Fans feiern im Sommerregen
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Klimaerwärmung Warum wärmere Meere bei uns für mehr Starkregen sorgen

19. Juli 2024, 13:44 Uhr

Im Nordatlantik werden anhaltend hohe Temperaturen gemessen und das Mittelmeer ist warm wie eine Badewanne. Gleichzeitig gibt es in Deutschland vor allem eins: Starkregen. Zwei Phänomene, die augenscheinlich nichts miteinander zu tun haben – oder etwa doch? Die Klimaerwärmung begünstigt tatsächlich nicht nur Hitze- und Dürreperioden in Mitteleuropa, sondern auch den Starkregen. Grund dafür ist ein einfaches physikalisches Prinzip.

MDR AKTUELL Autorin Kristin Kielon
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Eigentlich ist es ein recht typischer deutscher Sommer dieses Jahr, sagt die Meteorologie. Denn ein regnerischer Sommer ist keinesfalls ungewöhnlich für Mitteleuropa. Aber er war eben schon länger nicht mehr so – nach mehreren Dürre-Jahren fühlt es sich zumindest so an. Dass es regnet, ist also nicht das Spannende, sondern eher wie (stark) es regnet. Denn statt eines langanhaltenden Landregens, scheinen die Wolken kurzzeitig das Ventil über uns zu öffnen und alles auf einmal rauszulassen – ganz so, als wollten sie dringend Druck ablassen. Und gewissermaßen ist es tatsächlich so. Denn da ist eine ganze Menge Wasser in den Wolken und das kommt aus den Gewässern. Wer also etwas über Starkregen wissen will, muss auf die Ozeane schauen – und auf den Klimawandel. Das klingt womöglich paradox, ist aber eigentlich ganz logisch.

Icon: Symbolische Erdkugel mit Afrika und Europa im Zentrum, daran oben links das Grad-Zeichen. Text:  MDR Klima-Update. Kostenfrei, wöchentlich. Foto: Weiß gekleidete Frau mit Rücken zur Kamera kippt aus Eimer grüne Farbe auf Leinwand in trockener Gegend.
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Mit Abstand: Der warme Nordatlantik

Für das Wetter bei uns ist vor allem der Nordatlantik relevant. Von der Wetterküche Europas ist da gern die Rede. "Wir leben in einer Westwindzone", erklärt Stephanie Fiedler, Professorin für Maritime Meteorologie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. "Die Luftmassen, die zu uns herangetragen werden, kommen in aller Regel vom Nordatlantik. Deswegen ist es natürlich entscheidend für uns in Mitteleuropa, auf den Nordatlantik zu blicken, wenn wir wissen wollen, wie das Wetter wird."

Und dort passiert schon seit einiger Zeit Bemerkenswertes. Blickt man auf die Oberflächentemperaturen zeichnete sich bereits im vergangenen Jahr eine Kurve ab, die deutlich über denen der Vorjahre lag. Und auch dieses Jahr wurden immer höhere Temperaturen gemessen, erst Ende April näherte sich die Kurve der des Vorjahres. Der Leiter der Abteilung Hydrometrie beim Deutschen Wetterdienst, Frank Kaspar, findet diese Entwicklung angesichts der globalen Erwärmung nicht sonderlich überraschend, aber: "Etwas überrascht war vielleicht mancher von der doch etwas sprunghaften Zunahme." Dafür würden auch noch weitere Ursachen diskutiert, sagt er. "Aber, dass die Temperaturen langfristig ansteigen, ist einfach dem zunehmend fortschreitenden Klimawandel geschuldet."

