Neues Schuljahr Mit dem Fahrrad zur Schule: Wie sicher Kinder im Straßenverkehr sind
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04. August 2024, 05:00 Uhr
Ein neues Schuljahr steht an, viele Kinder und Jugendliche fahren mit dem Rad zur Schule. Laut einer Umfrage fühlen sich viele im Straßenverkehr nicht sicher. Wie effektiv ist die Verkehrserziehung in der Grundschule? Warum haben immer mehr Kinder motorische Defizite? MDR AKTUELL hat bei der Deutschen Verkehrswacht nachgefragt.
Inhalt des Artikels:
- Kinder verunglücken besonders häufig auf dem Schulweg
- Jedes fünfte Kind fühlt sich nicht sicher auf dem Schulweg
- Regelungen für Kinder beim Radfahren auf dem Gehweg, Radweg und der Straße
- Mit etwa 10 Jahren sind Kinder körperlich für den Straßenverkehr bereit
- Trend: Weniger Kinder können sicher Rad fahren
- Verkehrswacht appelliert an die Eltern, Kitas und Schulen
Etwa jedes vierte Kind in Deutschland nutzt für den Schulweg das Fahrrad. Bei den Grundschülern sind es anteilig weniger, bei den 12- bis 14-Jährigen ist es sogar jedes dritte Kind. Am häufigsten fahren Kinder laut Daten von Statista in Städten von 20.000 bis 100.000 Einwohnern mit dem Rad zur Schule und wieder heim.
Im Fahrradmonitor für das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) von 2023 gaben Eltern an, dass knapp die Hälfte der Kinder bis 15 Jahre mehrmals in der Woche Rad fahren. Dabei steigt der Anteil der Kinder, die ohne Begleitung der Eltern Fahrrad fahren, mit dem Alter: Acht Prozent der Eltern lassen ihre Kinder bereits im Alter bis fünf Jahre allein fahren, bei den bis Zehnjährigen sind es knapp die Hälfte, ab elf Jahren dann fast alle.
Kinder verunglücken besonders häufig auf dem Schulweg
Die meisten Kinder, die 2022 im Straßenverkehr verunglückten, waren mit dem Fahrrad unterwegs (36 Prozent), etwa ein Drittel saß in einem Auto, jeder fünfte Unfall passierte zu Fuß. Mit dem Alter steigt die Selbsttändigkeit – entsprechend wächst der Anteil der Radfahrenden. Bei den 6- bis 14-Jährigen waren laut Bundestatistik 42 Prozent der Unfallopfer mit dem Fahrrad unterwegs. Besonders gefährdet sind Jungen im Alter von 10 bis 14 Jahren, eine wichtige Rolle spielen dabei das alterstypische Risikoverhalten und der Verzicht auf einen Helmschutz.
Unfallstatistik für minderjährige Fahrradfahrer
2023 wurde in Deutschland laut Statistischem Bundesamt etwa alle 20 Minuten ein Kind unter 15 Jahren im Straßenverkehr verletzt, einige wenige kamen ums Leben. Bundesweit verunglückten demnach 27.235 Kinder bei Verkehrsunfällen, die meisten davon mit dem Fahrrad. Es gab deutlich mehr Unfälle als in den pandemiebedingt verkehrsberuhigten Vorjahren, aber weniger als vor der Pandemie.
Die meisten Radfahrunfälle von Kindern passieren demnach morgens zwischen 7 und 8 Uhr sowie nachmittags zwischen 15 und 18 Uhr – besonders oft also auf dem Schulweg und im Berufsverkehr. Die häufigste Unfallursache in der Gruppe der 6- bis 14-Jährigen war eine falsche Straßenbenutzung (18,3 Prozent), vor allem der falschen Fahrbahnseite. Die Zahl der getöteten minderjährigen Fahrradfahrer sank von sechs auf vier. Hier verfestigte sich ein rückläufiger Trend in den letzten Jahren.
Jedes fünfte Kind fühlt sich nicht sicher auf dem Schulweg
Zum Start des neuen Schuljahres sorgt nun eine repräsentative Befragung von Kindern zur Schulwegsicherheit für Schlagzeilen.
