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Wo sollen Windkraftanlagen stehen, wo Solarfelder? Forschende erproben derzeit die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an solchen Fragen durch ein Computerspiel. Das soll die Akzeptanz der Projekte steigern. Bildrechte: MDR

Gamification Spielerisch die Energiewende planen

08. Juni 2024, 05:00 Uhr

Hier ein Windrad, da ein Solarpark – und die Kasse klingelt mit jedem neuen Projekt. Wie in einem Computerspiel könnten Bürgerinnen und Bürger künftig selbst Vorschläge zum Ausbau erneuerbarer Energien machen. Diese Woche haben Forschende der MLU Halle-Wittenberg und der TU München das Tool erstmals getestet. In Zukunft soll es helfen, Menschen vor Ort früher in die Planung einzubeziehen – und damit auch die Akzeptanz für die Energiewende zu stärken.

MDR AKTUELL Mitarbeiterin Rebecca Nordin Mencke
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

"Wahrscheinlich müssen wir den Flugplatz abschaffen", scherzt eine Teilnehmerin, als ein Kollege versucht, Flugwindkraftwerke in der Nähe von Renneritz aufzustellen – und prompt von seinem Team in die Schranken gewiesen wird. Gesetzliche Vorgaben gelten auch hier: Etwa 1.000 Meter Mindestabstand zu Siedlungen, Uferabstände bei Floating PV, Naturschutzgebiete müssen frei bleiben – und natürlich gehört neben einen Flugplatz keine hoch aufragende Windkraft.

Strom gewinnen und damit die Gemeindekasse aufbessern

Wie in einem Computerspiel verteilen die Workshop-Teilnehmer erneuerbare Energien auf dem digitalen Spielbrett: einer Karte, die von Gräfenhainichen im Osten über Bitterfeld-Wolfen bis Ostrau reicht. Acht "Spielsteine" stehen ihnen dabei zur Verfügung: verschiedene Technologien vom konventionellen Windrad bis zu schwimmenden Solaranlagen – sogenannter Floating PV.

Stellen die Spielenden entlang von Autobahnen Photovoltaik auf, sehen sie gleich, wie viel Strom dadurch gewonnen wird. In einer Straßenansicht können sie testen, von wo aus ein geplantes Windrad sichtbar ist; in Zukunft soll das Tool auch ausrechnen, welche Einnahmen erneuerbare Energien in die Gemeindekasse spülen und wie viel CO2-Emissionen eingespart werden.

Noch steht das digitale Planungsinstrument ganz am Anfang. In Bitterfeld haben Forschende der MLU Halle-Wittenberg und der TU München es diese Woche zum ersten Mal getestet. Kommunalpolitiker, Regionalplaner, Vertreter der Energieavantgarde Sachsen-Anhalt und der Mitteldeutschen Sanierungs- und Entwicklungsgesellschaft sind dabei. Menschen, die seit Jahren beruflich mit dem Ausbau erneuerbarer Energien zu tun haben und mit den Fallstricken bestens vertraut sind.

Räumliche Stimmungsbilder generieren

In Zukunft sollen damit Bürgerinnen und Bürger frühzeitig Planungsprozesse mitgestalten. Die Spielenden könnten dann nicht nur anzeigen, wo sie selbst die passendsten Flächen für erneuerbare Energien in ihrer Region sehen. Sie könnten auch die Entwürfe der anderen bewerten, erklärt Katharina Dropmann, die das Projekt als Landschaftsarchitektin von der TU München begleitet. Für die politischen Entscheidungsträger würden so räumliche Stimmungsbilder entstehen. Ziel sei, einen Entwurf zu generieren, "der auf größtmögliche Akzeptanz in der Bevölkerung stößt und der dann Anreize für reale Planungsverfahren geben kann."

Es geht darum, einen Entwurf zu haben, der auf größtmögliche Akzeptanz in der Bevölkerung stößt und der dann Anreize für reale Planungsverfahren geben kann.

Katharina Dropmann Landschaftsarchitektin an der TU München

Wo könnten sich die meisten Menschen einer Region weitere Windräder vorstellen? Wie groß könnten Floating PV-Flächen auf künstlichen Seen sein? Sollten die erneuerbaren Energien eher zentral gebündelt aufgestellt werden oder doch zerstückelt über die Region verteilt werden? Noch bevor ein Bürgerentscheid bereits fertige Pläne wieder einreißt, soll der spielerische Ansatz frühzeitig auch das Verständnis und die Akzeptanz für erneuerbare Energien stärken – und die Selbstwirksamkeit der Menschen vor Ort erhöhen. "Die Hoffnung ist, dass wir dadurch eine Energiewende hinbekommen, die von vielen Menschen mitgetragen wird", erklärt Umweltpsychologin Gundula Hübner von der Uni Halle-Wittenberg.

Nutzen von erneuerbaren Energien nachvollziehbarer machen

Beim ersten Testlauf in Bitterfeld tauchen noch viele Fragen auf. Gilt eine Kleingartenanlage schon als Siedlungsstruktur? Könnten die Visualisierungen auch für Desinformationskampagnen instrumentalisiert werden? Thorsten Breitschuh zeigt sich noch unschlüssig, welchen Erfolg er dem Tool zutraut. Er selbst sei aus dem Computerspiel-Alter raus, sagt der Referent für erneuerbare Energien im Landesbauernverband.

