie auch schnellere Formate eingerichtet hat – die sogenannten Fokusgruppen. Das sind Gruppen, die sich sehr spezifisch kontinuierlich mit Themen beschäftigen, diese Themen beobachten, um dann, wenn es zu diesen Themen Beratungsbedarf gibt, auch relativ schnell darauf zu reagieren.
Und zu Ihrem zweiten Punkt: Was ist das mit den unterschiedlichen Wahrheiten? Wir machen Prognosen in die Zukunft. Da mag es aber unterschiedliche Gewichtungen geben. Genauso wie bei der Wetterprognose gibt es unterschiedliche Annahmen, die man treffen kann oder nicht. Und dass dann zwei Wissenschaftler auch mal unterschiedlicher Meinung sind, muss nicht unbedingt heißen, dass die komplett auseinander sind. Sondern sie gewichten vielleicht einfach die Wahrscheinlichkeiten oder Annahmen in einer anderen Art.
Wir reden auch über gefühlte Wahrheiten, die zu ganz anderen Bewertungen führen. Ist die Wissenschaft insofern herausgefordert, als dass sie dieses faktenbasierte Wissen und dessen Vermittlung überdenken muss und vielleicht auch mehr auf diese Gefühlslage eingehen muss?
Ich komme selber aus der Verhaltensökonomie. Da geht es darum, menschliches Verhalten zu ergründen, zu beschreiben, zu analysieren und letztendlich auch vorherzusagen. Es gibt einfach Dinge, da greift auch sehr stark die Psychologie rein, wo die Menschen mit Fakten anders umgehen, als das vielleicht eine rationale Theorie ihnen sagen würde. Das ist wichtig zu verstehen. Wir bezeichnen das als beschränkte Rationalität oder eingeschränkte Rationalität. Wir bezeichnen es also nicht als irrational, weil es etwas sehr Menschliches an vielen Stellen ist. Das ist etwas, was wir gerade, wenn wir Wissenschaft vermitteln wollen, mit einbeziehen.
Wie muss man da ansetzen?
Ich glaube, auf der einen Seite muss man versuchen zu verstehen, warum die andere Seite das in dem Maße vielleicht nicht annehmen will. Gibt es eine Überlastung oder Ähnliches? Der anderen Seite muss man aber auch klarmachen, dass Dinge nicht durch Ignorieren oder Leugnen verschwinden. Es macht es eher noch schlimmer. Deshalb muss man gucken, wie man auf diese Dinge reagiert und darauf die Antwort formuliert. Auch wenn es unbequem ist.
Im Hochschul- und Universitätsbetrieb sowie an Forschungseinrichtungen ist die Wissenschaft gerade oft gefordert. Da geht es um Antisemitismus. Kann es sich die Wissenschaft leisten ganz klar für eine Seite zu sprechen? Wie ist in diesem Bezug Ihre Vorstellung?
Es ist etwas, was uns umtreibt. Aber es gibt auch viel, wo man die wissenschaftliche Diskussion aushalten muss. Auch wenn das Gegenüber nicht meiner Meinung ist. Insofern es eine Meinung ist, die nicht beleidigend, diskriminierend oder antisemitisch ist, muss ich in der Lage sein, mit demjenigen zu diskutieren. So passiert Wissenschaft, so passiert Erkenntnisgewinn.
Sehen sie inzwischen Eingriffe in die Freiheit der Wissenschaft? Wenn es beispielsweise um Geldmittel geht oder Forschungsprojekte?
In den USA sehen wir so was momentan. Es ist dramatisch, dass es so weit kommt, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in USA bedroht und eingeschränkt fühlen, dass die Fördergelder weggehen und sie dann nicht mehr wissen, wie sie ihre weitere Forschung oder ihre Mitarbeitenden bezahlen sollen. Das ist eine ganz alarmierende Entwicklung. Wir hatten eine ähnliche Situation nach dem Brexit. Damals gab es auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in Großbritannien nicht mehr wohlfühlten. Von denen sind einige dann auch an deutsche Institute gekommen. Das ist natürlich ein Vorteil, wenn man dadurch jetzt auch exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA für Deutschland gewinnen kann. Aber die Grundlage dessen ist dennoch höchst alarmierend.
Das Interview führte Sven Kochale.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 02. März 2025 | 06:00 Uhr