Bundesweit fühlt sich fast ein Fünftel der 10- bis 17-Jährigen (18 Prozent) auf dem Schulweg unsicher. In Orten mit über 100.000 Einwohnern steigt diese Zahl auf ein Viertel der Kinder (24 Prozent). Allerdings bezieht sich das sowohl auf Fußgänger wie auf Radfahrende.
Das Deutsche Kinderhilfswerk, der Verband Bildung und Erziehung (VBE) und der ökologische Verkehrsclub VCD rufen daher die Politik auf, Schulwege sicherer zu gestalten. Bereits im Vorjahr hatte die Befragung ähnliche Ergebnisse geliefert.
Regelungen für Kinder beim Radfahren auf dem Gehweg, Radweg und der Straße
Kinder bis acht Jahre müssen laut StVO § 2 auf dem Gehweg oder auf von der Fahrbahn baulich getrennten Radwegen fahren. Auf die Fahrbahn gemalte Radfahr- oder Schutzstreifen dürfen sie nicht nutzen. Ein Elternteil oder eine andere Aufsichtsperson ab 16 Jahren darf das Rad fahrende Kind auf dem Gehweg begleiten. Das gilt jedoch nicht mit Kindern im Kindersitz oder Lastenrad.
Kinder zwischen acht bis zehn Jahren dürfen den Gehweg benutzen sowie Radwege und Fahrbahn. Wenig bekannt ist die Regel: Beim Fahren auf Gehwegen müssen Kinder und ihre erwachsene Begleitung zum Überqueren von Straßen absteigen und das Fahrrad schieben.
Ab zehn Jahren müssen Kinder Radwege oder Fahrbahn nutzen.
Mit etwa 10 Jahren sind Kinder körperlich für den Straßenverkehr bereit
Die Verkehrswacht und der ADAC empfehlen, Kinder erst nach der Fahrradprüfung in der Grundschule alleine mit dem Rad am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen, meist in Klasse vier. Erst ab dem zehnten Lebensjahr sei die große Mehrzahl der Kinder geistig und körperlich in der Lage, die komplexen Abläufe im Straßenverkehr wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren.
Doch daneben sollten Eltern unbedingt mit ihren Kindern das Radfahren im Straßenverkehr üben. Entscheidend für die Verkehrssicherheit sind demnach die individuellen Fähigkeiten und nicht etwa die bestandene Prüfung.
Dazu kommen noch die regionalen Unterschiede zur Verkehrssicherheit auf dem Land und in Städten oder unterschiedlich gut ausgebaute Radwegenetze.
Trend: Weniger Kinder können sicher Rad fahren
Josef Weiß vom Verlag Verkehrswacht in Berlin sagte MDR AKTUELL, seit Jahren passiere etwa die Hälfte der Unfälle mit Kindern und Jugendlichen im Straßenverkehr beim Fahrradfahren. Doch jetzt komme ein neuer negativer Trend dazu.
Immer weniger Kinder beherrschten ihr Rad, hielten sicher das Gleichgewicht oder könnten einhändig fahren. Dazu gebe es entsprechende Rückmeldungen von der Polizei und den Schulen. Oft hätten Kinder auch gar kein eigenes Rad mehr und müssten dann beim Verkehrsunterricht in der Schule Radfahren lernen.
Die Gründe für die Motorikdefizite sind vielfältig. Weiß nennt ein stark verändertes Freizeitverhalten. Kinder und Jugendliche bewegten sich weniger, trieben seltener Sport und beschäftigten sich stattdessen mit digitalen Medien.
Auch die Corona-Pandemie mit Schließung von Kitas und Schulen zeige Nachwirkungen. Das habe den Bewegungsmangel verschärft. Auch sei in vielen Familien Radfahren heute nicht mehr selbstverständlich. Viele Eltern brächten ihre Kinder mit dem Auto in die Schule, so könnten die Kinder keine Erfahrungen sammeln.
