"The Tyre Extinguishers" Angriffe auf SUVs und Geländewagen: Warum Klima-Aktivisten das machen
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14. Dezember 2023, 15:49 Uhr
Klimaaktivisten, die sich "Tyre Extinguishers" nennen, haben es gezielt auf die Reifen von SUVs und Geländewagen in Städten abgesehen: Sie lassen den großen Wagen die Luft aus den Reifen. Zuletzt in Magdeburg und Leipzig. Wir haben einen Aktivisten getroffen. Dem MDR erzählt er, warum er das macht.
In den vergangenen Monaten haben Klima-Aktivisten in Leipzig und in Magdeburg wiederholt SUVs und Geländewagen angegriffen, haben die Reifen solcher Autos manipuliert. Die Besitzer der Wagen warnten und ermahnten sie: "Wir haben bei einem oder mehreren Ihrer Reifen die Luft abgelassen", steht auf Zetteln, die sie hinter die Scheibenwischer klemmen, und, "sie werden wütend sein, aber nehmen Sie es nicht persönlich. Es liegt nicht an Ihnen, sondern an Ihrem Auto". An den Emissionen und den Schaden, die das große Auto in der Welt und in der Nachbarschaft hinterlassen könnten. SUVs seien unnötig und reine Eitelkeit, geben sie den betroffenen Autobesitzern mit.
" ... sie werden wütend sein, aber nehmen Sie es nicht persönlich. Es liegt nicht an Ihnen, sondern an Ihrem Auto."
In Leipzig hat es eine solche Aktion nach Bekunden der sogenannten "The Tyre Extinguishers" zuletzt in der Nacht vom 11. auf den 12. Dezember 2023 gegeben, in Magdeburg Ende Oktober.
Unterzeichnet sind die Flugblätter mit "The Tyre Extinguishers". In wenigen Worten fassen diese auf ihrem "X"-Account zusammen, wofür sie stehen: "Wir werden es unmöglich machen, in den städtischen Gebieten der Welt einen SUV zu besitzen. Für Klima, Gesundheit, öffentliche Sicherheit."
Im Fokus: große und protzige Autos
Lucas (Name geändert) gehört zu den Aktivisten, die in Magdeburg Autoreifenventile manipulieren. Er ist nicht alleine, hat zwei weitere Mitstreiter. In der Nacht zögen sie los, suchten Autos, "je größer, desto besser", wie er bei einem Treffen in Magdeburg erzählt. Autos, die protzig aussähen, aggressiv und "ein bisschen Dominanz ausstrahlen wollen".
Lucas hat sich dem MDR getroffen und seinen Motiven erzählt, darüber, wie die Magdeburger Gruppe vorgeht. Demnach entscheiden sie relativ spontan, wann die Aktion stattfinden soll, und zögen ausgerüstet mit Linsen, Einweghandschuhen wegen des Schutzes und der Fingerabdrücke und Warnzetteln los. Wenn sie ein passendes Auto finden, legten die Linsen in die Ventile und drehten die Kappe wieder auf. Bis die Reifen platt seien, dauert es Lucas zufolge normalerweise 30 Minuten, manchmal aber auch bis zu drei Stunden. Bei der letzten Aktion im Oktober 2023 haben laut Post auf "X" jeweils die Ventile aller vier Reifen manipuliert.
Dass er mit seinen Aktionen Autofahrer gefährdet, das lässt Lucas nicht kalt. Zugleich sieht er diese mit dem Flugblatt, dass die Aktivisten an der Windschutzscheibe hinterlassen, hinreichend gewarnt. Das Risiko, dass das Flugblatt weggeweht werden könnte oder dass Passanten es entfernen könnten, hält er für gering; auch dass es die Fahrer nicht sehen würden - sie schauten ja immer nach vorne. Wenn etwas passiere, überlegt er, wäre seiner Ansicht nach schuldig, wer den Zettel abnehme oder wer trotz Warnung losfahre.
Nach den Aktionen macht die Gruppe Fotos, die sie an die Kontaktdaten der "Tyre Extinguishers" - übersetzt in etwa: die Reifen-Plattmacher - schicken, die die Webseite und Twitter- sowie Telegram-Account pflegen. Sowohl Webseite als auch Twitter- oder X-Account wurden im Sommer 2021 von britischen Aktivisten registriert; die ersten Aktionen unter dem Namen der "Tyre Extinguishers" gab es im März 2022 in Großbritannien, schnell folgten weitere - inzwischen in etwa 20 Ländern.
Der erste Eintrag aus Magdeburg stammt von Ende August, inzwischen gibt es zwei weitere Einträge zu Aktionen in Magdeburg auf Social-Media-Kanälen der "Tyre Extinguishers". Die Leipziger Aktion vom Dezember ist die erste, die dort gepostet wurde, aber nicht die erste in Leipzig: Laut Landeskriminalamt hat die Polizei in diesem Jahr Stand Oktober 2023 bereits in 84 vergleichbaren Fällen Ermittlungen aufgenommen.
