Faktencheck Fünf reichste Familien besitzen mehr als die ärmere Hälfte der Bevölkerung
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09. Juni 2023, 17:39 Uhr
Im Gespräch mit MDR AKTUELL hat Linke-Parteichef Martin Schirdewan erklärt, die reichsten fünf Familien in Deutschland würden mehr Vermögen besitzen als die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Der Faktencheck ergibt, dass Schirdewan Recht hat. Experten sehen die Ursachen für die ungleiche Vermögensverteilung im Steuersystem, im Niedriglohnsektor und auch in der hohen Mietquote in der Bundesrepublik.
- Die fünf reichsten Deutschen machen 1,2 Prozent des Nettogesamtvermögens aller Deutschen aus.
- DIW-Ökonom Marcel Fratzscher sieht die Gründe für das ungleich verteilte Vermögen im Niedriglohnsektor und im Steuersystem.
- Es müsse politisch etwas geschehen, damit der soziale Frieden sichergestellt bleibe, betonen Experten.
Vermögen sind in Deutschland sehr ungleich verteilt. Das liege auch und vor allem an der Besteuerung, erklärt der Ökonom Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin: "Kaum ein westliches Industrieland besteuert Vermögen so gering wie Deutschland. Frankreich, Großbritannien und die USA nehmen das Drei- bis Vierfache der Wirtschaftsleistung an vermögensbezogenen Steuern ein."
Von den fünf reichsten Familien bzw. Privatpersonen in Deutschland haben Sie sicher schon gehört. In diesem Jahr kommt Lidl-Gründer Dieter Schwarz auf Platz eins im Ranking des Forbes-Magazins. Mit einem geschätzten Vermögen von 42,9 Milliarden US-Dollar – umgerechnet rund 40,8 Milliarden Euro – ist er der reichste Deutsche.
Hinter ihm rangieren der Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne und der baden-württembergische Werkzeugspezialist Reinhold Würth mit Familie. Die Plätze vier und fünf teilen sich die Geschwister und BMW-Erben Susanne Klatten und Stefan Quandt.
Fünf reichste Deutsche mehr Vermögen als ärmere Hälfte der Bevölkerung
Sie alle zusammen kommen auf ein Vermögen von umgerechnet knapp 153 Milliarden Euro. Eine schwindelerregende Zahl. Dieses Vermögen macht knapp 1,2 Prozent am Nettogesamtvermögen der Deutschen aus. Das lag nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2018 bei 13 Billionen Euro. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung kommt offiziellen Zahlen zufolge nur auf 0,5 Prozent des Nettogesamtvermögens.
Und damit stimmt die Rechnung, die Schirdewan aufgemacht hat. Die reichsten fünf Familien haben sogar noch mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Und das sei nur das Ende der Fahnenstange, erklärt DIW-Präsident Marcel Fratzscher: "Ein Prozent der Deutschen mit den größten Vermögen haben ungefähr 35 Prozent – also mehr als ein Drittel – des privaten Nettovermögens. Demgegenüber stehen 40 Prozent der Deutschen, die überhaupt keine Ersparnisse haben und kein Vermögen aufgebaut haben."
Fratzscher: Gründe im Niedriglohnsektor und Steuersystem
Gründe dafür sieht Fratzscher unter anderem im Niedriglohnsektor und in einem Steuersystem, das Arbeit viel höher belaste als Vermögen.
Die Soziologin Dorothee Spannagel forscht bei der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung zu Reichtum und Verteilungspolitik. Sie ergänzt weitere Ursachen. Zum Beispiel würden die Menschen hierzulande weniger Immobilien besitzen als anderswo. "In vielen europäischen Ländern ist Immobilienbesitz weitaus verbreiteter als in Deutschland." In Deutschland sei die Mietquote relativ hoch. "Und der zweite Punkt, der ist in Sachen Ungleichheit vielleicht noch wichtiger, ist die Frage der Erbschaftssteuer."
Über die Hälfte der Vermögen vererbt oder verschenkt
Tatsächlich wird nach Angaben des DIW mehr als die Hälfte der Vermögen in Deutschland vererbt oder verschenkt. Und das meist ohne Besteuerung. Hier müsse dringend eine Reform her, sagt Marcel Fratzscher. "Jedes Jahr werden 400 Milliarden Euro vererbt. Nur zehn Milliarden Euro nimmt der Staat an Steuern darüber ein. Der Ansatz wäre hier, dass alle, egal ob sie 100 Millionen Euro oder eine Million Euro erben, den gleichen Steuersatz zahlen." Das sei im Moment nicht der Fall und "diese Lücke sollte geschlossen werden", so Fratzscher.
Passiert politisch nicht bald etwas, um der Ungleichheit bei den Vermögen in Deutschland entgegenzuwirken, da sind sich alle befragten Forschenden einig, ist der soziale Frieden in Gefahr. Inzwischen fordert sogar eine Gruppe Hochvermögender aus Deutschland und Österreich unter dem Motto "tax me now" – also besteuer mich jetzt – den Staat auf, ihre Vermögen zu besteuern. Politisch gibt es aber bislang keine Pläne zur Einführung einer Vermögenssteuer oder für eine Erbschaftssteuerreform.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 09. Juni 2023 | 06:00 Uhr
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