Auf einer Infografik sind die Messreihen der Temperatur des Oberflächenwassers der Nordsee visualisiert. Die zwei Linien der Jahre 2023 und 2024 verlaufen mit etwas Abstand über denen der Vorjahre.
Visualisierung der Jahres-Oberflächentemperatur des Nordatlantiks Bildrechte: ClimateReanalyzer.org Climate Change Institute University of Maine

Allerdings, merkt Fiedler vom GEOMAR an, sei die Erwärmung der Ozeane keine monokausale Entwicklung. "Man muss immer beachten, dass das natürlich eine Mischung ist aus Klimawandel und natürlicher Variabilität", erläutert die Forscherin. Zumal es im vergangenen Jahr auch das Wetterphänomen El Niño gegeben habe, "also Oxidation, die im südlichen Pazifik vonstattengeht, wo relativ viel oberflächennahes warmes Wasser vorhanden ist und das auch dazu beiträgt, dass global Anomalien auftreten." Auch der Hydrologe Fred Hattermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sagt, dass sich die Forschung gar nicht ganz einig ist, warum dieser Temperaturanstieg so hoch ausgefallen sei. "Das ist wahrscheinlich ein Komplex aus verschiedenen Ursachen, aber im Grunde zeigt es, dass uns der Klimawandel im Griff hat, das es sehr stark vorangeht und dass wir ihn wirklich begrenzen müssen."

Der Nordatlantik ist also grundsätzlich die Quelle der Feuchtigkeit für unsere Niederschläge in Mitteleuropa, erklärt Kaspar. Es gebe aber auch Wettersituationen, die feuchte Luftmassen aus der Mittelmeerregion zu uns bringen. Das ist dann etwa eine Vb-Wetterlage: "Wenn dann das Mittelmeer eben zu dem Zeitpunkt ungewöhnlich warm ist, dann bringen auch diese Systeme große Feuchtigkeitsmengen nach Deutschland, die dann gegebenenfalls hier abregnen", erläutert der DWD-Experte. So also, wie es jüngst in Süddeutschland passiert ist und was dort großflächig zu Überschwemmungen geführt hat.

Simple Physik: mehr Wärme, mehr Feuchtigkeit

Wenn das Meer sich erwärmt, hat das also Folgen für unser Wetter. Dass der Klimawandel, der sonst Dürren und Waldbrände begünstigt, zeitgleich an mehr Regen Schuld haben soll, mag auf den ersten Blick verwundern. Aber was widersprüchlich klingt, lässt sich physikalisch erklären – genauer gesagt mit dem Clausius-Clapeyron-Gesetz. Das besagt, dass die Atmosphäre pro ein Grad Celsius Temperaturerhöhung etwa sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen kann. Außerdem können wärmere Oberflächen mehr Wasser verdunsten, erklärt DWD-Experte Kaspar. "Das heißt wiederum, wenn wir durch den Klimawandel höhere Temperaturen haben, dann ist da eben auch ein höheres Potenzial für Starkregenereignisse."

Aktuell befänden wir uns in Deutschland in einer Phase, in der es anhaltend nass ist. Über die vergangenen zwölf Monate habe es sehr viel geregnet, so Kaspar. "Wenn man den Zeitraum in der Summe nimmt, dann zeigen unsere Daten, dass er seit Beginn unserer Aufzeichnungen der war, in dem wir die größte Niederschlagsmenge in Deutschland hatten." Allerdings könne es auch wieder trockene Phasen geben, wie sie in den vergangenen Jahren schon vorgekommen sind.

Auf einer Infografik ist der Wasserkreislauf und der Einfluss der Klimaerwärmung visualisiert.
Der Wasserkreislauf wird vom Klimawandel angeheizt: mehr Wärme, mehr Verdunstung, mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre und damit auch mehr Starkregen Bildrechte: MDR Wissen

Was man zur Wolkenbildung braucht, erläutert die Kielerin Fiedler, das sei einfach Wasserdampf: "Ein warmer Untergrund, Wasserdampf und eine Hebung – im Sommer typischerweise einfach durch aufsteigende Luftmassen – führen dazu, dass sich Wolken bilden." Wenn das sehr schnell passiere, wie das an einem heißen Sommertag üblich sei, dann entlade sich das ganze relativ plötzlich mit Starkregen, Gewittern oder sogar Hagel.

