Glaube und Demokratie Wie politisch darf die Kirche sein?
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23. März 2024, 12:45 Uhr
Nachdem sich sowohl die katholische Deutsche Bischofskonferenz als auch die Evangelische Kirche in Deutschland offen gegen Rechtsradikalismus und die AfD ausgesprochen haben, ist eine Debatte über die Rolle der Kirchen in der Demokratie in Gang. Als Orte der Begegnung übernehmen die Kirchen eine entscheidende Rolle in der Demokratie, sagen Expertinnen und Experten.
Rund 50 zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich am Donnerstag zum Schutz der Demokratie und gegen Bedrohung von rechts zusammengeschlossen. Dem Bündnis "Zusammen für Demokratie" gehören unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund, Sozial- und Wohlfahrtsverbände, Menschenrechts- und Umweltorganisationen sowie Kultur- und Sportverbände an – ebenso die beiden großen christlichen Kirchen. "Bei den anstehenden Wahlen in Deutschland und Europa droht, dass die AfD und andere extrem rechte Parteien weiter gestärkt werden", heißt es in dem Gründungsaufruf des Bündnisses.
Schon in den Wochen zuvor hatten sich die katholische Deutsche Bischofskonferenz, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sowie die Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) klar gegen Rechtsextremismus positioniert und davor gewarnt, Parteien wie die AfD zu wählen.
Recht der freien Meinungsäußerung gilt auch für die Kirche
Schnell wurden Vorwürfe auch aus den Reihen der AfD laut, die Kirche habe sich nicht in Politik einzumischen. Aber inwiefern ist das korrekt oder, betrachtet man Kirchen als Orte im öffentlichen Raum, überhaupt möglich?
Ein Sprecher der EKD beruft sich auf das Recht der freien Meinungsäußerung. Das gelte sowohl für Äußerungen offizieller Mandatsträger, aber auch für jedes Kirchenmitglied und jede Pfarrperson. Das Religionsverfassungsrecht sehe keine Regelungen oder Grenzen hinsichtlich dessen vor, was gesagt werden kann. "Auch als Körperschaft des Öffentlichen Rechts müssen Religionsgemeinschaften keine Loyalität zum Staat aufweisen, aber doch eine Rechtstreue. Die EKD hat sich spätestens mit der Veröffentlichung der Demokratiedenkschrift 1985 durch ihre klare Zustimmung politisch auf die Freiheitlich demokratische Grundordnung festgelegt," so der Sprecher der Kirche.
Rassismus und christliche Gebote sind unvereinbar
Mit der deutlichen Distanzierung von rechtspopulistischen Tendenzen und Parteien sei klargemacht worden, "dass völkische, rassistische und ausländerfeindliche Ideenwelten der Rechten mit dem christlichen Gebot der Nächstenliebe und des Schutzes von Flüchtlingen nicht vereinbar seien", ordnete der Projektleiter der Bundesarbeitsgemeintschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAGKR), Hennig Flad, die Äußerungen der Kirchen ein. Diese Position sollte auch im Alltag offensiv umgesetzt werden, so Flad. Vor allem im ländlichen Raum in Ostdeutschland gebe es zahlreiche Kommunalpolitiker und engagierte Menschen, die wegen ihres Einsatzes für Demokratie und gegen Rechtsextremismus bedroht und eingeschüchtert würden.
Wie wichtig es ist, sich zum Beispiel als Bischof hinter diejenigen zu stellen, die von Rechten gegängelt werden, betont auch einer der Sprecher der BAGKR, Karl-Georg Ohse. Im Rahmen des Projekts "Kirche stärkt Demokratie" leitet er unter anderem Fortbildungen und Seminare in Kirchengemeinden zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus und demokratiefeindlichen Einstellungen.
Die Kirche müsse sich positionieren und dürfe dem Konflikt nicht aus dem Weg gehen, sondern sollte ihren Wertekompass verteidigen, der sich auf demokratische Grundwerte beruft, sagt Ohse. So könne auch die Kirche einen Beitrag zur Stärkung der Demokratie leisten. "Kirche hat Personal und Ressourcen, um die Zivilgesellschaft zu unterstützen. Sie hat Räume dafür und auch das Know-How, um Veranstaltungen zu moderieren und Dialoge zu ermöglichen, die sonst nicht mehr stattfinden würden", sagt Ohse. Für den Falle einer Positionierung gegen die AfD habe der Verfassungsschutz genügend Material und auch eine christliche Begründung dafür geliefert, diese Partei nicht zu wählen. "Weil sie einfach diametral den christlichen Werten entgegensteht", sagt Ohse.
