Interview "Anwohner beim Ausbau erneuerbarer Energien als Experten vor Ort einbinden"
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05. Juni 2024, 05:00 Uhr
Bisher ist eine Abgabe von Windkraft- und Solarpark-Betreibern an die jeweiligen Kommunen freiwillig. Mehrere Bundesländer planen derzeit verpflichtende Regelungen. Für die Akzeptanz vor Ort sind solche Abgaben ein wichtiger Beitrag, sagt Psychologin Gundula Hübner. Aber auch bei der Planung sollten Bürgerinnen und Bürger frühzeitig eingebunden werden, wie Projekte konkret umgesetzt werden. Dabei werde die Zustimmung zu erneuerbaren Energien insgesamt häufig unterschätzt.
- Gegner von erneuerbaren Energien sind laut Umfragen in der Minderheit – aber stärker aktiv.
- Neben finanzieller Beteiligung braucht es frühzeitige Mitsprache bei der Planung.
- Tatsächliche Mehrheiten zu erneuerbaren Energien sollten stärker sichtbar gemacht werden.
MDR AKTUELL: Der Widerstand gegen Erneuerbare-Energien-Anlagen äußert sich immer wieder sehr lautstark – wie viele Menschen sind denn aber tatsächlich gegen erneuerbare Energien und den Ausbau dieser Anlagen?
Gundula Hübner: In Umfragen sehen wir immer wieder, dass eine Mehrheit dafür ist und nur eine Minderheit dagegen – das ist sowohl im deutschlandweiten Schnitt so, aber auch in Orten, wo geplant wird und auch dort, wo Menschen bereits an Windenergieanlagen oder an großen Solar-Freiflächen-Anlagen wohnen. Die Minderheit kann schon mal groß sein – wir hatten einen Fall, da waren es 40 Prozent. Aber 60 Prozent waren auch dort letztlich neutral oder dafür. Wenn wir uns aber anschauen, wer aktiv wird, dann sind das vor allem die Menschen, die dagegen sind. Sie werden sehr viel stärker aktiv, weil sie eben Angst haben, etwas zu verlieren. Dadurch wird dann aber auch die öffentliche Wahrnehmung geprägt.
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen planen derzeit Gesetze, die die Akzeptanz für erneuerbare Energien in der Bevölkerung zu stärken. Konkret sollen Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen verpflichtet werden, Abgaben an die jeweiligen Kommunen zu zahlen. Inwieweit kann das denn tatsächlich die Akzeptanz fördern?
Das ist natürlich ein wichtiger Schritt: Dass die Menschen, die vor Ort die Anlagen sehen, auch etwas davon haben. Das ist ein wichtiger Beitrag, damit das als fair empfunden wird.
Prof. Gundula Hübner Gundula Hübner ist seit 2013 Professorin für Psychologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und an der MSH Medical School Hamburg. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich insbesondere damit, welche Faktoren Akzeptanz für erneuerbare Energien fördern oder behindern sowie welche Auswirkungen erneuerbare Energien auf Anwohnerinnen und Anwohner haben.
Aber die finanzielle Beteiligung ist nicht alles. Wesentlich ist, wie die Menschen beteiligt werden, wie sich die Projektierer – also die Unternehmen, die die Windparks planen – mit den Menschen vor Ort zusammensetzen und sie beteiligen. Nicht nur finanziell, sondern auch in der Planung.
Letztendlich wäre es wichtig, dass alle, die zu den Menschen nach Hause kommen – in deren Heimat – es auch so verstehen, dass sie zu Gast sind. Denn das sind sie, das finden nicht nur wir, sondern das ist auch international ein Aspekt, der immer wieder hervorgehoben wird. Neben der finanziellen Beteiligung sollten die Menschen als Experten vor Ort einbezogen werden.
Wie sollte das geschehen?
Ein ganz wichtiger Punkt ist, die Menschen vor Ort nicht erst einzubeziehen, wenn ein Eignungsgebiet ausgewiesen ist und der Park schon geplant wird. Wenn die derzeitigen gesetzlichen Vorgehensweisen im Planungsprozess ganz strikt gehandhabt werden, können die Bürgerinnen und Bürger nur noch Einwendungen machen. Es gibt dann wenig Möglichkeiten, sich positiv einzubringen.
Es gilt, Erfahrungen mit einzubeziehen: Welche Orte besser nicht geplant werden und wo erneuerbare Energien hinpassen.
Deswegen ist es sehr wichtig, im sogenannten informellen Verfahren die Menschen schon früher einzubeziehen und zu sagen: Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wenn du könntest, wie würdest du das gestalten? Es gilt also, die Erfahrungen mit einzubeziehen über sensible Orte, die besser nicht geplant werden – und andere Orte, wo man sagen kann: Da passt es hin, in Ordnung.
