Hintergrund Darum benötigen immer mehr Rentenbezieher Grundsicherung
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09. Oktober 2023, 13:00 Uhr
Die Zahl älterer Menschen in Deutschland steigt, die mit ihrer Rente ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können und zusätzlich Grundsicherung beziehen. Das Plus war im Osten Deutschlands zuletzt besonders hoch. Dazu kommt bundesweit eine hohe Dunkelziffer an Menschen, die auf ihren Anspruch verzichten. Der Sozialverband VDK und die Deutsche Rentenversicherung zu den Gründen. Außerdem ein kleiner Ratgeber, wie man an die Leistungen kommt.
Inhalt des Artikels:
- Gründe für Sprung im Osten: höhere Regelsätze und relativ niedrige Renten
- Mehr Anspruchsberechtigte durch höhere Freibeträge
- Inflation, hohe Mieten und Energiekosten sind wichtige Faktoren
- Anspruchsvoraussetzungen für Grundsicherung
- Hunderttausende Rentnerinnen verzichten auf Leistungen
- Ukrainische Rentner in Deutschland erhalten meist Grundsicherung
Im Juni 2023 bezogen bundesweit knapp 700.000 Menschen im Rentenalter Grundsicherung – zehn Prozent mehr als noch im Juni 2022. Vor allem im Osten schnellte die Zahl der Anträge hoch.
Gründe für Sprung im Osten: höhere Regelsätze und relativ niedrige Renten
Dafür gibt es mehrere Gründe: So wurden 2023 mit der Einführung des Bürgergelds die Regelleistungen erhöht und der Grundsicherungsbedarf stieg. Viele Ältere sind so erstmals grundsicherungsberechtigt. Dazu kommen höhere Freibeträge für Grundsicherung durch die Grundrentenregelungen seit 2022.
Als weiteren Punkt für den starken Anstieg der Anträge im Osten sieht der Sozialverband VDK die niedrigen Renten vieler Männer im Rentenzugang verglichen mit den anderen Bundesländern. Der VDK sagte MDR AKTUELL, möglicherweise resultiere daraus ein höherer Anteil an neuen Grundsicherungsberechtigten. Eine Rolle spiele auch, dass es im Osten weniger Betriebsrenten gebe als im Westen, sodass das Gesamtalterseinkommen niedriger sein dürfte.
Mehr Anspruchsberechtigte durch höhere Freibeträge
Wie Dirk Manthey von der Deutschen Rentenversicherung Bund MDR AKTUELL erläutert, bezogen Ende 2022 insgesamt rund 658.000 Menschen jenseits der Regelaltersgrenze Leistungen der Grundsicherung. Darunter waren 454.000 Seniorinnen und Senioren mit einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, etwa 40.000 mehr als Ende 2020. Der Anstieg bei den Altersrentnerinnen und -rentnern mit Grundsicherung sei "hauptsächlich" auf die geänderte Freibetragsregelung zurückzuführen.
Demnach gilt nach mindestens 33 Jahren sogenannter Grundrentenzeiten (Pflichtbeiträge aus Berufstätigkeit, Kindererziehungszeiten und Pflegezeiten sowie Zeiten mit Krankheit oder Rehabilitation) ein zusätzlicher Freibetrag beim Antrag von Leistungen der Grundsicherung im Alter. Ein Teil der Rente ist bei der Grundsicherung anrechnungsfrei (2022 bis zu 224,50 Euro, 2023 bis zu 251 Euro). Wer also mit seinem Einkommen bisher knapp über einem Grundsicherungsanspruch lag, wird durch den neuen Freibetrag nun anspruchsberechtigt.
Inflation, hohe Mieten und Energiekosten sind wichtige Faktoren
Weiterer Grund sind gestiegene Lebenshaltungskosten, mit denen die Rentenerhöhungen oder andere Alterseinkünfte nicht mithalten. Dazu zählen hohe Mieten und Energiekosten sowie stark gestiegene Preise für Waren des täglichen Bedarfs. Der Sozialverband VDK fordert daher eine Inflationsprämie für alle Rentnerinnen und Rentner, wie es sie bereits für Pensionärinnen und Pensionäre des Bundes gab.