Dass die wärmere Atmosphäre über dem wärmeren Nordatlantik mehr Feuchte aufnehmen kann, beobachte man schon seit Jahrzehnten, sagt PIK-Forscher Hattermann. "Es ist tatsächlich signifikant mehr Feuchte über Europa." Die Atmosphäre könne die Feuchtigkeit aber auch halten, da sie mehr Energie habe. Wenn es jedoch zu Niederschlägen komme, so Hattermann, dann hätten die eine Tendenz, deutlich heftiger auszufallen. "Wir haben ja gerade im Osten vor allem Gewitterniederschläge. Was wir lieber hätten, wären diese Landregen, wo der Boden sich langsam aufsättigen kann. Aber diese heftigen Niederschläge dringen gar nicht so tief in den Boden ein."

Ein Mann in roter Regenjacke von hinten im Wasser stehend. Als Wasszeichen die Zahl Zehn. 9 min
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MDR Mi 10.07.2024 12:00Uhr 09:15 min

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Manchmal ist Regen einfach nur Wetter

Kann ich nun also davon ausgehen, dass der Klimawandel direkt Schuld hat, wenn ich wieder im Platzregen stehe? Eher nicht. Bei einzelnen Wetterereignissen gebe es immer noch zusätzliche Faktoren, die man berücksichtigen müsse, sagt Kaspar vom DWD. Bei der Bewertung von Klimaeffekten werde eher auf die Veränderung von Wahrscheinlichkeiten geschaut. "Am Ende muss man mit Wahrscheinlichkeiten diskutieren und kann nie eine hundertprozentig präzise Aussage bezogen auf ein einzelnes Wetterereignis machen." Denn das Wetter ist vor allem auch ein chaotisches System, das sich nie bis in letzte Detail vorhersagen lässt. "Im Rahmen des chaotischen Systems können die einen oder anderen Wetterlagen immer mal wieder auftreten, aber der Klimawandel schiebt das eben in eine bestimmte Richtung", bilanziert Kaspar.

Tendenziell werden die Häufigkeit und die Intensität von Starkregenereignissen zunehmen.

Frank Kaspar, Deutscher Wetterdienst

"Mit Einzelereignissen ist es immer schwierig", sagt auch GEOMAR-Professorin Fiedler. Deshalb schaue man sich in der Klimaforschung unter anderem die Statistiken mehrerer Jahre im Vergleich an. "Wenn man sich das anschaut, sieht man tatsächlich einen leichten Trend bei den Tagen mit sehr hohen Niederschlägen", so die Forscherin. Die Entwicklung zeichne sich also ab, das sei aber von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich, was eine größere Variabilität zeige.

"Das Wetter ist eben sehr komplex", bilanziert PIK-Forscher Hattermann. Dass Hoch- und Tiefdruckgebiete über uns hinwegziehen, die Regen bringen können, habe es immer gegeben. "Also wir müssen immer sehr genau reinschauen in die Zahlen und da sehen wir tatsächlich eine Steigerung von Extremniederschlägen. Das ist einfach statistisch so." Am Ende seien die Ozeane sehr entscheidend fürs gesamte Weltklima, sagt Hattermann. "Sie puffern sehr viel von der Energie, die wir durch den Klimawandel zusätzlich in der Atmosphäre haben." Durch die stärkere Feuchte regne es aber global mehr, man sehe tatsächlich einen weltweiten Niederschlagsanstieg. Die Frage sei aber immer, wo die Windsysteme diesen Regen hinbringen, so Hattermann.

Bei der Frage, welche Auswirkungen warme Meere und damit die feuchtere Atmosphäre auf unser Wetter hat, spielt also auch der Wind noch eine große Rolle – insbesondere der Jetstream. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, dann können Sie einfach hier in diesem Artikel meines Klima-Update-Kollegen Florian Zinner weiterlesen:

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 19. Juli 2024 | 17:40 Uhr

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