Die Ruinen der antiken hellenischen Stadt Myra. 4 min
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Gerechtigkeit Die ältesten Städte der Menschheit waren sozial meist ungleich – Archäologen rätseln: Warum?

22. April 2025, 14:26 Uhr

Der stetig wachsende Abstand zwischen Arm und Reich gilt als Bedrohung unserer gegenwärtigen Gesellschaft, warnen vor allem Sozialwissenschaftler und Nachhaltigkeitsforscher. Doch Archäologen zeigen jetzt in einer großen Analyse: Die beständigsten Städte der Welt zeigen Hinweise auf große soziale Unterschiede. Warum scheinen Ungleichheit und Stabilität miteinander verbunden zu sein?

Autorenfoto von Clemens Haug
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Der Mensch ist ein Gerechtigkeitstier. Nicht nur Kinder wollen am liebsten alles fair und gleichmäßig aufgeteilt haben. Auch Erwachsene finden große Unterschiede zumindest begründungsbedürftig – quer durch alle möglichen Kulturen und Gesellschaftsformen. Große soziale Ungleichheit gilt als Sprengstoff, an dem Gesellschaften zerbrechen können und aus Sicht der UN stellt sie ein zentrales Hindernis für Nachhaltigkeit dar. Archäologen beschäftigen sich deshalb aktuell sehr stark mit der Frage, wie das eigentlich früher war: Wie ungleich waren frühere Gesellschaften und wie lange hatten sie Bestand?

Zahlreiche Ausgrabungsstätten überall auf der Welt zeigen zunächst: Eine gewisse Ungleichheit ist fast allen größeren Siedlungen zu eigen. Denn die Größen der Häuser unterscheiden sich und oft auch deren Ausstattung: Viele schlichte Gebäude stehen wenigen großen und repräsentativen Bauten gegenüber. Und wo mehrere Städte in einem Netzwerk verbunden sind, gibt es größere Städte mit Prunk in der Mitte des Netzes und kleinere, schlichtere Siedlungen am Rand.

Aleppo und Damaskus: 6.000 Jahre alte Städte waren und sind sozial ungleich

Betrachtet man die unterschiedlichen Ausstattungen von Häusern als Ausdruck davon, dass deren frühere Bewohner offenbar unterschiedlich wohlhabend waren, dann stellt sich schnell die Frage, warum einige der ältesten Städte der Welt solche Unterschiede zugelassen haben? Wie können bis zu sechstausend Jahre alte Siedlungen wie Damaskus, Aleppo, Jerusalem oder Erbil so lange überdauern, wenn doch große Ungleichheit so oft als ungerecht empfunden wird?

Mehr noch: Nach der Auswertung von Daten aus hunderten Ausgrabungsstätten weltweit kommt ein Team internationaler Archäologen um Daniel Lawrence von der University of Durham in England zum Ergebnis, dass es einen zwar schwachen, aber signifikanten Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und Überlebensdauer von Siedlungen gibt. Ungleiche Gesellschaften scheinen länger zu bestehen.

Die Stadt Davids Ein Modell im Israel Museum Israel. Dieses Modell im Maßstab 50:1, das fast einen Hektar umfasst, erinnert an das antike Jerusalem auf seinem Höhepunkt.
Modell der Stadt Jerusalem zu ihrer antiken Blütezeit. Bildrechte: IMAGO/Depositphotos

Führt soziale Ungleichheit zu Stabilität? Forscher skeptisch

Für die Studie in der aktuellen Ausgabe der Proceedings of the National American Society of Sciences (PNAS) hatten Lawrence und Kollegen ein globales Datenset ausgewertet, das Informationen zu mehr als 1.000 Ausgrabungsstätten enthält, die über 10.000 Jahre Menschheitsgeschichte repräsentieren. Dabei zeigte sich: Je größer die Netzwerke waren, in die eine einzelne Siedlung eingebunden war, desto stärker der Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Stabilität.

Ist Ungleichheit also der Grund für Stabilität? "Wir glauben nicht, dass das der Fall ist. Ungleichheit führt nicht zu größerer Stabilität und auch umgekehrt hat ein längeres Bestehen auch nicht automatisch mehr Ungleichheit zum Ergebnis", sagt Lawrence. "Sondern: Ungleichheit und Beständigkeit treten zusammen auf, weil es ein drittes Phänomen gibt." Die Hypothese der Forscher: Komplexität entscheidet. "Es geht um die Fähigkeit, in einem großen Maßstab verschiedene Güter zu bewegen und die Gesellschaft auf größere und komplexere Weise zu organisieren."

