Eckart von Hirschhausen 2 min
Eckart von Hirschhausen führt mit einer EEG-Haube ein Gedanken-Experiment im Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg durch. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Interview Eckart von Hirschhausen über die Medizin der Zukunft: "Computer haben kein Mitgefühl, keine Sensibilität"

06. April 2024, 05:00 Uhr

Diagnosen, Therapien, Forschung: KI ist in der Medizin unerlässlich geworden. Doch das medizinische Personal kann sie nicht ersetzen. "Computer haben kein Mitgefühl", betont Eckart von Hirschhausen, der selber Arzt ist. Wir haben mit ihm zum Start der Charité-Begleitdoku "Hirschhausen - Medizin von morgen" mit ihm darüber gesprochen.

Info zur Doku: Hirschhausen - Medizin von morgen Hightech, Roboter und teure Pillen - Müssen wir uns die Medizin von morgen wie eine Science-Fiction-Serie vorstellen? Wie viel Wahres steckt in der vierten Staffel Charité? Die Charité-Begleitdoku "Hirschhausen - Medizin von morgen" geht diesen Fragen auf den Grund.

Alle reden gerade über Künstliche Intelligenz – kurz KI. Sie haben in der Doku mit einem "KI-Arzt" gesprochen und ihm Symptome geschildert, wie war das?

Ja, das war wirklich seltsam. Wir haben in Marburg am Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin gedreht und von dem deutschen "Dr. House" Prof. Jürgen Schäfer hatte ich eine seltene Symptomkombination zum Testen der KI bekommen. Der Avatar brauchte keine Sekunde für die richtige Diagnose – ein echter Patient läuft damit jahrelang durch die Arztpraxen, weil gerade für seltene Erkrankungen kein Arzt so viele Kombinationen im Kopf haben kann.

Wie fühlte sich das an, mit dieser Arztsimulation zu sprechen?

Als der Avatar sagte "Es tut mir leid, dass Sie diese Beschwerden haben…", merkte ich, wie ich sauer wurde, weil die Maschine mir Gefühle vortäuschte, die sie gar nicht hat. Und auch das machen wir in unserer Doku und dem begleitenden Podcast "Hirschhausen und Adick – Die Medizin von morgen" zum Thema: Wir wissen noch sehr wenig darüber, wie die menschliche Ansprache und Gefühlswelt und die Künstliche Intelligenz aufeinander reagieren.

Wir reagieren immer noch so, wie wir das aus dem Mensch-zu-Mensch Kontakt kennen, aber das ist nicht immer hilfreich. Dabei verlieren wir aus dem Auge, dass wir ja einer Maschine gegenüber stehen. Mit ihren Stärken, aber auch Schwächen. "KI" ist ja nur so schlau, wie das Material, was man ihr zum Lernen gegeben hat. Wenn in dem "Futter" systematische Verzerrungen sind, kann das Ergebnis auch nur verzerrt sein. Und KI erfindet manchmal auch Ergebnisse, wenn sie keine Ahnung hat. Sogesehen ist die "KI" uns Menschen wieder sehr ähnlich (lacht).

Illustration - KI - Mensch und Maschine im Dialog 112 min
Bildrechte: Colourbox.de

Wie weit sind Systeme dieser Art schon und was werden sie in Zukunft leisten können?

Bei einer seltenen Erkrankung, wie in dem Testbeispiel in Marburg, bei einer seltsam unregelmäßigen Hautveränderung und dem Verdacht auf schwarzen Hautkrebs, bei Routine-Röntgenbildern oder sogar in der Früherkennung einer Blutvergiftung aus den Labordaten ist die KI heute schon sehr gut, sogar präziser als ein Mensch. Kein Wunder, denn Computer werden nicht müde, lernen ständig dazu, haben ein praktisch unendliches Gedächtnis um ältere Daten mit den aktuellen zu vergleichen und lassen sich nicht so leicht ablenken wie Menschen.

Worauf ich in Zukunft auf gar keinen Fall verzichten will, ist aber eine humane Humanmedizin. Computer haben kein Mitgefühl, keine Sensibilität im Umgang mit schwierigen Diagnosen und Lebensentscheidungen und keinen Humor. Dafür brauchen wir heute und erst recht in Zukunft engagierte Menschen in der Medizin, in der Pflege und in allen sozialen Berufen. Es fehlen bereits in den nächsten zehn Jahren bei jeder dritten Stelle im Gesundheitswesen die Fachkräfte. Das ist das Kernproblem – und dafür brauchen wir Wertschätzung, anständige Bezahlung, Vereinbarkeit mit Familie und Aufstiegschancen – also all das, was einen Computer nicht interessiert – aber Menschen!

