Studie des Umweltbundesamts Fuß vom Gas fürs Klima: Das bringt ein Tempolimit wirklich
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07. Mai 2024, 14:42 Uhr
Deutschland ist das einzige Land in Europa ohne generelles Tempolimit auf Autobahnen. Das Thema sorgt seit Jahrzehnten für Zündstoff in Politik und Gesellschaft. In den Koalitionsvertrag der Ampel hat es das Tempolimit nicht geschafft. SPD und Grüne scheiterten am Widerstand der FDP. Bundeskanzler Scholz schloss ein Tempolimit erst letzten Sommer erneut aus. Nun gibt es durch eine neue Studie des Umweltbundesamts eine neue Datenlage und damit frischen Wind für die Debatte.
Im Schnitt legt eine erwachsene Person in Deutschland pro Tag 80 Kilometer im Straßenverkehr zurück – 40 davon mit einem Pkw. Das entspricht etwa der Strecke Leipzig – Halle. Bedenkt man, dass im vergangenen Jahr noch mehr als 94 Prozent der Pkw in Deutschland Diesel oder Benziner waren, entstehen bei diesem täglichen Verkehr ordentlich schädliche Treibhausgase.
Wieviel genau können Forschende aus den Bereichen Straßen- und Verkehrswesen anhand von Daten aus Messreihen nachvollziehen. Einer von ihnen ist der promovierte Ingenieur Matthias Schmaus. Er arbeitet am Lehrstuhl für Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik der Universität Stuttgart und hat dort die Studie zum Tempolimit im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA) koordiniert. Im Gespräch mit MDR AKTUELL erklärt Schmaus, wieso die aktuelle Studie ein sehr viel größeres CO2-Einsparpotenzial sieht als noch die letzte Studie von 2020: "Das kommt primär aus zwei Effekten zustande: Der eine ist, dass wir Nachfragewirkungen berücksichtigt haben, also Routenwahl- und Verkehrsmittelwahleffekte." Zum anderen habe man eine andere Methodik angewandt, um die Emissionen der Pkw zu berechnen.
Bis zu acht Millionen Tonnen CO2 pro Jahr sparen
Das Ergebnis: Würde Deutschland jetzt ein Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen einführen, könnten der Studie zufolge jährlich 6,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden – mit einem zusätzlichen Tempolimit von 80 km/h auf Landstraßen sogar bis zu acht Millionen Tonnen. Die letzte Untersuchung des UBA hatte die Reduktion auf nur 2,6 Millionen CO2-Äquivalente beziffert.
CO2-Äquivalente Der Begriff wird in der Klimafolgenforschung verwendet, weil er neben dem eigentlichen Kohlendioxid (CO2) auch Emissionen anderer schädlicher Treibhausgase einschließt. Diese werden zur besseren Vergleichbarkeit entsprechend ihrem globalen Erwärmungspotenzial in CO2-Äquivalente umgerechnet.
Bei der Untersuchung von 2020 sei man noch konservativ vorgegangen und habe die Effekte nicht überschätzen wollen, erklärt Katrin Dziekan, Fachgebietsleiterin Umwelt und Verkehr beim Umweltbundesamt, im Deutschlandfunk: "Wir haben damals schon gedacht, dass die Menschen dann vielleicht auch Umwege fahren oder vielleicht auf die Bahn umsteigen. Diese Umsteigeeffekte konnten wir zum damaligen Zeitpunkt aber nicht abbilden." Dziekan hat die Studie seitens des UBA wissenschaftlich betreut. Neben den Forschenden aus Stuttgart um Matthias Schmaus waren auch Wissenschaftler der Universität Graz sowie ein Softwareunternehmen aus Karlsruhe an der Studie beteiligt.
Das Besondere an der jüngsten Untersuchung, der übrigens Verkehrsdaten von 2018 zugrunde liegen: Durch die Stuttgarter Analyse konnten erstmals Verkehrs- und Verhaltensdaten aus ganz Deutschland einbezogen werden.
Entscheidend: Langsamer fahren, kürzere Strecken
Ausschlaggebend wären die CO2-Einsparungen durch eine veränderte Routenauswahl und Verkehrsnachfrage jedoch nicht. "Wir haben hier einen eher kleinen Effekt", betont Matthias Schmaus. Zusammengenommen ergibt sich ein Einspareffekt von 2,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr, wenn Menschen wegen Tempo 120 auf Autobahnen andere Strecken wählen oder etwa auf die Bahn umsteigen. Die meisten schädlichen Treibhausgase können durch langsameres Autofahren eingespart werden - bis zu 5,4 Millionen Tonnen.