Die Polizei Sachsen bestätigte MDR AKTUELL den Negativtrend aus ihren Erfahrungen bei den Radführerscheinprüfungen an den Grundschulen.
Immer öfter beherrschten Kinder das Fahrradfahren im Grundschulalter nicht sicher, fehle Koordinationsvermögen oder Aufmerksamkeit. Oft seien an den Schulen auch die Klassenstärken zu groß und steige die Anzahl an Kindern mit besonderem Förderungs-/Schulungsbedarf.
Wie gut funktionieren Verkehrserziehung und Radfahrtraining an Grundschulen?
Damit Kinder sicher am Straßenverkehr teilnehmen können, müssen sie die richtigen Verhaltensweisen und Verkehrsregeln kennen. Dabei soll in der Grundschule die Verkehrserziehung als fächer- und jahrgangsübergreifendes Element im Lehrplan helfen.
Höhepunkt ist für viele Schüler die Fahrradprüfung in der 3. oder meist 4. Klasse. Im Theorieunterricht von etwa fünf bis zehn Doppelstunden werden Grundlagen wie die "Rechts-vor links"-Regel", Spurwechsel oder wichtige Verkehrszeichen vermittelt.
Radfahren und die Umsetzung der Regeln trainieren die Kinder geschützt auf dem Schulhof oder in stationären oder mobilen Jugendverkehrsschulen. Je nach Bundesland gilt die Theorie-Prüfung nach unterschiedlichen Punktzahlen als bestanden. Wer besteht, kann an der praktischen Prüfung teilnehmen, die meist aus einer Einzelprüfung und Prüfung im Klassenverband besteht und von einer Polizeibeamtin oder einem Polizisten bewertet wird.
In den letzten Jahren gab es immer wieder Meldungen zu hohen Quoten nicht bestandener Prüfungen. So lag laut der Bildungsbehörde Bremen die Durchfallquote in den vergangenen Jahren in manchen Schulen bei rund 40 Prozent, in Cottbus waren es 2020 mehr als die Hälfte.
Nicht bestandene Prüfungen können nachgeholt werden. Doch das Nichtbestehen der Fahrradprüfung hat keine praktischen oder juristischen Konsequenzen; es handelt sich um eine pädagogische Maßnahme.
Verkehrswacht appelliert an die Eltern, Kitas und Schulen
Die Verkehrserziehung in der 3. und 4. Klasse an den Schulen hat sich aus Sicht von Josef Weiß von der Verkehrwacht bewährt. Zugleich betont er, motorische Fähigkeiten entwickelten sich bei den Kindern schon in früheren Jahren. Da seien vor allem die Eltern gefragt. Sie müssten ihren Kindern frühzeitig Bewegungsangebote machen und Vorbilder sein.
Für die Jüngeren bieten sich demnach Laufräder an, auf denen schon Kinder ihr Gleichgewicht schulen können. Viel Bewegung und zeitiger Sport stärkten die koordinativen Fähigkeiten. Es gebe auch viele geschützte Räume, in denen Kinder Roller oder Rad fahren könnten, etwa in Parks. Die Eltern sollten ihre Kinder auf Fahrradtouren mitnehmen, dabei wachse das Verständnis für Verkehrssituationen.
Auch die Erzieher in Kitas und Lehrkräfte in den Schulen können demnach viel leisten, um die Kinder in ihren Fähigkeiten zu stärken. So biete die Verkehrswacht an Schulen auch in fünften und sechsten Klassen Radfahrkurse an.
Die Radinfrastruktur in Deutschland hat sich Weiß zufolge in den letzten Jahren gut entwickelt, es brauche aber noch mehr von der Straße getrennte Radwege und Radstraßen. Auch Dauerbaustellen in Städten und von Autos zugeparkte Radwege blieben ein Problem.
Positiv entwickelt sich die Helm-Quote bei Fahrradfahrern. Laut ADAC lag sie 2023 altersübergreifend bei fast 45 Prozent. Am höchsten ist sie bei den Jüngsten, nämlich bei Kindern von sechs bis zehn Jahren mit rund 83 Prozent.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 05. August 2024 | 19:30 Uhr