Der Redakteur | 27.10.2023 Kann man "Klimakleber" auf Schadenersatz verklagen?
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25. Oktober 2023, 19:24 Uhr
Der Klassiker ist natürlich der verpasste Flug. Verpasste Termine sind auch ärgerlich, welchen Schaden kann ich also geltend machen und bei wem?
Inhalt des Artikels:
Das mit dem Schadenersatz ist nicht so einfach. "Ich verklage dich!", "Ich zeige dich an!" ist schnell dahin gesagt und spätestens der Erstbesuch beim Anwalt könnte ernüchternd enden. Denn unser Rechtssystem hat mehrere Grundsätze, die man schon im ersten Studienjahr kennenlernt. Einem Menschen muss eine Tat konkret nachgewiesen werden und wer Schadenersatzansprüche stellt, sollte auch genau den verklagen, der den Schaden verursacht hat.
Auch muss es erst einmal ein Gesetz geben, gegen das verstoßen wurde. Und zwar zum Zeitpunkt der Tat. Wir kennen das vom Anhörungsbogen nach einem Blitzerfoto, da sind die Paragrafen aufgeführt. Grundsätzlich sprechen Juristen von einem System der Anspruchsgrundlagen, auf die alles heruntergebrochen wird.
Also: Wie lautet das, was da geschehen ist, ins "Juristische" übersetzt? Denn die konkreten Abstufungen menschlicher Untiefen, also Eierdieb, "Klimakleber" oder Messerstecher, die kennt das Strafgesetzbuch nicht. Aber es kennt zum Beispiel die Nötigung, die die "Klimakleber" möglicherweise begehen.
Welcher Schaden ist ersetzbar?
Es ist immer hilfreich, wenn ein zu beziffernder Schaden entstanden ist. Der verpasste Termin ist ärgerlich, aber nur schwer in Geld aufzuwiegen, der verpasste Flug, den die Fluggesellschaft elegant durch eine Umbuchung regelt, ist auch nicht wirklich zu beziffern. Sollte man aber für die ganze Familie neue Flüge buchen müssen und dazu ein Hotelzimmer am Flughafen, dann sieht die Sache schon anders aus.
Auch wenn zum Beispiel ein Kunstwerk durch Kartoffelbrei beschädigt wurde oder jemand die Autoreifen zerstochen hat. Mit diesen Ansätzen wir nämlich im Paragrafen 823 BGB unterwegs, also im Zivilrecht(Streit) zwischen zwei Parteien, nicht im Strafrecht. Absatz 1 § 823 BGB regelt da ziemlich klar: "Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet."
Die reine Zeitverzögerung und in der Folge ausgefallene Termine und deren Folgen, entgangene Umsätze, Abschlüsse bei Vertretern, usw. die könnten immerhin in den Absatz 2 des gleichen Paragrafen fallen. Der beschreibt für juristische Laien etwas unverständlich, dass da zusätzlich noch ein anderes Gesetz, zum Beispiel aus dem Strafgesetzbuch, verletzt worden sein muss, bevor wir über Schadenersatz reden.
Das heißt, ich muss im Zivilprozess strafrechtliche Normen prüfen und da gibt es zwei, drei Tatbestände an, die man denken kann, eine ist die Nötigung.
Das heißt: In einem solchen Fall hat man gute Karten, wenn der konkrete "Klimakleber" "meines" Staus deshalb schon wegen Nötigung zu einer Strafe verurteilt wurde. Doch dann wird es skurril. Es kommt nämlich unter Umständen auch darauf an, wo man im Stau gestanden hat. In der ersten Reihe direkt hinter den "Klimaklebern" hat man zwar die beste Sicht, aber zur allgemeinen Überraschung auch die schlechtesten Karten.
Die verflixte erste Reihe
Die Angelegenheit hat sogar schon einen Namen: Die Zweite-Reihe-Rechtsprechung, die schon bis zum BGH durchprozessiert ist. Das bedeutet in Kurzfassung: Wer in der ersten Reihe steht, wird physisch, also wenn man so will, körperlich, eigentlich gar nicht genötigt, stehen zu bleiben. Das Auto ist stärker als der "Klimakleber" und der wird die Beine schon einziehen.
Abgesehen davon, dass man mit einem solchen Verhalten selbst strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann, der für die Nötigung zuständige Paragraf 240 des Strafgesetzbuches geht eben immer von einer physischen Gewalt bzw. deren Androhung aus ("Ich schlage dir die …"). Die "Klimakleber" aber sitzen friedlich da und haben auch noch die verfassungsrechtlich hoch gewertete Versammlungsfreiheit im Rücken. Das bedeutet: Für die Fahrzeuge der ersten Reihe ist es eine rein psychische Angelegenheit, erklärt Rechtsanwalt Dr. Schlottau.
"In der ersten Reihe habe ich die psychische Gewalt, aber die ist von § 240 StGB und dem Nötigungstatbestand nicht geschützt und die in der zweiten Reihe usw. sind körperlich daran gehindert, sich zu bewegen."
Muss da nicht der Gesetzgeber dran?
Unter Verweis auf das gesunde Volksempfinden müsste hier doch wohl dringend eine Änderung her. Doch Anwalt Schlottau dämpft die Erwartungen. Denn so gesund ist das Volksempfinden oftmals nicht und der entstehende Zorn schon gar nicht. "Respice Finem", wie der Lateiner sagt: Bedenke das Ende!
Der Volkszorn war noch nie ein guter Ratgeber, wenn es darum ging, neues Recht zu setzen.
Das heißt: So etwas darf nie in einem allgemeinen Erregungszustand geschehen, vielmehr sollte schon etwas Zeit verstreichen, es müssten Sachverhalte gesammelt werden und erst dann eventuell auch das Gesetz angepasst werden. Denn oftmals ergeben sich neue Klagemöglichkeiten, die mit dem Vorstoß eigentlich gar nicht beabsichtigt waren.
Rechtsanwälte sind erfinderisch und Richter manchmal ungehalten, reichen das durch bis zu den höchsten Kollegen, die dann den Gesetzgeber ermahnen, für Klarheit zu sorgen. Nehmen wir trotzdem einmal an, wie erweitern den Nötigungsparagrafen um die psychische Gewalt. Was fällt dann alles darunter?
Einfaches Beispiel: Ein Breitschultriger verhindert körperlich, dass ich einen Raum betreten oder verlassen kann oder droht mit deutlichen Worten oder erhobenen Fäusten genau das zu tun. Dann wäre das "Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels", beides zu finden in § 240 StGB und ausreichend geregelt. Nun erweitern wir den Paragrafen um die psychische Gewalt, um im Beispiel zu bleiben um den bösen Blick? Ohne Muskelpumpen und erhobene Faust. Wenn das nicht "psychische Gewalt" ist, was denn dann?
So etwas führt dann ins uferlose. Denn der andere sagt vielleicht, ich gucke immer so.
Im Klartext: Das Phänomen "Klimakleber" ist relativ neu, die Juristen beobachten sehr interessiert die langsam erscheinenden fachlichen Abhandlungen und wie die Gerichte damit umgehen. Aber sollte wirklich ein passendes Klima-Kleber-Gesetz geschnürt werden, das festlegt, dass das Festkleben zu Klimarettungszwecken nur noch auf Gehwegen erfolgen darf, dann würden sie auch damit klarkommen.
MDR (jn)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 25. Oktober 2023 | 16:40 Uhr