Künstlerische Darstellung der Großsiedlung Maidanetske
Künstlerische Darstellung der Großsiedlung Maidanetske, einer frühen Großstadt auf dem Gebiet der heutigen Ukraine, in um 4.000 vor Christus wahrscheinlich bis zu 18.000 Menschen gelebt haben. Aus der Vogelperspektive dargestellt sind die Häuser der Siedlung in mehreren Ringen um einen großen, runden großen Platz in der Mitte angelegt. Die Siedlung wird außen durch einen Wall und einen Fluss begrenzt. Bildrechte: Susanne Beyer, Institut UFG, Uni Kiel

In der Mitte der Netzwerke gibt es mehr Zugriff auf Wohlstand

Herculaneum
Ruinen der römischen Siedlung Herculaneum. Bildrechte: IMAGO/Antonio Balasco

In komplexen, arbeitsteiligen Gesellschaften muss nur noch ein Teil der Menschen Lebensmittel produzieren. Andere können sich um die Gesundheit der Menschen kümmern, Verteidigung organisieren oder den Austausch lebenswichtiger Güter vorantreiben. Komplexe Netzwerke entstehen und diese Netze haben eine entscheidende Eigenschaft: Menschen sind unterschiedlich gut vernetzt. Das ist die Theorie hinter einer anderen aktuellen Studie, die Christopher Carleton, Patrick Roberts und Kollegen am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena mit archäologischen Daten unternommen haben.

Das Jenaer Team konzentrierte sich auf große Städte und besonders repräsentative Gebäude und Denkmäler darin. Solche Monumente gelten für die Forscher als Ausdruck des Wohlstands einer Elite. Wie gelingt es wenigen Menschen, mehr Reichtum anzuhäufen als der breiten Masse? "Wir glauben, dass die Elite einfach besser vernetzt ist, einen besseren Zugang zu den Ressourcen hat und sich deshalb effektiver versorgen kann. Der Zugang zum Wohlstand ist ungleich."

Friedliche oder gefährliche Nachbarschaft? Ungleichheit könnte von Umgebung abhängen

Warum war dieser ungleiche Reichtum einiger weniger für die Gesellschaften über lange Zeit akzeptabel? Dazu haben die beiden Forschungsteams unterschiedliche Ideen. Zum einen mache der insgesamt wachsende Wohlstand Gesellschaften attraktiv. "Siedlungen werden stabiler, weil es mehr Güter gibt, die zirkulieren", sagt Christopher Carleton. Solange alle profitieren, ist es demnach weniger tragisch, wenn Einzelne mehr Ressourcen bei sich anhäufen. Hinzu kommt: Ungleich ist nicht die Stadt als Ganzes. Sondern es gibt meistens gesellschaftliche Klassen, die in Wohnviertel zusammenleben. Und dort sei die Gleichheit meist sehr hoch.

Machu Picchu
Inka Zentrum Machu Pichu Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Ein anderer Faktor ist möglicherweise die Umgebung. "Wenn es viel fruchtbares Land im Umfeld der Stadt gibt und keine Feinde existieren, können die Menschen einfach gehen, wenn es ihnen nicht mehr gefällt und Herrscher müssen freundlicher zu ihnen sein", argumentiert Daniel Lawrence. Wenn dagegen eine unfreundliche Nachbarschaft das Ausweichen schwieriger mache, könnten Herrscher leichter steile Hierarchien durchsetzen und sich eine breitere Elite leisten. Doch deren Wachstum ist auch nicht unbegrenzt. Ab einem bestimmten Punkt wachsen Großstädte wie Rom zwar weiter, der zur Schau gestellte Prunk im Zentrum nimmt aber nicht weiter zu. "Wir glauben, es gibt eine Sättigung, wo die Elite einfach nicht mehr Verbindungen eingehen kann." In der Vergangenheit gab es also möglicherweise ein natürliches Limit, wie reich jemand werden konnte.

Soziale Gleichheit und Stabilität: Auch das haben Menschen bereits erreicht

Dass der Zusammenhang in den Daten zwischen Ungleichheit und Stabilität aber nur schwach ist, zeigt aus Sicht der Forscher noch etwas anderes: Es gibt auch Gegenbeispiele, die sich genau umgekehrt verhalten. "Das erlebt man in der Archäologie häufig, denn die Menschheit ist diese verrückte Spezies, die alles Mögliche auf jede erdenkliche Art unternimmt", sagt Lawrence und lacht. "In der Südtürkei etwa sehen wir einige unglaublich langlebige Siedlungen, wo sich der Grundriss der Gebäude überhaupt nicht ändert. Sie sind alle sehr gleich und sie werden über Tausende von Jahren bewohnt. Wir vermuten, dass es dort eine starke Kultur der sozialen Gleichheit gab, die das Aufkommen von Königen oder Reichen verhindert hat." Ungleichheit ist also keine Voraussetzung für Beständigkeit.

Christopher Carleton sieht in diesen Abweichungen einen wichtigen Denkanstoß: "Die wirklich wichtige Frage ist vielleicht nicht: Ist soziale Ungleichheit unvermeidbar. Sondern: Wie können wir Ungleichheit herauf- oder herunterregeln, um zu den Ergebnissen zu gelangen, die wir haben möchten?"

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Im Diskurs | 10. November 2024 | 13:00 Uhr

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