Nochmal zurück zu den finanziellen Aspekten: Macht es denn einen Unterschied für die Akzeptanz, ob die Kommune mehr Geld hat und beispielsweise eine neue Kita bauen kann oder ob das Geld direkt bei den Leuten ankommt – etwa durch vergünstigte Strompreise?
Ich würde dafür plädieren, dass das die Kommunen vor Ort entscheiden können, wie sie das handhaben. Wichtig ist, dass in den Kommunen die Allgemeinheit beteiligt wird – und nicht nur einzelne Menschen von den Pachtgeldern profitieren.
Hervorzuheben ist es, dass es Kommunen gibt, die ganz selbständig das Ziel haben, für ihre Stromversorgung 100 Prozent erneuerbare Energien zu nutzen und auch die Wertschöpfung in ihrer Kommune zu halten. Da haben wir in Sachsen-Anhalt sehr schöne Beispiele. Wir sind aktuell mit einem Projekt unter anderem in Kooperation mit der Stadt Zörbig und erleben dort beeindruckend engagierte Menschen, die die Dinge selbst in die Hand nehmen und positiv gestalten möchten.
Im mittelsächsischen Kriebstein soll die Kommune von einem geplanten Solarpark finanziell profitieren und auch die Fläche wurde in Abstimmung mit der Gemeinde verkleinert. Trotzdem gibt es einen Bürgerentscheid Anfang Juni, der die Pläne noch kippen könnte. Wie können denn Menschen vor Ort mitgenommen werden, damit sie solche Projekte akzeptieren?
Die Anwohnerinnen und Anwohner sollten in jedem Fall, soweit es möglich ist, über die Gestaltung der Flächen mitentscheiden können. Da geht es aber nicht darum, ob überhaupt etwas gebaut wird – weil wir die Energiewende nach allem, was wir nachvollziehen können, wirklich brauchen. Sondern es geht darum, wie etwas gestaltet werden kann. Das gilt sowohl für Solarflächen als auch für andere erneuerbare Energien.
Es geht nicht darum, ob überhaupt etwas gebaut wird, sondern wie es gestaltet werden kann.
Wir haben beispielsweise in Bayern im Landkreis Ebersberg ein Projekt gemacht, wo wir junge Leute mit einbezogen haben. Wir haben ihnen erstmal die Grundregeln der Planung erklärt – es gibt ja Restriktionen, die wir akzeptieren müssen – und haben sie dann gefragt: Aus eurer Kenntnis vor Ort, wie würdet ihr das gestalten? Die Aufgabe war, mehrere Megawatt Strom aus erneuerbaren Energien zu ernten.
Ihre erste Reaktion war: Überall Solarflächen. Dann haben sie aber gesehen: Wir brauchen zu viel Fläche, um unser Ziel zu erreichen. Jetzt wollen wir sie doch lieber entlang der Autobahn platzieren, weil dort die Landschaft sowieso schon beeinträchtigt ist. Und in unserem Landkreis möchten wir pro Kommune ein Windrad haben – um die Vor- und Nachteile zu teilen. Da war also die Idee der Fairness entscheidend.
Pro Kommune ein Windrad lässt sich aus wirtschaftlichen und anderen Gesichtspunkten so nicht umsetzen. Aber die Idee wurde vom Landrat und verschiedenen Bürgermeistern aufgegriffen und wird heute weiter diskutiert.
Welches Potenzial sehen Sie denn in Beteiligungsmodellen, um Kampagnen gegen die Energiewende und erneuerbare Energien den Wind aus den Segeln zu nehmen?
Wir sehen, dass die meisten Menschen vor Ort unterschätzen, wie hoch die Akzeptanz in ihrer Umgebung ist. Wir nennen das eine soziale Norm. Wir fragen: Wie stehen Sie zu diesem Projekt für Windenergie oder Solar? Und wie bereits erwähnt, fällt die Antwort überwiegend neutral oder positiv aus. Dann fragen wir: Was glauben Sie denn, was Ihre Nachbarn darüber denken? Und das wird dann sehr viel kritischer eingeschätzt.
Die meisten Menschen unterschätzen, wie hoch die Akzeptanz in ihrer Umgebung ist.
Gleichzeitig sehen wir aber auch: Wenn wir die Informationen vermitteln, wo die Mehrheit steht, dann sind die Menschen, die ja mehrheitlich neutral oder dafür sind, ganz anders unterstützt, ihre Meinung zu sagen. Es geht also auch darum, die tatsächlichen Mehrheiten sichtbar zu machen. So kann man auch demokratische Prozesse fördern.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 11. Mai 2024 | 06:05 Uhr