Cover eines Buches mit der Schwarzweißfotografie einer Frau und eines jungen mit asiatischem Aussehen und der Aufschrift André Kubiczek, Nostalgia, Roman.
In "Nostalgia" schreibt André Kubiczek über seine Kindheit als Sohn einer laotischen Mutter und eines ostdeutschen Vaters in der DDR. Bildrechte: Rowolt

"Nostalgia" Laos trifft DDR: André Kubiczeks neuer Roman über binationales Familienleben

14. Mai 2024, 04:00 Uhr

André Kubiczek erzählt in seinem neuen Roman "Nostalgia" die Geschichte seiner binationalen Familie und ihres Versuchs, im DDR-Alltag anzukommen. Vor 22 Jahren debütierte der Schriftsteller mit "Junge Talente". Er gilt seitdem als Hoffnungsträger der ostdeutschen Literatur; wird in einem Atemzug mit Claudia Rüscher und Jakob Hein genannt. Nach "Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn" präsentiert er jetzt seinen zweiten autobiografischen Roman – fesselnd, findet unser Kritiker.

2012 rollte André Kubiczek in seinem Buch "Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn" bereits sehr plastisch die ungewöhnliche Geschichte seiner Familie auf. Damals deklarierte der Verlag das Buch als Roman, doch diese Bezeichnung traf nur eingeschränkt zu, denn eigentlich handelte es sich um einen Tatsachenbericht. Diese Definition trifft ebenso auf das jüngste Werk des Autors zu.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht dessen aus Laos stammende Mutter, die es durch Heirat mit einem renommierten Staatsrechtler nach Ostdeutschland verschlug. Dort blieb sie eine Exotin, die beispielsweise durch Essgewohnheiten auffiel, wie Kubiczek im Buch beschreibt: "Hühnerknochen aufbeißen, daran saugen und den Knorpel zerkauen, sodass man richtig Gänsehaut kriegt beim Zuhören".

Kritik am autoritären SED-Regime

Mit großer Imaginationskraft beschwört Kubiczek in seinem Opus die letzten beiden Jahrzehnte der DDR herauf, in denen er aufwuchs. Eindringlich schildert er den wachsenden Druck durch politische Repressionen, der sich insbesondere im Schulalltag widerspiegelte, wo es schon zum Skandal führte, wenn man eine Levis-Jeans trug oder sich das Emblem der Friedensbewegung "Schwerter zu Pflugscharen" auf den Parka heftete.

Ein Mann mit dunklem Anzug, grauem Haar und Bart steht mit verschränkten Armen vor einer hellen Wand.
Der Schriftsteller André Kubiczek wurde 1969 in Potsdam in eine binationale Familie geboren: Sein Vater war Bürger der DDR, seine Mutter gebürtige Laotin. Bildrechte: picture alliance / dpa | Arne Dedert

Die Radikalität, mit der das schwächelnde SED-Regime seine Bürger drangsalierte, störte selbst Kubiczeks Erzeuger, der eng in das autoritäre ideologische System eingebunden war. So schreibt er: "'Wie mich das ankotzt', hat er Papa mal aus Versehen sagen hören, als gerade die Aktuelle Kamera lief und er aus der Küche zurückgekommen ist, wo er sich was zu trinken holen war für den Film um acht. Das war ein richtiger Schock. Papa hat nicht etwa gesagt, 'Mann, ist das wieder langweilig', sondern 'Das kotzt mich an!', was ja ein Riesenunterschied ist."

DDR-Geschichte ehrlich erzählt

Hinter dem scheinbar naiven Ton, den Kubiczek anschlägt, verbirgt sich der Wunsch nach unbedingter Ehrlichkeit. Der Künstler möchte nichts verschleiern. Durch eine an Thomas Brussig und Falko Hennig angelehnte Ironie will er die Lügengespinste aufdecken, mit denen sich Funktionärssöhne die Realität schönredeten.

Wenn er es sich aussuchen könnte, würde er lieber Koch werden oder Fotograf oder Zierfischzüchter, statt später Journalistik studieren zu müssen in Leipzig oder Ökonomie in Berlin-Karlshorst, wie seine Eltern es gern hätten.

Auszug aus "Nostalgia" von André Kubiczek

Dabei blendet er die Alternativlosigkeit, unter der er litt, nie aus: "Wenn er es sich aussuchen könnte, würde er lieber in Großbritannien arbeiten als Korrespondent oder Attaché. Wenn er es sich aussuchen könnte, würde er lieber Koch werden oder Fotograf oder Zierfischzüchter, statt später Journalistik studieren zu müssen in Leipzig oder Ökonomie in Berlin-Karlshorst, wie seine Eltern es gern hätten."

Wechsel von Zeiten und Perspektiven

Kühn wagt Kubiczek Sprünge zwischen den Zeitebenen. Aber damit nicht genug. In geradezu avantgardistischer Manier wechselt er auch die Perspektiven. Mal erzählt er aus seiner privaten Sicht, dann wieder wählt er den Betrachtungswinkel der Mutter, die der schwierigen Pubertät ihres Sprösslings ratlos begegnet.

Schwarzweißfoto: Eine Frau und ein kleiner Junge mit asiatischem Aussehen stehen auf einer Landstraße; im Hintergrund ist ein Dorf zu sehen.
Die Beziehung André Kubiczeks – hier als kleiner Junge zu sehen – zu seiner Mutter ist eines der Themen seines neuen Romans "Nostalgia". Bildrechte: rowohlt Berlin

Er verbirgt nicht, dass er zuweilen mit seiner Mutter fremdelte, denn er fühlte sich ihrem Einfluss entwachsen. Als sie 1986 an Krebs starb, wohnte er als Schüler in Halle an der Saale und interessierte sich eher für Mädchen und Discos als für Verwandte. Unterschwellig schwingt in seinen Erinnerungen an die Ahnin der Familie jedoch ein Maß an Liebe mit, das sich nicht tilgen lässt. 

Angaben zum Buch

André Kubiczek: "Nostalgia"
Rowohlt Verlag 2024
400 Seiten, gebunden
Preis: 25 Euro
ISBN: 978-3-7371-0181-3

Redaktionelle Bearbeitung: tmk, sg

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 14. Mai 2024 | 08:10 Uhr

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