Um Altersarmut wirkungsvoll zu bekämpfen, fordert der VDK unter anderem eine Steigerung des Rentenniveaus auf 53 Prozent. Wichtig wären zudem ein armutsfester Mindestlohn von minimal 14 Euro pro Stunde, mehr Tarifbindung bei Unternehmen und eine Förderung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen statt Minijobs und Zeit- und Leiharbeit. Je mehr Menschen einzahlten, desto stabiler sei die Alterssicherung. Das dies machbar wäre, zeige das Beispiel Österreich: Dort würden inzwischen alle Erwerbstätigen in die Rentenversicherung einbezogen, also auch Beamtinnen und Beamte sowie Selbstständige und Freiberufler – und somit auch Politikerinnen und Politiker.
Anspruchsvoraussetzungen für Grundsicherung
Grundsicherung im Alter können beim zuständigen Sozialamt alle Menschen beantragen, welche die Altersgrenze für die Rente überschritten haben und deren Einkommen und Vermögen nicht die Lebenshaltungskosten deckt. Der Regelsatz entspricht dem Bürgergeld von aktuell 502 Euro monatlich für Alleinstehende (ab 2024 563 Euro) und 952 Euro für Ehepartner oder Lebensgemeinschaften (2024: 1.055 Euro). Auch Geflüchtete aus der Ukraine im Rentenalter haben Anspruch.
Die Deutsche Rentenversicherung rät Menschen mit einem Einkommen unter 1.000 Euro prüfen zu lassen, ob sie anspruchsberechtigt sind. In Kommunen mit hohem Mietniveau lohne die Prüfung auch bei einem höheren Einkommen. Der Regelsatz von 502 Euro soll Nahrungsmittel, Kleidung, Hausrat, Körperpflege und Strom abdecken. Zusätzlich übernimmt das Sozialamt Kosten für Unterkunft und Heizung, soweit diese angemessen sind (etwa 50 bis 60 Quadratmeter für Alleinstehende oder Partnerschaften). Die Höhe orientiert sich am örtlichen Mietspiegel.
Hinzu kommen Kranken- und Pflegeversicherung sowie ein Mehrbedarf für Menschen mit Schwerbehinderung. Dabei gewährt der Staat ein Schonvermögen von 10.000 Euro. Kinder sind nur dann zahlungspflichtig, wenn sie ein zu versteuerndes Einkommen von mehr als 100.000 Euro pro Jahr haben.
Hunderttausende Rentnerinnen verzichten auf Leistungen
Mehr als eine Million Rentner in Deutschland hätten Anspruch auf Grundsicherung im Alter, doch ein Großteil von ihnen stellt keinen Antrag. Das geht aus einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor. Der Sozialverband VDK schätzt den Anteil sogar auf 70 Prozent und sieht mehrere Gründe: Viele Seniorinnen und Senioren würden die Leistung nicht kennen. Andere hielten das Antragsverfahren für beschämend und wollten nicht zu Bittstellern werden.
Der VdK verweist auf zahlreiche Fälle in seiner Rechtsberatung, dass Anspruchsberechtigte lieber auf die Grundsicherung verzichteten. Weitere Gründe dafür seien falsche Befürchtungen, dass ihre Kinder zur Unterhaltspflicht herangezogen werden könnten oder dass sie umziehen oder ihr Auto verkaufen müssten. Dabei sei etwa der Besitz einer angemessenen Immobilie oder Eigentumswohnung für die eigene Nutzung sehr wohl erlaubt. Auch sei das Ausfüllen der Anträge noch zu kompliziert.
Ukrainische Rentner in Deutschland erhalten meist Grundsicherung
Ukrainische Rentnerinnen und Rentner erhalten Rentenzahlungen aus der deutschen Rentenversicherung nur dann, wenn sie ausreichend in die deutsche Rentenversicherung eingezahlt haben und dann nach fünf Jahren Wartezeit. Das werden laut VDK nur Menschen erfüllen, die schon lange in Deutschland gelebt haben.
Alle anderen bekommen demnach Grundsicherung oder Bürgergeld. Der Anteil der Ukrainerinnen und Ukrainer trägt damit auch zur allgemeinen Zunahme der Grundsicherungszahlen bei. Im Dezember 2022 waren insgesamt 73.060 ukrainische Personen Grundsicherungsempfänger, gut 50.000 mehr als im Jahr zuvor.
MDR AKTUELL (ans)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 06. Oktober 2023 | 13:09 Uhr