Lucs: Entwicklung im Verkehr "völlig verrückt"
"Wir machen das aus zwei Gründen", sagt Lucas, der bei dichtem Nieselregen auf dem Fahrrad zum Treffen kommt, "wegen der Klimakrise und wegen der unserer Meinung nach benötigten Verkehrswende." SUVs verbrauchten in Herstellung und Betrieb unnötige Ressourcen und stießen unnötig viele Treibhausgase aus. Dabei könne man in der Stadt problemlos auf den öffentlichen Nahverkehr umschwenken. Der Verkehrssektor in Deutschland verfehle wegen des Trends zu immer größeren Autos die Klimaziele am stärksten.
"Wir finden es völlig verrückt", dass der Autoverkehr angesichts der drohenden Ausmaße der Klimakrise alles schlimmer machen werde.
Der Trend zu größeren Autos verstärkt unserer Meinung nach beide Probleme und dieser Trend hat sich auch durch Demonstrationen nicht aufhalten lassen. Aus diesem Grund sind wir der Überzeugung, dass es drastischere, klarere, entschlossenere Formen des Protests und Widerstands gegen diese Entwicklung braucht.
Zur Sorge über den Klimawandel kommt noch das Verhalten der Autofahrer im Straßenverkehr. Autofahrer bedrängten die Radfahrer, erzählt Lucas. Wer nicht höllisch aufpasse, könne in Sekundenschnelle einen schweren Unfall erleben. Das ist nicht nur persönliches Empfinden - während die Zahl der Unfälle in den vergangenen Jahren bundesweit sank, steigt die der Radunfälle, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen.
Ziele: Abschrecken und Ächten
Lucas jedenfalls will mit seinen Aktionen vom Kauf der SUVs und Geländewagen sowohl die Besitzer als auch potenzielle Käufer in der Nachbarschaft abschrecken, wie er sagt. "So was spricht sich rum. Ich glaube, wer sich damit liebäugelt, sie anzuschaffen, der denkt zweimal drüber nach".
Mir ist wichtig, den SUV-Fahrenden klarzumachen, dass sie egoistisch handeln und diese Form ihres Konsums geächtet werden sollte.
Er hat nach eigenen Angaben bereits an anderen Klima-Aktionen teilgenommen. Inzwischen ist er ungeduldig, Demonstrationen führten nach seinem Erleben nicht weiter. Sein Handeln bezeichnet er als "direkte Aktion" - einem Begriff, der mit Anarchismus in Verbindung gebracht werde. Als "Reaktion" auf die Entwicklung im Straßenverkehr und der Klimakrise.
Es gibt keinen vernünftigen Grund für einen SUV in der Stadt.
Es gehe um gesellschaftliche Veränderungen mit einer Strategie, die ohne die Umwege über Medien oder Politik auskomme, "kein Appell an die Mächtigen, sondern selbst handeln" - wenngleich "wir in dem aktuellen System auf diese Weise keinen ausreichenden Wandel herbeiführen können". Wenn er über alternative Formen des Aktivismus nachdenke, dann eher über noch drastischere, aber nicht über weniger riskante. Demos, Petitionen, etc. habe er bereits durch.
Polizei ermittelt wegen Sachbeschädigung und gefährlichen Eingriff in Straßenverkehr
Die Polizei in Magdeburg jedenfalls ermittelt wegen des Verdachtes der Sachbeschädigung in - Stand Oktober 2023 - inzwischen fast 150 Fällen. Bundesweit nach Umfrage bei den Landeskriminalämtern Stand 13. November 2023 mehr als 1.800, die meisten davon in Berlin und Potsdam. Seither haben die "The Tyre Extinguisher" zahlreiche weitere Angriffe insbesondere in Berlin und Potsdam gemeldet.
In verschiedenen Bundesländern laufen Ermittlungsverfahren wegen des Straftatbestands nach § 303 des Strafgesetzbuches - also Sachbeschädigung - und nach § 315b und damit gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr. Allein eine Verurteilung nach § 303 kann nach Angaben des hessischen Landeskriminalamtes mit Geldstrafen bis hin zu Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren verbunden sein.
Auch Lucas fürchtet juristische Folgen, sollte er erwischt werden. Ungeachtet dessen hält er seine aktuell gewählte Aktionsform für harmlos: Nur bestimmte Autotypen würden getroffen, es entstehe meist keinerlei Sachschaden und:
Die SUV-Fahrer/innen werden deutlich gewarnt dank Flugblatt.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten | 14. Dezember 2023 | 15:30 Uhr