Nahwärme Wie sich ein Dorf in der Oberlausitz unabhängig von Gas gemacht hat
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19. Juni 2023, 10:37 Uhr
In Camina bei Radibor hat die Heizungswende längst stattgefunden: In dem 120-Seelen-Dorf heizen fast alle mit Holzschnitzeln aus den umliegenden Wäldern und mit Solarthermie. Dafür haben die Bewohnerinnen und Bewohner ein eigenes Nahwärmenetz aufgebaut. Für kleine Orte ist das noch eine Seltenheit. Dabei hat die zentrale Beheizung einen entscheidenden Vorteil.
- Das Holz für die Heizanlage kommt aus den eigenen Wäldern, Solarthermie sorgt für warmes Wasser.
- Zentrale Heizung für das Dorf bringt viele Vorteile.
- Neue Technologien lassen sich leichter integrieren.
Die Einwohner Caminas können gelassen auf die Entwicklung der Öl- und Gaspreise auf dem Weltmarkt schauen. Auch neue Gesetze aus Berlin zu Öl- und Gasheizungen bereiten ihnen keine schlaflosen Nächte. Denn in dem Dorf in der Gemeinde Radibor heizt fast niemand mehr mit fossilen Brennstoffen: 26 der 30 Häuser des 120-Einwohner-Ortes im Landkreis Bautzen werden mit Nahwärme aus Holzschnitzeln und Solarthermie geheizt.
"Nahwärme ist die Zukunft"
Dabei ist es aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine Herausforderung, in einem so kleinen Ort eine Nahwärmeanlage zu betreiben. "Ich habe erkannt, dass das die Zukunft ist. Aber große Firmen wie die Stadtwerke beschäftigen sich damit gar nicht, weil es keine Rendite abwirft", sagt Thomas Retschke, der Chef der Betreiberfirma ABE Anlagenbetriebsgesellschaft.
Denn die Kosten für Anlage und Wärmenetz müssen aus den Gebühren nur weniger Haushalte gedeckt werden. Trotzdem betreibt Retschke das Caminaer Nahwärmenetz mit Gewinnabsicht. Allerdings betont er: "Man kann damit kein Millionär werden."
Was ist Nahwärme?
Hinter der Nahwärme steckt das gleiche Prinzip wie bei der Fernwärme: Von einer zentralen Heizanlage aus wird die Wärme über ein Leitungsnetz an die Abnehmer verteilt. Dafür wird in den Rohrleitungen heißes Wasser zur Heizung transportiert.
Allerdings sind die Wärmenetze bei der Nahwärme wesentlich kleiner. Außerdem kommt die Wärme nicht aus großen Heizkraftwerken, sondern aus kleineren Anlagen.
Holz aus eigenen Wäldern
Angefangen hat alles um das Jahr 2015 mit "unzähligen Diskussionsrunden unter Männern, natürlich bei einer Flasche Bier", erzählt Thomas Retschke, der selbst in dem kleinen Ort wohnt. "Die Grundidee war damals, dass wir irgendwie aus eigenen Ressourcen etwas machen können", sagt Retschke. Viele der Dorfbewohner besäßen kleine Waldgebiete um Camina. Da schien es ihnen naheliegend, etwas mit dem Brennholz anzufangen, das in den Wäldern entsteht und, wie Retschke sagt, damals ungenutzt "vergammelte".
Die Grundidee war damals, dass wir irgendwie aus eigenen Ressourcen etwas machen können.
Hackschnitzel und Solarthermie
Also beschlossen sie, mit Hackschnitzeln, also zerkleinertem Holz, zentral die Wärme für das Dorf zu erzeugen. Dafür wollten die zwölf Männer aus Camina eigentlich eine Energiegenossenschaft gründen, aber weil ihnen die bürokratischen Anforderungen und damit verbundenen Kosten letztlich doch zu hoch erschienen, betreibt Retschke mit seiner Firma die Anlage. Das schien naheliegend, denn die betreibt auch schon in Radibor eine Nahwärmeanlage. Zu 98 Prozent wird die Energie für das Nahwärmenetz in Camina nun aus Hackschnitzeln gewonnen. Das Holz dafür kommt aus den umliegenden Wäldern. Ergänzend dazu erwärmt eine Solarthermieanlage Wasser.
Seit 2017 kann sich jeder Einwohner des Dorfes an das Nahwärmenetz anschließen lassen. Zunächst waren es 12 Häuser, dann bald 15. Mit dem Ukraine-Krieg und der damit verbundenen Preisexplosion bei Öl und Gas entschieden sich auch fast alle anderen Dorfbewohner für die Nahwärme.
Gemeinsame Lösung für die Zukunft
Dafür haben die Einwohner je eine Anschlussgebühr von einmalig 2.000 Euro bezahlt. Jetzt zahlen sie eine monatliche Grundgebühr von 97 Euro, die aber sinken soll, sobald die Investitionskosten für die Anlage wieder drin sind, sagt Retschke. Gegenüber Gas gebe es momentan keine deutliche Ersparnis, doch das sei auch nicht entscheidend. Vielmehr sei wichtig, dass das Dorf mit der gemeinsamen Lösung für die Zukunft gewappnet sei und erneuerbare Energien nutzt. Außerdem mache die Nahwärme aus Holzschnitzeln und Solarthermie Camina unabhängig vom Gas.
Mit einer Gemeinschaftslösung ist man für die Zukunft viel besser gewappnet.
Vorteil gegenüber individuellem Heizen
Warum aber ist eine Gemeinschaftslösung bei der Heizung sinnvoll? Da alles über eine zentrale Anlage laufe, werde der eigene Heizkessel im Haus überflüssig, sagt Thomas Retschke. So müsse sich keiner um die eigene Heizung Gedanken machen. Auch die Ergänzung um andere Technologien sei einfacher: "Die Zentrale kann man immer wieder erweitern und auf den neusten Stand bringen." Jetzt zum Beispiel sei die Wärmepumpe aktuell. "Aber dann kommt die Brennstoffzelle oder doch synthetisches Gas oder weiß der Teufel was", sagt Retschke. "Der technische Fortschritt ist so schnell, dass die einzelnen Haushalte das gar nicht so realisieren können. Was wir heute bauen, das kann schon übermorgen wieder veraltet sein", sagt er.
MDR (jwi,sim)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | SACHSENSPIEGEL | 12. Juni 2023 | 19:00 Uhr