Ein Mann sitzt am Tisch und telefoniert. Auf dem Tisch brennen drei von vier Kerzen.
Einsamkeit ist noch einer der am häufigsten Gründe für Anrufe bei der Telefonseelsorge. Bildrechte: IMAGO / Funke Foto Services

Einsamkeiten und Ängste Mehr als eine Million Anrufe bei der Telefonseelsorge

23. Dezember 2023, 10:27 Uhr

Kriege, Krisen, Depression und Einsamkeit: 2023 haben mehr als eine Million Menschen in Deutschland das Angebot der Telefonseelsorge genutzt. Neben Nachwehen der Corona-Pandemie wecken auch die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten Sorgen und Ängste.

Corona-Pandemie, Umweltkatastrophen, Inflation und Kriege vor der Haustür: Das zu Ende gehende Jahr 2023 war ein weiteres Jahr der Krisen. Eines, das wohl so gut wie jede und jeden Einzelnen auf die eine oder andere Art herausgefordert oder vor Probleme gestellt hat. Und diese Belastungen machen sich auch bei der Telefonseelsorge bemerkbar.

Mehr als eine Million Menschen haben sich 2023 mit ihren Sorgen, Nöten und Ängsten an die Telefonseelsorge gewandt. Der Krieg im Nahen Osten und in der Ukraine, Einsamkeit und depressive Stimmungen waren häufig Auslöser der Anrufe, sagt der Vorsitzende des bundesweiten Telefonseelsorge-Arbeitsgruppe Statistik, Ludger Storch, der Deutschen Presse-Agentur. Eine abschließende Auswertung für 2023 gebe es noch nicht, jedoch gehe er von ähnlich vielen Anrufen wie im Vorjahr aus: rund 1,2 Millionen.

Gründe für Anrufe: Einsamkeiten, Ängste, Depression

Darüber hinaus ist ein ebenfalls anonymer Kontakt im Chat oder per Mail möglich. Deutlich mehr als 3.000 Chats und über 41.000 ausgetauschte Mails verzeichnen die Seelsorgenden.

Thema waren laut Storch häufig aktuelle Krisensituationen: "Der Krieg in der Ukraine und auch der Krieg im Nahen Osten versetzen viele in Sorgen und Ängste", sagt er, aber auch die Folgen der Corona-Pandemie seien noch spürbar. Das zeige sich zum Beispiel in sich häufenden sozialen Ängsten. Und auch die Preissteigerungen hätten oftmals Spuren im persönlichen Alltag hinterlassen.

Häufigster Grund für Anrufe und Thema bei mehr als jedem fünften Anrufenden sei aus 2023 Einsamkeit gewesen. Das zeigt sich auch in Zahlen aus dem Vorjahr. Sehr häufig werde auch über Ängste und depressive Stimmungen sowie Suizidgedanken gesprochen.

Auch bei der Nummer gegen Kummer, die sich vor allem an Kinder, Jugendliche und Eltern richtet, lagen die Beratungszahlen nach erster vorläufiger Einschätzung auf dem hohen Niveau von 2022 (rund 121.500 Beratungen), wie es dort hieß. Auch die Helpline Ukraine für Menschen, die vor dem Krieg geflüchtet sind, werde weiterhin häufig nachgefragt.

Bundesregierung will gegen Einsamkeit und soziale Isolation vorgehen

Mitte Dezember hat die Bundesregierung bekanntgegeben, gegen Vereinsamung und soziale Isolation vorzugehen. Das Kabinett beschloss die sogenannte Einsamkeitsstrategie von Familienministerin Lisa Paus. Darin ist ein Bündel von Maßnahmen vorgesehen, um Betroffene zu unterstützen und der Vereinsamung einzelner Bevölkerungsgruppen gezielt vorzubeugen, durch Förderprogramme, eine bessere Vernetzung oder eine jährliche Aktionswoche soll dem Thema außerdem Aufmerksamkeit verschafft werden.

Nachwehen der Corona-Pandemie: mehr Einsamkeit und weniger Resilienz

Frank Ertel ist Vorsitzender der Telefonseelsorge in Deutschland. Er spüre noch immer die Folgen der Corona-Pandemie, sagt er im Gespräch mit MDR AKTUELL. Seit der Pandemie wendeten sich immer mehr Menschen aus Einsamkeit an das Sorgentelefon. "Und wir merken es geht dann gar nicht darum, dass wir irgendein Problem lösen, sondern die Menschen suchen den Kontakt und dass ihnen jemand zuhört, dass jemand versteht", sagt Ertel.

Im Kampf gegen Einsamkeit fordert er vom Bund, dass man "Geld in die Hand nehmen müsste, um gegen Einsamkeit möglichst auch mit den Verbänden zusammen eine zentrale Stelle zu schaffen." Es gehe darum, schon vorsorglich mehr Resilienz und Widerstandsfähigkeit beim Menschen zu schaffen, etwa schon in der Schule.

So erreichen Sie die Telefonseelsorge:

  • Sie durchleben gerade eine persönlichen Krise oder haben Selbsttötungsgedanken? Die Telefonseelsorge hilft Ihnen rund um die Uhr unter folgender Nummer: 0800 1110111 und 0800 1110222. Der Anruf ist anonym und taucht nicht im Einzelverbindungsnachweis auf. Auf der Webseite www.telefonseelsorge.de finden Sie weitere Hilfsangebote, zum Beispiel per E-Mail oder im Chat.


  • Eine weitere Anlaufstelle ist die Nummer gegen Kummer, ebenfalls anonym und kostenfrei. Sie richtet sich an Kinder und Jugendliche: 116 111, aber auch an Eltern: +800 1110 550. Für die Sorgen und Nöte Geflüchteter aus der Ukraine gibt es die Helpline Ukraine: +49 800 500 2250. Auch online finden Sie das Angebot der Nummer gegen Kummer: www.nummergegenkummer.de.

Weitere wichtige Adressen:

  • Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) - Hilfsangebote
  • Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V. - Übersicht über psychiatrische Hilfen
  • Telefonseelsorge: Tel. 0800 - 111 0 111 oder 0800 - 111 0 222 (kostenfrei), online mit Chat- und Mailberatung
  • Bundesweite Beratungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche (überwiegend Deutscher Kinderschutzbund): Tel. 0800 - 111 03 33
  • Deutsche Depressionshilfe: Info-Telefon Depression unter 0800 - 334 45 33
  • Deutsche Depressionshilfe - Was Angehörige und Freunde tun können

MDR, mit Material von dpa

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 23. Dezember 2023 | 10:30 Uhr

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