"Kirche muss menschenwürdige Politik möglich machen"
Markus Dröge, Vorstandssprecher der in Berlin ansässigen Stiftung Zukunft und ehemaliger Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, greift noch weiter in die Geschichte zurück und beruft sich in einem Interview mit der Presseagentur epd auf die sogenannte Barmer Theologische Erklärung, einen "Bekenntnistext der bekennenden Kirche der 1930er Jahre, mit dem die bekenntnistreuen Christen sich im Jahr 1934 gegen die Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus und damit auch gegen die sogenannten 'Deutschen Christen' gewehrt haben." Konkret heiße es in These fünf dieser Erklärung, es sei die Pflicht der Kirche "die Regierenden und Regierten" an "Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit" zu erinnern. "Wenn eine Partei die Menschenwürde und die Werte des Grundgesetzes nicht achtet, sich anschickt, unsere Demokratie zu unterwandern, dann muss Kirche das anmahnen. Kirche soll keine Politik machen, aber sie muss menschenwürdige Politik möglich machen", so Dröge.
Theologische Erklärung von Barmen
Die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode in Barmen vom 31. Mai 1934 ist die zentrale theologische Äußerung der Bekennenden Kirche unter der NS-Herrschaft. "Sie richtete sich gegen die falsche Theologie und das Kirchenregime der so genannten 'Deutschen Christen', die damit begonnen hatten, die evangelische Kirche der Diktatur des 'Führers' anzugleichen", erläutert die Evangelische Kirche in Deutschland auf ihrer Website. Die katholischen Bischöfe hatten in ihrem Schreiben die Idee einer Existenz von Völkern, die angeblich in ihrem "Wesen" und in kulturellen Lebensgestalten scharf von anderen Völkern abgegrenzt werden könnten, als rechtsextremistisch zurückgewiesen. Die Vorstellung, wonach das Volk eine Abstammungs-, letztlich eine Blutsgemeinschaft sei, verwarfen sie als "völkischen Nationalismus" der im Widerspruch zum Grundgesetz stehe.
Konkret heißt es in der Erklärung: "Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft (...) dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen."
KNA
"Glaube ist immer politisch, aber nicht parteipolitisch"
Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende der EKD, Kirsten Fehrs. Nach reformatorischem Verständnis habe die Kirche keinen eigenen Bereich und somit auch nicht "zu den Vorgängen in der Welt zu schweigen". "Unsere Gottesdienste stehen jedem offen, eine Predigt ist immer öffentliche Rede. Und in dem Sinne, in dem sie sich an eine Gemeinschaft richtet, ist sie auch politisch", sagt Fehrs.
"Glaube ist immer politisch, aber nicht parteipolitisch", sagt auch der emeritierte Heidelberger Theologieprofessor Klaus Tanner. Kirche könne jedoch ein Forum für Debatten über christliche und demokratische Grundwerte bieten. Gerade in der Evangelischen Kirche und in Anbetracht der NS-Vergangenheit herrsche ein hohes Maß an Sensibilität, sagt Tanner. "Wir wissen aus der Weimarer Zeit, wie fragil Demokratien sind."
Auch Karl-Georg Ohse sieht die große Gefahr im Schweigen: "Glaube war immer politisch. Und wir versuchen den Gemeinden näherzubringen, dass sie ein Statement abgeben, selbst wenn sie sich nicht positionieren."
Das Religionsverfassungsrecht
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantiert die Religionsfreiheit eines jeden Einzelnen. Jeder kann sich frei zu einer Religion bekennen und einer Religionsgemeinschaft beitreten. Jeder ist aber auch frei, sich zu keiner Religion zu bekennen, aus einer Religionsgemeinschaft auszutreten oder in eine andere überzuwechseln.
Neutralitätsgebot:
Laut Bundesverfassungsgericht muss der Staat "Heimstatt aller Bürger" sein – unabhängig von ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis. Der Staat darf sich daher selbst nicht mit einem bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis identifizieren. Er muss vielmehr allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften neutral und tolerant gegenüberstehen.
Anders als in anderen Staaten sieht das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland allerdings keine strikte Trennung von Staat und Religion vor. Der Staat wirkt mit Religionsgemeinschaften zusammen – etwa um religiösen Bekenntnisunterricht in den staatlichen Schulen zu organisieren.
Quelle: Bundesinnenministerium
Mit Material von AFP, epd, dpa, KNA
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 23. März 2024 | 10:00 Uhr