Die Gen-Schere ist zurzeit ein anderes großes Thema, das auch in der Doku ein Thema ist. Die EU hat kürzlich die erste Therapie mit der Gen-Schere CRISPR/Cas zugelassen. Einsatzfeld ist die Heilung von zwei Bluterkrankungen. Wie schätzen Sie das ein: Ist die Genschere ein "Gamechanger" in der Medizin?

Der Anlass für unsere Doku ist ja die neue Staffel der sehr erfolgreichen ARD Serie "Charité". Diesmal springt sie nicht in die Historie sondern in die Zukunft, konkret ins Jahr 2049. Und sowohl in neuen Staffel in der Fiktion als auch in meiner Reportage wird klar: Die Medizin von morgen muss man sich erstmal leisten können. Die gentherapeutischen Verfahren kosten aktuell zwischen einer und drei Millionen Euro pro Patient. Welche Solidargemeinschaft hält das aus?

Deshalb sollte bei aller Euphorie über die neuen Errungenschaften genauso viel Fokus auf dem Verhindern von Krankheiten liegen. Und ganz ehrlich – bei der Prävention sind wir miserabel. Das ist auch das Thema bei meiner zweiten Doku "Hirschhausen und die Abnehmspritze". Ja, die Spritze kann funktionieren, aber auch nur solange man das Medikament immer weiter nimmt. Das kostet aktuell 300 Euro im Monat und die meisten Übergewichtigen müssen das selber zahlen, die wenigsten können sich das leisten. Für jeden einzelnen und für uns als Gesellschaft wäre es viel schlauer, dafür zu sorgen, dass Menschen von klein auf sich gesund ernähren können und erst gar nicht dick werden. Aber an gesunden Menschen verdient keiner was.

Sie treffen auch eine Medizinstudentin mit einer seltenen Form von Muskelschwäche, die bislang unheilbar ist. Wie konkret ist die Forschung, kann sie sich Hoffnung machen, wieder zu laufen?

Wir wollten keine abstrakte Science Fiction machen, sondern so nahbar wie möglich zeigen, was die Medizin heute kann, was sie vor 25 Jahren nicht konnte – und was sie womöglich in 25 Jahren kann, was heute noch undenkbar erscheint. Das war unserem Team wichtig. An dieser Stelle auch ein großer Dank an die Redaktion, an den Regisseur Jan Tenhaven und alle Beteiligten – so eine Doku ist ein Gemeinschaftswerk. Dass ich mit der Medizinstudentin Clara drehen konnte und sie bei ihrer Arbeit am Patienten erleben durfte, hat mich sehr berührt. Wir waren auch bei ihrer behandelnden Ärztin in Berlin-Buch, die mit der Gen-Schere an genau ihrem Problem des Muskelschwundes arbeitet.

Die Hoffnung ist da, in wenigen Jahren auch beim Menschen die Genschere einzusetzen. Aber wie das Immunsystem darauf reagiert, ist eine der Unsicherheiten. Die Medizin von morgen wird aber geprägt sein von viel besseren Labormethoden, effizienterer Forschung durch KI und das Zusammenfassen des weltweit vorhandenen Wissens, aber auch vom Mut und der Begeisterungsfähigkeit von Einzelnen, die etwas ausprobieren, sich trauen, die scheitern dürfen und wieder aufstehen. Und deshalb bin ich sicher, dass Clara in ihrem Leben von diesen Fortschritten profitieren wird – und selbst dazu beiträgt.

Polymer-basiertes künstliches neuronales Netz. Das stark nichtlineare Verhalten dieser Netze ermöglicht ihren Einsatz im Reservoir-Computing. 3 min
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Die TU Dresden entwickelt einen winzigen Chip, der am Herzen eingesetzt eine Warnung mehrere Stunden vor dem Auftreten eines Herzinfarktes abgeben kann.

MDR KULTUR - Das Radio Mo 23.08.2021 17:52Uhr 02:59 min

https://www.mdr.de/wissen/kuenstliche-intelligenz-herzinfarkt-warnung-chip100.html

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Ein anderer Betroffener ist ein Arzt, der an ALS erkrankt ist, und dem über die Jahre die Kommunikation mit der Außenwelt durch seine Nervenerkrankung Schritt für Schritt verloren ging. Inzwischen funktioniert noch nicht mal mehr die Augenbewegung zuverlässig: Er ist mit seinem wachen Geist eingeschlossen in einem reaktionslosen Körper – ein "locked in"- Patient. Wie kann die Medizin von morgen die Signale aus dem Gehirn lesen lernen?