In der Stadt Südliches Anhalt ist er auch im Stadtrat aktiv und Ortsbürgermeister der Gemeinde Werdershausen – "noch", betont er. Denn ob er den Posten bei der Kommunalwahl am Sonntag wieder erhält, ist unklar. Eine Unterschriftenaktion richtete sich zuletzt mit hoher Beteiligung gegen mehr Windkraft in der Region. Die Widerstände könne er mitunter gut nachvollziehen, sagt Breitschuh und verweist auf Netzentgelte, die ausgerechnet den Menschen mit Windrädern vor der eigenen Haustür höhere Stromtarife bescherten. "Wir haben versucht, das umzukehren, dass wir sagen: Aus diesen Mehreinnahmen, die die Windparks in den letzten Jahren hatten, wird ein Bürgerstromtarif finanziert, der lukrativ ist."

Für Akzeptanz müssen die Menschen vor allem den konkreten Nutzen vor Ort nachvollziehen können, ist auch Bürgermeister Matthias Egert aus Zörbig überzeugt. Der Stadt mit viel landwirtschaftlicher Fläche zwischen den einzelnen Ortschaften steht ein starker Ausbau an Windkraft bevor. Neun Prozent des Gebiets könnten bis zum Jahr 2032 für Windkraft ausgewiesen werden – der höchste Anteil in der Planungsregion Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg, die im Schnitt auf 2,3 Prozent kommen soll. Deutschlandweites Ziel sind zwei Prozent.

Windkraft-Flächen und Projektpartner selbst aussuchen

Egert geht das Thema zielstrebig an. Beim Ausbau der Windkraft will er aber auch die "riesige Menge an Möglichkeiten politisch eindämmen – damit es für unsere Bürger nicht zu viel wird". Denn wenn die Stadt nicht selbst Windgebiete festlegt, droht Wildwuchs. So solle sich die Stadt beim Ausbau der Windkraft die Partner selbst aussuchen, die Konditionen gestalten und vor allem den Nutzen vor Ort halten, ist der Bürgermeister überzeugt. Nicht die Fehler von vor 20 Jahren wiederholen: Denn in den bisherigen Windgebieten, wo demnächst je zwei alte Anlagen durch eine neue, leistungsstärkere ersetzt werden, habe die Stadt keinen Anspruch auf den Strom.

Wir haben geschaut, wo sind schon Direktabnehmer mit Wirtschaft oder größere Ortsteile, die direkt vom Strom profitieren können.

Matthias Egert, CDU Bürgermeister von Zörbig
Zörbigs Bürgermeister Matthias Egert beugt sich über eine Karte mit Plänen zum Ausbau der Windkraft.
Bürgermeister Egert deutet auf ein Repowering-Gebiet östlich von Zörbig. Bildrechte: MDR/ Rebecca Nordin Mencke

Ein neues Windgebiet hat der Stadtrat von Zörbig kürzlich beschlossen – das erste städtische Windgebiet, das eine kommunale Gesellschaft projektiert. Drei weitere sollen bald folgen. Die Akzeptanz in der Bevölkerung treibt den Bürgermeister um. Seit über zwei Jahren sei er in engem Austausch mit Landwirten, Ortsbürgermeistern, Boden-Eigentümern. Um etwa die Landwirtschaft möglichst wenig zu beeinträchtigen, habe man die Windkraftanlagen sehr nah an bereits bestehenden Feldwegen geplant. Die Leitungen könnten so am Straßenrand gezogen werden. "Und wir haben geschaut, wo sind schon Direktabnehmer mit Wirtschaft oder größere Ortsteile, die direkt vom Strom profitieren können." Dennoch rechnet Egert mit Widerständen, sobald es in die konkretere Umsetzung geht.

Frühzeitig auf Ängste und Sorgen eingehen

Von einem spielerischen Planungstool erhofft er sich daher, mehr Menschen zu erreichen und zugleich die eigenen Überlegungen zu prüfen. "Wenn wir ganz früh wissen, wo die Ängste und Sorgen liegen, dann können wir schon ganz früh in der Planung darauf eingehen", betont er.

Beim Workshop in Bitterfeld erreicht niemand das Spielziel, die Region bis zum Jahr 2045 klimaneutral aufzustellen. Ohnehin sei das zu abstrakt, finden manche Teilnehmer. "Kleinere Ziele und auch den Nutzen vor Ort darstellen", schlägt Breitschuh vor. So könnten die Spielenden etwa überlegen, welche Bürgerprojekte sie vor Ort finanzieren wollen – und wie viel Strom sie dafür an andere Regionen verkaufen müssen. Die Forschenden notieren sich die Hinweise und Ideen, wie sie das Tool verbessern können. Im Herbst wollen sie es dann mit Bürgerinnen und Bürgern testen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 08. Juni 2024 | 06:00 Uhr

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