Eine Leiterin der Telefonseelsorge, sitzt mit einem Headset an ihrem Arbeitsplatz vor ihrem Rechner auf dem die Homepage der Telefonseelsorge angezeigt wird (gestellte Szene).
Wer die Telefonseelsorge erreichen will, braucht oft Geduld, denn es fehlt an ehrenamtlichen Mitarbeitern. Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod

Steigende Anruferzahlen Telefonseelsorge braucht mehr Freiwillige

29. Mai 2024, 10:22 Uhr

Ende Mai wird in Leipzig Geburtstag gefeiert: Denn dann wird die Telefonseelsorge der Stadt 25 Jahre alt. Seit der Gründung im Jahr 1999 sitzen täglich rund um die Uhr Ehrenamtliche am Telefon, um sich die Sorgen und Nöte der Menschen anzuhören. Doch die Zahl der Telefonseelsorger kann nicht mit der steigenden Zahl der Anruferinnen und Anrufer mithalten.

Es ist ein unauffälliges, hell gestrichenes Haus in einer Seitenstraße in Leipzig. Keiner, der dort vorbeigeht und nicht Bescheid weiß, würde vermuten, dass in der obersten Wohnung die Telefonseelsorge sitzt. 25 Jahre gibt es sie nun in der Messestadt.

Am Telefon sitzen fast ausschließlich Ehrenamtliche. Sie unterhalten sich mit Menschen, die wegen Depressionen, chronischer Schmerzen, Problemen in der Partnerschaft oder Familie oder auch Suizidgedanken anrufen.

Ein Thema aber begegnet ihnen immer wieder, wie eine der Telefonseelsorgerinnen aus Leipzig, die anonym bleiben möchte, erklärt. Sie sagt, für sie sei das große Thema die Einsamkeit: "Ich hatte Dienst an Silvester und da denkt man immer, das ist ein besonderes Ereignis, da gibt es spezielle Themen. Oder während der Corona-Zeit oder jetzt mit dem Krieg: Da hat man die Vorstellung, dass das bestimmt am Telefon ganz oft erwähnt wird – und dann wundere ich mich, dass es eigentlich nicht so ist."

Starker Anstieg der Anrufe, vor allem wegen Einsamkeit

Die Zahlen unterstützen ihren Eindruck. In der bundesweiten Jahresstatistik der Telefonseelsorge ist nachzulesen: Vergangenes Jahr hat fast ein Viertel, 22,5 Prozent, wegen Einsamkeit angerufen. Direkt danach folgen Menschen, die wegen körperlicher Beschwerden anrufen – knapp ein Fünftel – und 15 Prozent, die sich wegen "depressiver Stimmung" melden, wie es in der Statistik heißt.

Für eine der beiden Leiterinnen der Telefonseelsorge Leipzig, Tina Freitag, ist Einsamkeit etwas, das sich in den vergangenen Jahren verfestigt hat. Sie sagt: "Es gibt Menschen, die isoliert sind und andere Personen brauchen, um zu sprechen. Einsamkeit ist ja nicht nur, wenn ich allein lebe, sondern ich kann auch einsam sein, wenn ich soziale Beziehungen habe."

Freitag zufolge bemerken die Telefonseelsorger bei dem Thema eine gesellschaftliche Tendenz. Manche Menschen hätten gar niemanden, bei dem sie sich wirklich öffnen könnten.

Und die Anzahl der Anrufe steigt seit Jahren kontinuierlich und deutlich, von etwas mehr als 10 Millionen im Jahr 2019 auf zuletzt mehr als 18 Millionen im Jahr 2023. Telefonseelsorger werden Tina Freitag zufolge deswegen also immer gesucht. Das sei oft eine Herausforderung – vor allem in so dynamischen Städten wie Leipzig. Denn bei der Telefonseelsorge verpflichte man sich zu einer einjährigen Ausbildung und dann, mehrere Jahre ehrenamtlich tätig zu sein.

Der Leiterin der Telefonseelsorge zufolge braucht es trotz der Hürden dringend mehr Menschen, die sich gegen Einsamkeit einsetzen und zum Dienst am Telefon bereit erklären. MDR AKTUELL sagte sie, sie wünsche sich für die Zukunft, dass die Teams, nicht nur in Leipzig, wachsen und den wichtigen Dienst der Telefonseelsorge gut abdecken können.

Suizid als schwieriges Problem

Denn die Frauen und Männer am Telefon reden nicht nur über Einsamkeit, auch das Thema Suizid spielt eine große Rolle bei der Telefonseelsorge – und erfordert besonderes Feingefühl. Spezielle Schulungen, Supervision und immer wieder der Austausch der Ehrenamtlichen untereinander sollen helfen, dieses immer noch tabuisierte Thema gut verarbeiten und ihm am Telefon möglichst adäquat begegnen zu können. Doch wie gut die Telefonseelsorger darauf vorbereitet sind, hängt nach Aussage von Tina Freitag auch von den Rahmenbedingungen ab.

Am anderen Ende der Leitung, für die Anrufenden selbst, macht sich der Mangel an ausgebildeten Ehrenamtlichen deutlich bemerkbar. Nach Angaben der Bundesstatistik der Telefonseelsorge 2023 braucht es im Schnitt 14,4 Anrufeversuche, bis ein Gespräch zustande kommt.

Die Leipziger Telefonseelsorgerin, die anonym bleiben möchte, gibt den Rat: "Gerade, wenn man erstmals anruft, ist es so, dass man leider oft Geduld braucht und nicht aufgeben soll, wenn man nicht gleich durchkommt. Oft sind die Leitungen einfach belegt."

Finanzen immer knapp

Ressourcen – wie so oft hängt es an Geld und Personal. Tina Freitag betont, auch wenn landläufig die Überzeugung herrsche, die evangelische und die katholische Kirche würden die Telefonseelsorge finanziell komplett tragen – Geld für Ausbildung und Betreuung gebe es immer zu wenig, Spenden seien immer gern gesehen. Sie plädiert sogar für ein bundesweite Finanzierung aller Stellen, um die qualitative Arbeit der Telefonseelsorgen sicherzustellen.

Doch trotz knapper Kassen und der manchmal schlechten Erreichbarkeit – der Leiterin der Telefonseelsorge Leipzig liegt es am Herzen, zu betonen: Die Telefonseelsorge ist für Sie da!

So erreichen Sie die Telefonseelsorge Wenn Sie sich einsam fühlen, Suizidgedanken oder -absichten haben oder einfach mit einem anderen Menschen sprechen möchten, die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr jeden Tag im Jahr erreichbar – kostenlos und anonym: 0800/1110111. Darüber hinaus können Sie auch per Mail oder Chat mit jemandem schreiben.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 28. Mai 2024 | 07:00 Uhr

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