Das ist superspannend. Jürgen kenne ich schon sehr lange. Daher habe ich seinen Kampf um die Kommunikation mit der Welt auch direkt miterlebt. Momentan ist es seine Frau, die gelernte Krankenschwester ist, die ihn am besten versteht und "lesen" kann. Es war rührend, mit beiden zu sprechen, wie sehr sie sich wünscht, dass er wieder etwas sagen kann – "Ich liebe dich" zum Beispiel! Dafür bräuchte es einen direkten Draht aus seinem Gehirn, im wahrsten Sinne. Genau daran wird geforscht, mit implantierten Elektroden die Hirnströme, die zum Beispiel die Stimmlippen ansteuern, an einen Computer zu leiten, damit der daraus wieder Sprache generiert. Dazu laufen weltweit die ersten Versuche und ich wünsche es Jürgen sehr, dass er der erste in Deutschland wird, bei dem es funktioniert. Er war immer schon Pionier.

Ein Magnetresonanztomograf, auf der Liege liegen Spielzeuge und Kuscheltiere für Kinder 1 min
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Charlotte Grosse Wiesmann und ihr Team am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig wollen verstehen, wie sich Sprachentwicklung und Hirnstruktur zusammenhängen.

MDR FERNSEHEN Fr 16.02.2024 12:16Uhr 00:29 min

https://www.mdr.de/wissen/audios/sprachentwicklung-hirnstruktur-100.html

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Mit den Computerstimmen und KI wächst auch das Risiko für Fakes. Wie sehr wird die Medizin von morgen sich auch mit dem Thema Desinformation beschäftigen müssen?

Da sprechen Sie einen wunden Punkt an. Ich bekomme täglich Mails von Menschen, die auf gefälschte Werbung mit meinem Gesicht hereingefallen sind. Die Betrüger verkaufen im Internet mit bearbeiteten Fotos von mir und anderen Prominenten dubiose Mittel gegen Arterienverkalkung. Es ist ganz schwer, diesen Bullshit aus dem Internet zu löschen. Umso wichtiger wird es sein, dass wir noch viel genauer darüber aufklären, woran man vertrauenswürdige Seiten und Absender wie die öffentlich rechtlichen Quellen im Netz erkennt – und wann die Alarmglocken läuten. Durch den Einsatz von Bewegtbildern und nachgeahmte Stimmen wird das Ganze noch täuschender. Fun Fact am Rande: Wir haben im November gedreht, und weil Wissenschaft ja nie pausiert, mussten wir einen Satz in meinem Sprechertext aktualisieren. Das haben wir mit einer KI-Stimme von mir gemacht. Und ich wette, sie hätten das nie bemerkt – eigentlich gespenstisch, oder?

Es wird viel über technische Fortschritte gesprochen, aber Sie weisen in der Doku dankenswerterweise auch auf den menschlichen Faktor in der Medizin hin. Wie wird es um diesen in Zukunft bestellt sein?

Ein Mann in einem Wassertank
Unsterblich im Eis? Eckart von Hirschhausen nach dem nicht ernstgemeinten Selbstversuch. Wer unsterblich werden will, sollte sich auf keinen Fall einfrieren lassen. Bildrechte: Hoferichter & Jacobs/Florian Reimann

Das größte Gesundheitsproblem ist die Klimakrise, denn sie bedeutet eine enorme Belastung für alle Menschen, die schon heute eine Vorerkrankung haben. Alle, die mit Herz-Kreislauf, mit den Nieren oder Übergewicht, Hochdruck und Zucker zu tun haben, sind bei Hitze maximal gefährdet. Für die Doku sind wir nach Paris gefahren, um zu zeigen, wie sich moderne Städte mit Grünanlagen, Gestaltung der Balkone und Fassaden, anderen Baumaterialien wie Holz und Lehm und vor allem auch viel mehr Bäumen und Grün statt Asphaltflächen in den Innenstädten auf die Hitzephasen vorbereiten.

Frankreich ist uns da 20 Jahre voraus. Wir hatten 100.000 Hitzetote im letzten Sommer. Und da hilft keine KI und keine Gentechnik – bei dauerhaft mehr als 42 Grad Körperkerntemperatur sterben alle Menschen. Daran kann man sich nicht "anpassen", das ist ein Naturgesetz. Deshalb ist das auch Teil unseres Films. Wir müssen endlich begreifen, dass die persönliche mit der planetaren Gesundheit ganz eng verknüpft ist. Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde.

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MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Die Charité: Hirschhausen - Medizin von morgen | 09. April 2024 | 21:45 Uhr

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