"Auch diese Zahlen haben sich verändert, weil wir hier die Floating Car Data zugrunde legen konnten und auch mit dem Handbuch für Emissionsfaktoren gerechnet haben", erklärt Katrin Dziekan im Deutschlandfunk. Und die waren für die Forschenden offenbar ein regelrechter Schatz. Matthias Schmaus von der Uni Stuttgart schwärmt im Gespräch von der "sehr guten Datenbasis" durch die Floating Car Data (FCD). Durch Tracking-Daten des Navi-Herstellers Tom Tom habe man Verkehrszustände – also Standorte und Schnelligkeiten von Pkw – für das gesamte deutsche Autobahnnetz zur Verfügung gehabt. Über das "Handbuch für Emissionsfaktoren" – ein Standardwerk, mit dem berechnet werden kann, wie viel CO2 ein Auto bei bestimmten Verkehrszuständen ausstößt – konnten die Forschenden die Sparpotenziale ermitteln.
Tempolimit als symbolisch-kulturelle Abkehr vom Auto
Mit anderen Worten: Im Vergleich zu früheren Untersuchungen hat die aktuelle Studie eine vielfach präzisere und umfassendere Datengrundlage, die die Klimaschutzwirkung eines generellen Tempolimits eindeutig belegt. Mit Tempo 120 auf Bundesautobahnen und Tempo 80 auf Außerortsstraßen, eingeführt zum Januar 2024, könnten bis 2030 in Summe rund 47 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden, fasst UBA-Chef Dirk Messner zusammen. Damit könne die Klimaschutzlücke im Verkehr um rund ein Sechstel geschlossen werden.
Aus verkehrssoziologischer Sicht wäre ein Tempolimit eine einfache und direkte Maßnahme für mehr Klimaschutz, aber auch ein Symbol gegen die Dominanz des Autos.
"Bei den Emissionen ist der Autoverkehr in Deutschland noch immer das große Sorgenkind", bestätigt auch Katharina Manderscheid MDR AKTUELL. Sie ist Soziologie-Professorin an der Universität Hamburg und beschäftigt sich mit Nachhaltigkeit, Lebensführung, Autoverkehr und der Zukunft des Verkehrs. Der Trend, dass Menschen viel mit dem Auto unterwegs seien und damit immer längere Strecken zurücklegten, müsse gebrochen werden. "Aus verkehrssoziologischer Sicht wäre ein Tempolimit eine einfache und direkte Maßnahme für mehr Klimaschutz, aber auch ein Symbol gegen die Dominanz des Autos", sagt Manderscheid.
Neben der CO2-Reduktion durch langsameres Fahren, spricht sich Manderscheid aber auch für "flankierende Maßnahmen" aus, damit schlicht weniger Menschen auf das Auto zugreifen müssten. "Wenn man wirklich etwas erreichen will, geht es um den Aufbau von Alternativen. Da ist zum Beispiel auch das 49-Euro-Ticket wichtig." Vor allem in der Fläche fehle es aber an einer alternativen Infrastruktur, erklärt die Wissenschaftlerin. Der Ausbau von Carsharing-Angeboten oder die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken seien gesellschaftspolitische Aufgaben, bei denen es nicht nur nach Wirtschaftlichkeitskriterien gehen könne.
Ein weiterer positiver Effekt, auf den Katharina Manderscheid hinweist: Durch das Tempolimit würde sich die Sicherheit im Verkehr erhöhen. Unfälle wären weniger gravierend. Das zeigten Untersuchungen.
Vehementes "Nein" aus dem Verkehrsministerium
Das Umweltbundesamt macht sich wie auch Umweltverbände seit Langem für die Einführung eines Tempolimits stark. Hintergrund ist auch, dass im Verkehrsbereich bisher eine große Lücke zu Klimazielen der Bundesregierung besteht, darüber gibt es zunehmend Streit in der Koalition.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hält nach wie vor nichts von einem generellen Tempolimit und setzt auf eine Regulierung durch die derzeit hohen Spritpreise. In der "Bild am Sonntag" sagte er zuletzt: "Die hohen Energiepreise führen schon jetzt dazu, dass viele Menschen langsamer fahren. Und bei den E-Autos werden die Menschen auch nicht so schnell fahren, weil sie ihren Akku schonen wollen."
Das Tempo gehöre in die Eigenverantwortung der Bürger, solange andere nicht gefährdet würden. Der Staat solle sich hier zurückhalten, findet Wissing. Das kann man so sehen. Der Staat hat sich aber auch Klimaziele auferlegt und eine Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen. Um die neuen Daten des Umweltbundesamts wird auch der Verkehrsminister nicht drumherum kommen.
Eine politische Bewertung haben die Autorinnen und Autoren der Studie bewusst nicht vorgenommen. Eines ist Matthias Schmaus jedoch wichtig: Oft gehe es bei der Frage nach Klimaschutzmaßnahmen darum, wie schnell diese umgesetzt werden könnten. "Hier gibt es einen Soforteffekt und damit ist diese Maßnahme besonders", sagt er. Würde man das Tempolimit einführen, wäre jeder Pkw im Schnitt 1,5 Minuten langsamer. Anderthalb Minuten mehr Fahrtzeit für deutlich weniger CO2.
(cvt mit dpa)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 23. Januar 2023 | 16:36 Uhr