Altersdiskriminierung "Ich möchte beim Arzt genauso gründlich untersucht werden wie junge Menschen"

13. Februar 2023, 06:30 Uhr

Vor mehr als 20 Jahren hat Hanne Schweitzer das "Büro gegen Altersdiskriminierung" mitgegründet. Noch immer sieht sie in Deutschland große Defizite beim Umgang mit der älteren Generation. Im Interview erklärt die Journalistin, welche Kritik sie an Ärzten hat, warum die Alten trotz einer Mehrheit an der Wahlurne in Wirklichkeit keine Macht haben und weshalb Altersdiskriminierung schon mit Ende 20 ein Problem sein kann. Mit der Diskriminierung im Alter beschäftigt sich auch "Fakt ist!" am Montag im MDR FERNSEHEN.

Frau Schweitzer, bei Udo Jürgens heißt es: "Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an." Sie sind da weniger optimistisch und kritisieren die Diskriminierung im Alter. Welche Probleme sehen Sie konkret?

Hanne Schweitzer: Altersdiskriminierung verletzt das Gebot der Gleichbehandlung, sie verstößt gegen internationale Vereinbarungen, wie die EU-Charta der Menschenrechte, und drittens erschwert sie das Leben völlig unnötig. Es gibt zudem ein 12. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention aus dem Jahr 2005.

Dort ist ein allgemeines Diskriminierungsverbot festgeschrieben. Das gilt für alle Mitgliedsländer für jedes niedergelegte Recht und auch für die Behörden. Und dieses 12. Protokoll das ist zwar von der Bundesrepublik unterschrieben, aber bis heute nicht ratifiziert worden. 

In Kalifornien haben Sie erlebt, wie es besser laufen kann. Was machen die USA anders?

Im Bundesstaat Kalifornien gibt es seit 1967 ein Gesetz, das die Altersdiskriminierung für die über 40-Jährigen im Arbeitsleben verbietet. Dabei geht es um das ganze Spektrum von der Bewerbung über die Weiterbildung bis hin zur Entlassung. Es gibt dort auch kein Zwangspensionsalter. Ähnliche Regelungen finden sich in vielen angelsächsischen Ländern, die sich als Einwanderungsländer begreifen. Die haben sich gesagt: Wenn ich ein guter Staat bin, dann müssen die Leute, die hierher kommen, gute Chancen haben. Das ist auch ein deutlicher Unterschied zu Deutschland.

An der Wahlurne ist die alte Generation klar in der Überzahl. De facto bestimmt sie, wo es langgeht. Wie kann es bei solchen Machtverhältnissen überhaupt Altersdiskriminierung geben?

Ich habe die Wahlprogramme und den Koalitionsvertrag der jetzigen Regierungsparteien durchgesehen. Altersdiskriminierung spielt dort nirgendwo eine Rolle. Von daher kann es noch so viele Alte geben, aber Macht haben sie dadurch nicht. Die Interessen der Wählenden und der Gewählten sind in diesem Punkt nicht deckungsgleich.

Betrachtet man das Leben insgesamt, dann gibt es eine kurze Phase, in der man zu jung für manche Dinge ist und eine lange Phase, in der man Stück für Stück zu alt ist. Existiert daher nicht ständig irgendeine Diskriminierung oder haben Sie ein konkretes Alter im Sinn, ab dem es verstärkt losgeht?

Das kann schon recht zeitig sein. Wenn sie beispielsweise 28 Jahre alt und Studentin sind und eine Ermäßigung im Schwimmbad haben wollen, dann geht das meist nicht, weil sie über 27 sind. Das Bafög wiederum ist erst 2022 bis zum Alter von 45 Jahren erhöht worden, vorher war mit 35 Schluss.

Interessant sind auch Handytarife, wo es analog zu Studenten und Auszubildenden keine speziellen, vergünstigten Tarife für Rentner gibt. Problematisch ist ebenfalls, wenn sie keinen Kredit mehr bekommen, weil sie zu alt sind oder die KFZ-Versicherung teurer wird. Da diskriminiert dann oft gar nicht mehr ein Mensch, sondern es ist ein Algorithmus, der nicht offengelegt wird. 

Und ab welchem Alter ist die Diskriminierung massiv zu spüren?

Ich würde sagen, das ist ab 55 Jahren der Fall.

Wo sehen Sie die meiste Diskriminierung: eher bei den Unternehmen oder beim Staat?

Wenn ich es gegenüberstelle, sehe ich beim Staat die meiste Diskriminierung. Jüngstes Beispiel sind die 300 Euro Energiegeld. Da waren die Rentner am Anfang außen vor. Erst als sich Widerstand geregt hat, ist das korrigiert worden. Beim 49-Euro-Ticket sind leider auch keine Ermäßigungen für Rentner vorgesehen, dabei ist das vor allem für viele Rentnerinen viel zu teuer.

Sie haben mal gesagt, Altersdiskriminierung beginnt schon, wenn der Arzt die Diagnose stellt: Es liegt am Alter. Aber ist es nicht normal, dass es physische Grenzen gibt?

Es ist schon richtig, dass es physische Grenzen gibt, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass es sich Ärzte zu einfach machen. Da wird dann schnell gesagt, dass bestimmte Beschwerden am Alter liegen. Ich möchte aber genauso gründlich untersucht und therapiert werden wie junge Menschen. Das Alter sollte keine Ausrede sein, um sich Behandlungen zu sparen.

Bei einer Informationstour zur Altersdiskriminierung durch Deutschland haben Sie spürbare Unterschiede zwischen Ost und West festgestellt. Welche waren das?

Im Osten gab es ein anderes Problembewusstsein. Während im Westen vor allem Frauen gesagt haben "Ich werde doch nicht diskriminiert", waren die Menschen im Osten bei dem Thema total offen.

Die Diskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Ferda Ataman, will die Altersdiskriminierung gewissermaßen per Grundgesetz verbieten. Sie halten nicht viel davon, die Altersdiskriminierung in Artikel 3 aufzunehmen. Warum?

Das ist ein hehres Ziel, ich müsste mich dann aber zunächst durch unzählige Instanzen klagen, bis ich Recht bekomme. Das kostet jede Menge Geld und auch Zeit. Mancher wird das Urteil gar nicht mehr erleben. Sinnvoller wäre es, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz mit Blick auf die Altersdiskriminierung erheblich zu verbessern. Das hätte unmittelbare Auswirkungen auf alle gesellschaftlichen Bereiche noch bevor jemand klagen müsste. Und auch im Fall der Klage wäre der Weg über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz viel unkomplizierter.

MDR (sth)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 13. Februar 2023 | 22:10 Uhr

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